DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


Arc Electronica: Linz, eine Beschwerde

03.09.2010 | 18:38 | THOMAS KRAMAR (Die Presse)

Der "Reparatur-Chor" enttäuschte am Donnerstag am Linzer Hauptplatz. Die meisten der Strophen hinkten rhythmisch beträchtlich. Nur wenige Besucher kamen. Auch die "Frozen Music" des Eröffnungsabends langweilte.

Wer sich aus ganzem Herzen beschwert, erleichtert sich: Aus dieser Einsicht heraus wurde 2005 in Finnland der erste „Beschwerdechor“ gegründet, inzwischen gibt es solche dem Schimpfen und Raunzen verschriebenen Gesangsvereine in etlichen Städten. Neuerdings auch in Linz: ORF und Ars Electronica haben das initiiert, das Ergebnis war am Donnerstag am Hauptplatz zu hören. Wobei der Linzer Chor – gemäß dem heurigen Motto der Ars Electronica: „Repair“ – „Reparatur-Chor“ heißt. Entsprechend war der Refrain: „Die Umwelt is' voll wichtig / da Mensch a grad so sehr / drum, Leitl'n, is' scho' wichtig / so a Gedanken-Repair.“ Und eine der vielen Strophen lautete so: „Was da Volksmund tuat lehren, woll'n de Oberen net hören, und so müass ma eich sag'n, geht die Weisheit in Grab'm.“

Die beiden Beispiele sind nicht boshaft ausgesucht: Die meisten der – in oberösterreichischer Tradition in Form von Gstanzln gehaltenen – Strophen hinkten rhythmisch beträchtlich. Und waren, was ein Beschwerdechor nicht sein soll, nämlich brav und bieder, eher aus der Abteilung „Gute Menschen schreiben ans Christkind“ als aus der Sudelküche des Grants und Grolls.

Der Auftritt war auch auffallend schlecht besucht – vor allem im Vergleich zu den bisherigen Events der Ars Electronica auf dem Linzer Hauptplatz, mit denen sie ja genau zeigen will, dass dieses Festival keine rein elitäre Angelegenheit ist.

Die alte Tabakfabrik als Veranstaltungsraum hat sich dagegen – wie berichtet – schon am ersten Tag bewährt, obwohl (oder gerade weil?) sie etwas von einem Irrgarten hat. Dass man in ihr auch gut Feste feiern kann, bestätigte sich beim „Opening Event“. Trotz geradezu programmatisch öder Musik: „Frozen Music“ war das Motto, unter Berufung auf das von Schelling geprägte Wort von der Architektur als „erstarrte Musik“. Es wird im Programmheft auch Schopenhauer zugeschrieben – zu Unrecht: Dieser verurteilte diese Metapher als „Witzwort“, für ihn war vielmehr die Musik als direkter Ausdruck des menschlichen Willens die höchste Kunstform, während er die Baukunst gering schätzte und nur der anorganischen Materie zuordnete.

Allerdings: Wenn Schopenhauer den heutigen Status Quo der elektronischen Musik gekannt hätte, hätte er sie wohl eher unter Architektur gereiht. Sie ist auch, was ihre Formen betrifft, erstarrt, willenlos: Wenn sie sich laut und „avantgardistisch“ gebärdet genauso, wie wenn sie – wie in den zackigen bis zickigen Etüden des Dorian Concept – sich der Diskothek anbiedert.

Umso mehr Mühe müssen die Pressetexter aufwenden, damit wenigstens die Beschreibung aufregend klingt. Diesmal las man über einen der Auftretenden, dass er „Raum und Zeit in eine neue Dimension verfrachtet“, und über einen anderen, dass er „das Publikum in einen Mikrokosmos aus Licht und Sound verführt“. Die erste Aussage traf offensichtlich nicht zu, über die zweite möchte ich mich heftig beschweren.


© DiePresse.com