(05.09.11)
An der Datenbasis: Für Lioba Reddeker
Wer hat in den neunziger Jahren nicht hin und wieder gestöhnt,
als die Rede auf Datenbanken kam – noch dazu nationale – in die alle
Künstler_innen und ihre Aktivitäten „erfasst” werden müssten und für die
biografische Informationen aufbereitet werden müssten, um diese online
zugänglich zu machen. Lioba Reddeker, zu früh verstorbene Gründerin der
basis wien (1) (2), gehörte zu den ersten im Kunstbetrieb, die Begriffe
wie „Unique Identifier”, „Datenintegrität”, „relationale Architektur”
und „SQL” verwendeten, und die das Potenzial erkannte, das in der
Verknüpfung von biographischen Daten, Ausstellungsprogrammen, Texten und
Publikationen lag. Doch in Zeiten teurer Hardware, rumpeliger
Modemverbindungen und dokumentationsskeptischer Einzelkünstler_innen
schien damals unabsehbar, wie innerhalb von nur zwei Jahren – solange
waren die Bundeskurator_innen bestellt – eine einigermaßen reichhaltige
Informationslandschaft aus dem Boden gestampft werden könnte.
Mehr als ein Hauch Skepsis lag also in der Luft, als die mühselige
Sammelarbeit begann, die damals – ohne Importmöglichkeiten aus
bestehenden Systemen – das Anlegen von Datenbanken begleitete. Und worin
sollte auch der Wert liegen, zu erfahren, dass Künstler X aus Innsbruck
zuletzt an Ausstellung Y in Wien teilgenommen hatte, wenn der
Information jeglicher Kontext fehlte? Mit dieser Haltung
wendeten manche jedoch ein Vokabel gegen das Vorhaben, das sie gerade
erst durch Lioba Reddekers Arbeit kennengelernt hatten. Onlinerecherche
und methodisches Dokumentieren schien 1997 noch etwas Ehrenrühriges zu
sein. Statt Datenjägern wollten alle kleine Obrists im Realraum werden,
jettend durch die Orte und die Zeiten, um in Ateliers, Akademien und
Eröffnungen jene persönlichen Relationen herzustellen, die
paradoxerweise nirgends so treulich abbildbar sind, wie in jenen
Datenbanken, denen die Skepsis der Netzwerker_innen galt und gilt.
Zwei Merkmale machen gute Datenarbeit aus und Lioba Reddeker
verfügte über beide: Genauigkeit und Ausdauer. Mit detailorientierter
Genauigkeit sorgte sie dafür, dass von Beginn an großer Wert auf
taugliche relationale Infrastruktur und wissenschaftliche Seriosität
gelegt wurde. Von ihrer frühzeitigen Beschäftigung etwa mit
internationalen Eingabestandards profitiert das System bis heute. Doch
ihre wahre Größe zeigte sie in der Ausdauer, mit der es ihr zweimal
gelang, das Fortbestehen der basis wien auch nach dem Auslaufen größerer
nationaler Fördersummen zu sichern. Es nötigt immer noch allergrößten
Respekt ab, sich daran zu erinnern, wie sie und ihre Mitarbeiter_innen –
zuerst mit der Konzeption und Umsetzung von EU Projekten und in
weiterer Folge durch Querfinanzierungsvereinbarungen mit ihrem
Auftraggeber Red Bull – dafür sorgten, eine unglamouröse und für viele
unsichtbare Sammlungsarbeit über mittlerweile fast 15 Jahre zu
verstetigen. Wenn ein forschender Geist heute auf Knopfdruck z.B. das
Programm des Off-Spaces Coco (13 erfasste Projekte) mit jenem
altgedienter Galerien vergleichen kann, (z.B.: Hubert Winter mit 256
erfassten Projekten) oder plant, Birgit Jürgenssens Biographie (189
erfasste Ausstellungen) anhand von Rezensionen seit 1998 zu studieren,
profitiert von jener Ausdauer. Denn das Wesen von Datensammlungen liegt
darin, mit dem Verlauf der Zeit immer effizienter und reichhaltiger zu
werden.
