Galerien live
Da weinen ja die Eisberge
(cai) Wie erzeugt man eine Windhose? Man isst viele, viele Bohnen. Und
irgendwann wird’s in der Hose, die man anhat, sehr, sehr windig.
Blödsinn. Man braucht ein starkes Gebläse. Und richtet es auf ein
Beinkleid. Jedenfalls macht das der Ian Burns so.
Seine stürmische Vorrichtung, die penetrant laut ist wie ein
Staubsauger, bringt noch dazu eine Hose zum Tanzen, die er sich im
Oktober 2009 vor laufender Kamera ausgezogen hat (in der Arktis, wohin
sich nicht einmal ein Pinguin verirrt). Hm. War das ein
magisches Ritual, um die Erderwärmung zu stoppen? (Wenn ich mir den A.
abfrier’, schmelzen die Polkappen schon aus Solidarität nicht.) Nein.
Kunst. Burns ist also kein Klimawandel-Tourist, der gen Norden reist,
um schwimmende Eisbären anzufeuern (hopphopphopp!). Aber was er auf
einer einsamen arktischen Insel aufgeführt hat, das müssen die Wasser
tretenden Eisbären als Provokation empfunden haben. Mit einem Toaster
hat er rücksichtslos Brotscheiben getoastet, ohne sie nachher zu essen.
Lieber hat er sie sinnlos archiviert. Ikonen der Energieverschwendung.
Irgendwie zynisch, wenn dann eine Kamera Livebilder von einem
umgekippten Eisbären liefert. Okay, die Kamera ist eh nicht auf einer
Eisscholle ausgesetzt worden. Sondern auf einem weißen Schneidbrettl.
Und das Bärli ist aus Plastik. Burns ist ja ein begnadeter Bastler, der
aus Glumpert beeindruckende bewegte Simulationen der Realität zimmert.
Und weil die Lamperln und Motoren Strom fressen, bringt seine Kunst
bestimmt Eisberge zum "Weinen". Das Wasser im einzigen solar betriebenen
Opus (einem Zimmerbrunnen mit einem ausgeklügelten
Schaukel-Mechanismus) besteht trotzdem nicht aus gesammelten
Eisbergtränen. Bös ironisch und untergangsromantisch. Wie der
Ausstellungstitel auch: "Schrapnell from Märchenland." Na ja,
eigentlich weiß ich gar nicht, was das heißt.
Hilger Contemporary
(Dorotheergasse 5)
Ian Burns
Bis 2. April
Di. – Fr.: 10 – 18 Uhr
Sa.: 10 – 16 Uhr
In Ohnmacht stehen
(cai)Die Trophäen an den Wänden der Fotogalerie sind eindeutig
andersrum. Die strecken uns nicht den Kopf entgegen, sondern den
leibhaftigen, also ausgestopften Hintern. (Zoologisch bin ich nicht
aufgeklärt genug, um die Viecher anhand ihrer rückwärtigen Physiognomie
einwandfrei zu identifizieren.) Das nennt man wohl erweiterte
Fotografie, denn in den makabren Fotos dazwischen liegen auf Haufen von
Tierfellen erschlaffte Menschen, bereit zum Ausstopfen. Corinne L.
Rusch ist eben Bühnenbildnerin, die ihre perfekt komponierten Bilder
markant in Szene setzt. In ihrer Grand-Hotel-Serie treiben sich
elegante Zombies herum. Sind die an Langeweile gestorben? Eine
g’schniegelte Leiche steckt auf dem Tennisplatz mit den Stöckeln fest.
Ach, die ist eh nicht hirntot, die steht bloß in Ohnmacht .
Und ein Barkeeper poliert Gläser, während nackerte Frauenhaxen hinter
der Theke vorschauen. Aha, ein Redrum. Auf Deutsch: ein Drom. Äh,
andersrum: ein Mord. Alles sehr professionell. Und surreal.
Fotogalerie Wien
(Währinger Straße 59)
Solo I: Corinne L. Rusch
Bis 24. März
Di. – Fr.: 14 – 19 Uhr
Sa.: 10 – 14 Uhr
Die nudistische Wahrheit
(cai)Auf einem Nudistenstrand kann man sowieso keine Kamera am Körper
verstecken. Theoretisch. Da ist es eh schon wurscht, dass Jock Sturges
eine sperrige Plattenkamera zwischen den Nackerten herumschleppt wie
die Staffelei eines Impressionisten. Wenn man nun die anmutigen,
grazilen Mädchenleiber anschaut, fühlt man sich ein bissl unbehaglich.
Ein paar sind ja erst im Lolita-Alter. Muss man denn da nicht
reflexartig die Augen zumachen? Die Fotos haben freilich nix
Voyeurhaftes. Über Jahre hat Sturges die Mäderln beim Erwachsenwerden
begleitet. Von der naiven Nacktheit bis zur erotischen Pose.
Schmachtend sentimental.
Galerie Johannes Faber
(Dorotheergasse 12)
Jock Sturges
Bis 10. April
Di. – Fr.: 10 – 18 Uhr
Sa.: 10 – 16 Uhr
Printausgabe vom Mittwoch, 17. März 2010
Online seit: Dienstag, 16. März 2010 18:59:00
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