03.02.2003 21:02
War Stan Laurel Aktionist?
"Es
gibt ja nichts Peinlicheres als diese Künstlerbands der 80er-Jahre" - die Gruppe
G.R.A.M.
Nach dem erkenntnisreichen Verzehr eines proteinreichen
"Bajonetts" mit Hans Staudacher im vorweihnachtlichen Beograd wollten Doris
Krumpl und Markus Mittringer wissen, wo der jüngere Künstler selbstreflexiv
isst. Die Gruppe G.R.A.M. bat ins Concordia-Schlössl.
Wien - Gerade zwei-, dreimal im Jahr, sagt Martin Behr, überkommt ihn
die Fleischeslust, und dann schlägt der Vegetarier zu. Anständig. Im
Concordia-Schlössl orderte er ein Karl-Valentin-Schnitzel. Darunter muss man
sich passend zur Zentralfriedhofsnähe ein ungemein großes, gewaltsam
plattgedrücktes Stück toten Fleisches vorstellen, das mit Schinken und
Semmelnknödelnmasse gefüllt, zu einer unterarmdicken Rolle gedreht und dann auch
noch paniert wird. Serviert wird die gefährliche Biorohrbombe auf einem Bett
preiselbeerbehäufelter Orangenscheiben an Ölpfefferoni. Derartiges aß Behr
zuletzt nach dem Falco-Begräbnis. Eben- dort.
Der jüngere Künstler von
heute will eigentlich Popstar sein. Nicht vergessen im geschlossenen White Cube
über Sinn und Bedeutung von Proportionen nachdenken, sondern in der Menge baden.
Ein bisschen von dieser Sehnsucht nach Group und Groupies stand auch damals,
1987, als Idee der Gründung der vierköpfigen Grazer Band G.R.A.M. vor. Nur: Mit
wirklichen Instrumenten hantieren, das wollten die Boys nicht. "Es gibt ja
nichts Peinlicheres als diese Künstlerbands der 80er-Jahre" sagt Günther
Holler-Schuster, der für das G. im Gruppennamen steht und von Beruf Kurator ist.
M. (für Martin Behr) ist dafür Kritiker, und so findet die Konzeptgruppe, deren
weitere Mitglieder nur mehr beratend, aus zivilberuflicher Tarnung heraus
agieren, eine Allianz aus Kritik, Kuratorship und Kunst, die für den Kunstmarkt
nicht abträglich ist.
Außerdem arbeitet es sich mit einem Beruf neben
der Berufung unbeschwerter, weil "finanziell a Ruah is'". Und: Das schützt vor
einem peinlichen Alterswerk. Horrorvision: "Uns ereilt ein
Rolling-Stones-Schicksal, wir nehmen eine Jazzplatte auf und warten mit 65 vorm
Sacher auf Prominente."
G.R.A.M. begaben sich nämlich in den letzten
Jahren unter die Paparazzi, stellten Udo Jürgens oder, unmittelbar vor dem
traurigen Zenit ihrer Popularität, Prinzessin Diana. Der Leidensdruck des
Künstlers äußert sich als Paparazzo in der Pein, Voyeur zu sein: aufdringlich
und indiskret. Diese aus dem Versteck betriebene Leute-Beobachtung kehrten
G.R.A.M. in ihrem jüngsten Projekt um. Es geht nicht mehr um Prominente, sondern
um Menschen am spätherbstlich leeren und, weil von der Kulturhaupstadtsäuberung
vergessenen und deshalb hässlichen, wohl aber authentischen Grazer
FKK-Gelände.
Dessen ostentativ unbekleideten Bewohnern näherten G.R.A.M.
sich, stets in Gefahr, gestellt zu werden, vom anderen Ufer des Schotterteiches
beim Flughafen aus. In der Wiener Galerie Christine König zeigen sie jetzt die
verstörenden Ergebnisse ihrer feldforschenden Pirsch: unscharfe Tableaus in
grobkörnigem Schwarz-Weiß.
"Wiedergänger" nennen sie diese seltsamen
Paradiesbewohner. "Sie bewegten sich so langsam, gingen ins Wasser, diese
unheimlichen Gestalten", deren genaue Figuren, geschweige denn Gesichter auf den
"Loch-Ness-Aufnahmen" nicht erkennbar sind. Lebende Tote? "Es kann ein Blick in
die Vergangenheit sein oder auch eine Zukunftsvision." Aufschlussreicheres über
diese Spezies soll schon demnächst ein Film bringen.
Das Unheimliche im
Alltäglichen ist auch Thema von Cameron Jamie, der gemeinsam mit G.R.A.M. bis
22. März ausstellt und sich dem US-amerikanischen Halloween-und Death-Metal-Kult
nähert.
Von der Paparazzo-Fotografie sind G.R.A.M. weitergegangen in
Richtung Slap- stick, und da war es nahe liegend, Szenen aus
Dick-&-Doof-Filmen nachzustellen. "Ist Stan ein Aktionist, wenn er Torten
ins Gesicht schmeißt?" fragt Martin Behr, kaut am Valentin-Schnitzel und
erinnert daran, das G.R.A.M. sich ja in ähnlich liebevoller Neugier nachstellend
den Helden des Wiener Aktionismus näherten - mit bestürzenden
Folgen.
G.R.A.M. wollen nichts erfinden oder gar gut können, das war
spätestens nach kläglichen Malversuchen zu Beginn ihrer Karriere klar. Wenn
nötig, binden sie Profis ein, etwa Hermes Phettberg als Schauspieler, der sich
im G.R.A.M.-Setting auspeitschen oder auch mit Körpersäften benetzen
ließ.
Oder sie finden einfach vor: "Peter Oswald -
Oberflächenveredelungen aller Art" ist eine Grazer Firma, und G.R.A.M. stellen
schlicht die Frage, ob die Namesgleichheit mit einem anderen Grazer auch
Rückschlüsse auf dessen Tätigkeit zulässt. Oder G.R.A.M. lassen
Spielzeug-Autodesign auf tatsächliche Autos applizieren und vertreiben sich
damit die Zeit des Schindler-Stipendiums in LA. Ein Projekt steht noch aus,
dessen Umsetzung aber steht in den Sternen: "Wir sollten aus Graz raus, da ist
noch nie jemand etwas geworden. Höchstens Lifttechniker." (DER STANDARD,
Printausgabe, 4.2.2003)