Da gibt es ein berühmtes, häufig wiedergegebenes Bild,
das in die Ausstellung aber erst Anfang April eingeführt werden kann. Es
vermittelt eine Stimmung des Aufbruchs, neuen Wollens und eines neuen
Blicks auf das Leben einfacher Menschen. Für sie wollte man arbeiten,
ihnen sollte Zuversicht eingeflößt, eine verlorengegangene Würde
zurückgegeben werden. Die Zeit der Leibeigenschaft war vorüber.
Dieses Bild eines Bauernsohns, der sich zur bedeutendsten
Figur des russischen Realismus im 19. Jahrhundert entwickeln sollte,
hat eine eigene Geschichte. Sie geht zurück auf das Erlebnis Ilja Repins
(1844 bis 1930) bei einem Ausflug an der Newa, vorbei an den Villen der
Reichen mit blühenden Gärten.
Plötzlich trat da eine Schar von zerlumpten und
verschwitzten Treidlern auf, die ein Schiff stromaufwärts schleppten.
Repin studierte ähnliche Erscheinungen an der Wolga,
schuf Studien, die schließlich in einem großen, 1873 vollendeten Gemälde
mündeten, das dann auch gleich auf der Wiener Weltausstellung gezeigt
werden sollte: "Die Wolgatreidler". Die Kunst höre auf, ein Geheimnis zu
sein, sie anerkenne das Recht aller, "über die von ihr vollbrachten
Heldentaten zu urteilen". So schrieb der Dichter M.J. Saltykow-Stschadrin
anläßlich einer Ausstellung der "Wandermaler", der "Peredwischniki".
Die hatten sich 1870 zusammengeschlossen. Ihr ideeller
Führer, der in der Ausstellung mit dem Porträt eines der Begründer
russischer Landschaftsmalerei, Iwan Schischkin, vertreten ist, war Iwan
Kramsoki. Seine Kollegen rief er dazu auf, "von den Bedürfnissen des
Volkes" und dem Einvernehmen mit dessen inneren Gefühlen zu lernen. Neue
Bildgegenstände traten in der stufenweise erfolgten Entwicklung eines
Gegenpols zu den französischen Impressionisten auf.
Die zeigten sich im Pariser "Salon des Refusés", der
Abgewiesenen also, im selben Jahr 1867, als in St. Petersburg
Proteste gegen die dort erfolgte akademische Ausbildung laut wurden. Aus
ihnen ging jene "Genossenschaft für Wanderausstellungen" hervor, der sich
Ilja Repin 1878 angeschlossen hatte.
Noch ohne Liebedienerei
Alexander Herzen munterte seine malenden Landsleute aus
dem Exil heraus auf: Rußlands weite Natur berge etwas in sich, "das im
russischen Lied erklingt" und seinen Widerhall "tief im russischen Herzen"
finde. Schischkin, der diese Natur neben anderen darstellte, notierte auf
der Rückseite eines seiner Bilder: "Weite, Raum, Waldungen, Roggen, Gottes
Segen".
Davon wollten auch die anderen erzählen, etwa von
Begebenheiten bei festlichen Anlässen oder aus dem Alltagsleben. Von der
Theatralik des späteren "Sozialistischen Realismus" und seiner
Liebedienerei war dabei noch keine Rede. Malerische Finessen und
Originalität, ästhetische Ansprüche bleiben nicht ausgeschlossen, wie etwa
auch Archip Kuindshis Stimmungsbilder bezeugen.
Repins 1903 entstandenes Gemälde "Welch eine Weite" wirbt
für die Ausstellung. Es zeigt ein junges Paar inmitten aufgischtender
Meereswellen - gedeutet als Allegorie auf die russische Jugend, "die dem
über sie gekommenen Unheil zum Trotz ihre freudige Zuversicht nicht
eingebüßt" habe.
Erstmals, so die Veranstalter, werde die Kunst russischer
Realisten in Österreich repräsentativ vorgestellt. Die Wanderkünstler und
jener, der die "menschliche Seele, das Drama des Lebens" darzustellen
suchte, Repin also, waren aber bereits im Jahr 1976 in der
Österreichischen Galerie umfassender mit rund hundert (jetzt insgesamt 55)
Werken aus der Moskauer Tretjakow-Galerie vertreten. Die Mischung ist
jetzt allerdings eine andere.
Bis 2. Juni, tägl. 10 bis 18 Uhr.
w
ww.kunsthalle.at
www.kunstmeile.cc
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