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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | ars electronica 
23. August 2006
19:31 MESZ
Neue Technologien, alte Rituale
Strawinskys "Le Sacre du Printemps"

Linz - Die Atmosphäre im CCL, einem räumlich spartanischen, aber technologisch gut ausgestatteten Studio in Linz, ist verdunkelt, konzentriert und von Offenheit geprägt. Klaus Obermaier präsentiert mit dem Team des AEC Future Lab und der famosen Tänzerin Julia Mach "seinem" Dirigenten Dennis Russell Davies die bisher fabrizierten Visualisierungssequenzen des musikalischen Elementarereignisses von Strawinskys Sacre du Printemps - nach einer Aufnahme, die das Brucknerorchester mit seinem Chef im Herbst 2005 einspielte.

In einem ungeprobten Durchgang, wie DRD erzählt, also als Ritt über den Bodensee. Aber es reichte, um die 32 Mikrofone, über die das Orchester interaktiv eingebunden ist, zu justieren und die Tempi einzuloten. Nun geht es schon um die Abstimmung von Übergängen und anderen Feinheiten. Diese Übergänge sind nicht nur in der Musik, sondern auch für Klaus Obermaier von großer Bedeutung.

Der gebürtige Linzer, der in Wien lebt, zahlreiche internationale Erfolge feiern konnte und seit heuer auch an der Universität IUAV in Venedig "new media in stage perfor-mances" lehrt, wurde mit der Visualisierung der klassischen Klangwolke 2006 im Brucknerhaus betraut. Die Auflösung gesellschaftlicher Strukturen zu Beginn des 20. Jahrhunderts korrespondiert für ihn mit den Brüchen, abrupten Wechseln und Überlagerungen in der Partitur.

Heute allerdings ginge es um die Auflösung unserer sinnlichen Wahrnehmung im Raum-Zeit-Gefüge schlechthin: "Die Diskrepanz zwischen subjektiver Wahrnehmung und der scheinbar objektiven Wahrnehmung durch stereoskopische Kamerasysteme, deren Bilder durch Computer gefiltert und manipuliert werden, bildet die Basis für meine Inszenierung. Das Eintauchen der 'Auserwählten' in Virtualität, ihre Verschmelzung mit Musik und Raum, als zeitgemäßes 'Opfer' für das ungewisse Neue, als Metapher der Erlösung und Vorwegnahme des ewigen Glücks, das uns neue Technologien und alte Religionen versprechen. Oder zumindest als neue Dimension der Wahrnehmung."

Auf der Bühne sind Stereokameras verteilt, Computer transferieren deren Aufnahmen der Tänzerin in einen virtuellen Raum - zumeist auf Beine und Hände konzentriert. Verschiedene Zeichen, vom ältesten slawischen Alphabet bis hin zu virtuellen Räumen, deren Oberfläche durch denselben binären oder hexadezimalen Code bestimmt sind, bilden eine Art scheinbar objektiver Sicherheitsstrukturen für das zerlegte Mädchen im Netz. (Reinhard Kannonier / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.8.2006)


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