Salzburger Nachrichten am 30. November 2005 - Bereich: Kultur
Luxushotel auf Führersitz

Kunst und Historie: "Zur Tektonik der Geschichte" im Forum Stadtpark

GRAZ (SN-m.b.). Das Foto erscheint bekannt, doch etwas stimmt hier nicht. Die Hitlergrüße sind echt, ebenso das Johlen der Menge beim Anblick von jüdischen Mitbewohnern, die gezwungen werden, mit Zahnbürsten die Straße zu reinigen. In das bedrückende Sujet menschenverachtender Unterdrückung hat sich der Künstler Joachim Seinfeld "eingeschlichen". Moderne Digitaltechnik macht es möglich, in der Montage agiert Seinfeld sowohl als Täter als auch als Opfer. Seinfelds Arbeit, die derzeit in der Ausstellung "Zur Tektonik der Geschichte" (bis 15. 1. 2006) im Grazer Forum Stadtpark zu sehen ist, befragt den Realitätscharakter des Mediums Fotografie.

"Das Geschichtsbild der Nachgeborenen basiert auf jenen Quellenbildern, die scheinbare Authentizität vermitteln", erklären Andrea Domesle und Martin Krenn, die Kuratoren der Ausstellung. Wie Kunst auf historische Spuren der 30er und 40er Jahre reagieren kann, zeigt etwa Pia Lanzinger mit ihrer Installation "Eine atemberaubende Kulisse": Fotos vom Obersalzberg, wo heute auf dem "Göringhügel" ein Luxushotel thront. Wo einst der Führer seinen amtlichen Wohnsitz hatte, wird nun in den Hotelzimmern das Werk "Die tödliche Utopie" aus dem Dokumentationszentrum als Nachtlektüre empfohlen. Foto, Film und Video sind jene Medien, mit denen die Kunstschaffenden versuchen, zwischen Konstruktion und Abbild zur Wirklichkeitsfindung von Geschichte beizutragen.

Lisl Ponger berichtet in fotografischer Form von der Untugend des "Unter-den-Teppich-Kehrens", Martin Krenns Bilder erschließen sich mit dem Hintergrundwissen, dass die abgebildeten Gebäude und Institutionen (darunter auch das Riesenrad in Wien) "arisiert" wurden. Gegenwart und NS-Propaganda treffen in Susanne Kriemanns Film "Triumph of Will - Revisited" unmittelbar aufeinander; um die "Historischen Fotos" von Gustav Metzger sehen zu können, muss der Betrachter die Schuhe ausziehen und unter eine Decke blicken.

Dokumente von Installationen an Originalschauplätzen steuern Hans Haacke und Peter Weibel bei. Weibels 1979 realisiertes "Zeitschaufenster" ist mit Holzbrettern zugenagelt: "Kauft nicht bei Juden." Haackes 1988 in Graz rekonstruierte NS-Siegessäule ging bekanntlich in Flammen auf. Auch ein Umgang mit der Geschichte.