Mehrere Faktoren machen Datenbanken erst ab einer kritischen Masse
von Datensätzen ergiebig: Die Fülle bereits vorhandener Daten reduziert
den Eingabeaufwand, während der Abfragenutzen überproportional steigt,
da jeder neue Datensatz eine weitaus höhere Anzahl von Querbeziehungen
ermöglicht, als in den Pionierzeiten des Mediums. Die nationale
Beschränkung wurde bereits durch die erste vollständig eingegebene
Künstlerliste einer internationalen Gruppenausstellung aufgehoben. Dass
die Datenbank – laut ihrer eigenen Auswertung – heute 61037 Personen,
13476 Institutionen und 44104 Ausstellungen umfasst, ist nur numerischer
Ausdruck für die dahinter liegende Dokumentation der Vernetzung von
Personen, Projekten und Institutionen im mittlerweile globalen Maßstab.
Gerade das Engagement für die internationale Verknüpfbarkeit von
Kunstdatenbanken, der sich Lioba Reddeker in Kooperationsprojekten wie
VEKTOR - European Contemporary Art Archives verschrieb, sicherte eine
Orientierung an internationalen Wissensmaßstäben jenseits ehemals
befürchteter Nationalbürokratie. Neben dem individuellen Dokumentations-
und Recherchenutzen ist die Bedeutung dieses Pools für Forschung und
Praxis kaum mehr zu unterschätzen, insbesondere wenn man an die
Möglichkeiten von Netzwerkanalysen und die Erkenntnismöglichkeiten durch
die Verbindung mit anderen Datenquellen – wie z.B. Kunstmagazinen –
denkt. Auch diese "causerie" stellt ja technisch gesehen auch nur einen
weiteren Datenbankeintrag dar.
Denn da schließen sich die Kreise zwischen den Studien im
Bourdieu´schen Geist, mit denen Lioba Reddeker – immer gut begleitet von
Kurt Kladler – jene „Felder” zu erhellen vermochte, die andere lieber
vernebeln wollen, und jenen Datenbanken, in denen kollektiv
zusammengefasst wird, was als Biografie gemeinhin nur individuell –
primär als Karrierenachweis – verzeichnet wird: Das Kunstgeschehen mit
seinem Hang zu vereinfachender Egomanie braucht auch jene, die dazu
beitragen wollen, die komplexeren Funktionsbedingungen transparent zu
machen, die Fakten an der Basis zu erheben und die dadurch gewonnenen
Einblicke zu teilen. Die Datenbank der basis wien verzeichnet heute
bereits wieder 88 Ausstellungen (von 1206 im Jahr 2011), die alle erst
nach dem Todestag ihrer Gründerin eröffnen. Dass alleine während des
Schreibens dieses Texts bereits wieder einige dazugekommen sind, ist
Ermutigung für alle, die mit Lioba Reddeker eine Komplizin im
„Backstage” des Betriebs verloren haben: Ihre und unsere Arbeit gehen
weiter.
Martin Fritz
1) Nachruf von Werner Rodlauer
2) www.basis-wien.at
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2 Postings in diesem Forum [Ihre Meinung]
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Im Datenhimmel .... [Christoph Blase | 05.09.2011 23:03 | antworten] |
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... im echten und wahren,
liebe Lioba, werden wir uns alle wiedertreffen und über unsere
kleinen Festplatten lachen, auf die wir doch die richtigen Datenwolken
gespeichert haben, jedenfalls die eine oder andere, die es sonst
nirgendwo mehr gibt. (Und wenn die alten kleinen Festplatten verrecken,
haben wir irgendwo noch ein 10-Pack früher CD-ROM-Kopien versteckt.)
Bis später, so kurz vor 2050
Christoph
PS: Lieber Martin, traurig, Tränen, aber Danke für den treffenden Nachruf. |
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RIP [bitteichweisswas | 05.09.2011 18:25 | antworten] |
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liebe Lioba |
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