Salzburger Nachrichten am 17. November 2005 - Bereich: Kultur
Der Herr Weltmeisterin

Erik(a) Schinegger ist der Mittelpunkt beim Auftakt zum Bergfilmfestival: Frau, aber doch Mann sein, das war zu viel für Österreich und für den Skisport in den 60ern.

OTHMAR BEHRSALZBURG (SN). Heidi Zimmermann und Traudl Hecher-Görgl, in den sechziger Jahren so etwas wie heute Michaela Dorfmeister und Alexandra Meissnitzer, plaudern über Intimes. Nein, beim Duschen habe niemand etwas bemerkt, dass die Erika vielleicht doch ein Erik sein könnte. Gemeinsames Duschen, das gab es bei den Skimädchen damals ganz einfach nicht.

Der Dokumentarfilm "Erik(a), der Mann, der Weltmeisterin wurde" (Österreich, 2005, Regie Kurt Meyer) zeigt nicht nur das Schicksal des Menschen Erik Schinegger, der als Erika bei der Ski-WM 1966 in Portillio in der Damenabfahrt Gold geholt hatte. Er zeigt auch die etwas anderen 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, fern von Aufklärung, sexueller Freiheit und Revolution.

Heute, Donnerstag, wird mit dem Streifen das zwölfte Bergfilmfestival im Salzburger "Das Kino" eröffnet (19 Uhr). Erik Schinegger hat sein Kommen zugesagt.

Der Film klagt nicht an. Er schildert und das geht tiefer unter die Haut als in Wut und Enttäuschung geborene harte Sprache. Interviews aus der Jetztzeit vermengen sich mit Bild- und Tondokumenten aus den fernen Tagen des Schwarz-Weiß-Fernsehens.

Erik Schinegger trifft emotionslos auf Leute, die einst sein/ihr Leben bestimmten und es beinahe zerstörten. Dass eine Frau als halber Mann Skiweltmeisterin wurde und (nach einer Operation) als ganzer Mann wieder Rennen fahren wollte, dös hot's net gebn diaffn im Alpenland.

Die kleine Erika hat sich nie über Puppen unter dem Weihnachtsbaum gefreut. Aber jedes Jahr gab es vom Christkind eine Puppe. Erika trug Kleidchen, wie es sich für ein richtiges Mädchen gehört. Für Gefühle zwischen den Normen, da war kein Platz im kleinen Kärntner Dorf St. Urban. Als sich Erika mit vielen Tränen den ersehnten Traktor ertrotzt hatte, musste sie immer noch Kleidchen tragen. Dass etwas nicht ganz stimmte mit ihr "da unten", wie hätte sie es wissen sollen? Wer hätte es ihr sagen sollen?

Über Körperliches wurde nicht gesprochen. Kraft hatte sie, die Erika und auf der Skipiste tobte sie sich aus. Den Buben fuhr sie davon. Ihr Talent wurde entdeckt und alles ging sehr schnell. Als 18-Jährige wurde Erika Skiweltmeisterin - Skigold und Österreich, das ist die unendliche Geschichte. Das Land steht wieder einmal Kopf. Es gibt Feste, Ehrungen, Ansprachen und für Erika ein Grundstück von der Gemeinde. Dann Gerüchte. Ein Mannweib solle sie sein. Vor den Olympischen Winterspielen 1968 gibt es erste Sex-Tests im Sport. Sie sollen den Hormonmissbrauch verhindern. Aber Schineggers Körper war von Natur aus mit mehr männlichen Hormonen ausgestattet.

"Skandal" ruft die Öffentlichkeit. Sperre. Das Grundstück geht wieder an die Gemeinde. Die Mutter darf sich nicht mehr in der Kirche zeigen. Operation. Comeback mit guten Plätzen. Dann kommt Franz Hoppichler, der Rennsportleiter des Skiverbandes und sagt: "Raus! Du passt nicht zu uns."

Erika hat es als Erik geschafft. Partnerschaften, Vater werden, Beruf. Eine starke Persönlichkeit - und ein ebenbürtiger Film.