22.08.2001 00:18:00 MEZ
Willkommen am dritten Ort!
Die Ars Electronica 2001 thematisiert das "Takeover" der Kunst von morgen

Wer die Kunst von morgen macht, fragt die diesjährige Ars Electronica und thematisiert deren "Takeover" durch Wissenschaft, Business und Lifestyle. Zur Diskussion stehen dabei etwa "Third Places", Erlebnisräume, die Kunst und Kapital, Avantgarde und Ökonomie verbinden.


Aller guten Dinge sind drei: "Befreie dich von Ordnung und Logik und trete in einen neuen Ort ein. Es ist nicht der Arbeitsplatz. Es ist nicht das Zuhause. Noch niemand hat ihn auf Landkarten verzeichnet. Keine Bücher wurden darüber geschrieben. Nichts ist sicher. Alles ist möglich. Welcome to the third place." Solch ein Willkommen, mit dem Sony seine Playstation2 bewirbt, gibt es allein nur hier - es existieren allerdings Third Places auch außerhalb virtueller Realitäten, obwohl sie ungemein viel mit der Playstation-Welt zu tun haben.

"The third place" meint in dem Fall ein höchst vielgestaltiges Phänomen - das reale Erlebnisräume des gesamten Entertainmentkomplexes einschließt. Hinter dem Kauf-und Spielrausch, den sie entfachen sollen, steckt natürlich jede Menge Logik - Stichwort: Inszenierung, emotional besetzte Orte der Freizeit.

Das kann die Tate Modern sein mit ihrer speziellen Architektur, die neben Kunst spektakuläre Aussichten auf London bietet. Es kann aber auch die neue Billa-Hightechfiliale in Purkersdorf sein, bei der Einkaufen zum "Erlebnis" wird, in der man bei Vogelgezwitscher seine Beutestücke mit Scannerpistole erlegt und an projizierten, sich im Wind wiegenden Sonnenblumenfeldern über dem Wurstregal vorbeidefiliert.

Es können aber auch spezielle Multiplex-Kinos oder Shoppingcenter sein oder "Brandlands" wie Niketown. Was sie verbindet außer dem von US-Soziologen geprägten Begriff Third Place, ist unter anderem der kostenlose Zutritt. Das Museumsareal interessiert, weniger die Kunst darin, die Computergames und Bars in der Shoppingmall spielen eine größere Rolle als das tatsächliche Angebot.

Den "ersten Platz" belegt das selbst gestaltete Eigenheim und den zweiten der zugeteilte Arbeitsplatz, den dritten eben diese Art von Fantasiewelten - nicht erst in Multiplex-Vorhöllen, sondern bereits im Wiener Kaffeehaus und auf der guten alten italienischen Piazza.

Spieler am Fließband

Third Places hat es immer schon gegeben, nur nicht in dieser aggressiven Dichte und mit solch kommerzieller Prägung. Wer je am beschallten Fließband stand, das in Las Vegas Teile des Casino-Vergnügungsareals des unter künstlichem Himmel liegenden Cesar's Palace verbindet, der erahnt die Zukunftsaufgaben von Architekten. Darüber soll auch ein Panel beim Ars-Electronica-Takeover-Symposion diskutieren.

Jemand, der von Third Places spricht, als ob er sie erfunden hätte, ist Starbucks-Chef Howard Schultz. Die US-Kaffeehauskette, die bald auch Österreich heimsucht, propagiert vor allem für eingesessene Wiener überraschenderweise Sofaecke und Clubsessel als Hilfsmittel, damit man sich auch hier quasi wie zu Hause wohl fühlen kann.

Auch Sony-Deutschland-Marketingchef Ron Lakos bezieht sich bei Sonys Spielkonsole Playstation2 auf den Third Place als "ureigenstes Erlebnis", das über Videospiele hinaus noch mit spezieller Atmosphäre lockt.

Für surreale PS2-TV-Werbespots wurde ein Großmeister des Unheimlichen, US-Regisseur David Lynch, angeheuert. Dort spuckte unter anderem ein Mund einen Arm aus, später blüht er als Zimmerpflanze. Ein Fragezeichen, ein S und eine Zwei treten aus dem schwarzen Nebel, vergleichbar mit dem Abspann einer neuen Twin Peaks-Serie. Aus weiter Ferne ertönt eine grelle Stimme und schreit den Produktnamen.

Kommerztempel

Ein Ersatz für den "guten alten Platz" der Vergangenheit? Der Wiener "Mediendramaturg" Christian Mikunda findet die zunehmende Symbiose von Kommerz und Avantgarde deshalb möglich, weil die Menschen mit Medien und Konsum immer besser umzugehen lernten, die so genannte "media literacy" habe markant zugenommen. Die Third Places, über die Mikunda derzeit an einer Publikation arbeitet, stellen diese Verbindung her. So können Museen zu Kommerztempeln werden, Einkaufszentren wie das Londoner Bluewater Center auch Interessensgebiet für Kultur-und Designtouristen.

Mikunda führt zwei Bauten von Daniel Libeskind an, das Jüdische Museum in Berlin und das geplante Migros-Shoppingcenter in Bern: "Beide sind dekonstruktivistisch, beide sind starke Statements nach außen - der zerbrochene Davidstern in Berlin, eine riesige geöffnete Hand in die Landschaft hinein in Bern -, die entsprechende Brain-Scripts auslösen." Willkommen in der Zukunft!

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. August 2001)


Quelle: © derStandard.at