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21.07.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kunsthalle Bonn: Da brüllt Guggenheim
VON ALMUTH SPIEGLER
Ein mächtiges System trumpft auf und entblößt seine Schwächen.

Guggenheim ist kein Museum. Hat mit Kunst nichts zu tun. Nichts mit Sammler Solomon R. (1861-1949). Nichts mit Nichte Peggy, die sich im Skulpturengarten ihres venezianischen Palazzo mit ihren Lhasa-Apsos-Hündchen begraben ließ. Nein. Guggenheim ist Urlaub - Bilbao, Venedig, Las Vegas, New York. Alles inklusive - Unterhaltung, Essen, Aussicht, Ambiente, Shopping. Oder anders ausgedrückt: "The Guggenheim is a point of view." Ein Standpunkt, ein Lebensgefühl.

So prangt es auf knalligen Plakatplanen vor Gustav Peichls Bonner Bundeskunsthalle. Ein halbes Jahr lang wird sich hier ab heute eines der bewährtesten Marketing-Systeme der Welt breit machen. Zehn Millionen Euro ließ man sich diesen Stargast kosten. Über 600.000 Besucher werden nötig sein, um schwarze Zahlen zu schreiben. Ein vorhersehbarer Run, auf den alles penibel vorbereitet wurde - mit zeitbegrenzten Tickets, fetten Katalog-Schwarten, 300 nagelneuen multimedialen "Personal Art Assistant"-Guides - dem Know-how einer Österreich-Tochter von Hauptsponsor Deutsche Telekom, um auch ja keine Fragen oder spontanen Begehrlichkeiten (virtuelle Shop-Zone) offen zu lassen.

Da brüllt Guggenheim - das gab es noch nie, 200 Werke aus der Sammlung auf 8000 Quadratmetern. Da klatscht die Wirtschaft - der Sponsor ist gewinnbeteiligt, da "Guggst du!" nur so, wie es auf Taschen und T-Shirts steht. Ob es so viele sind wie beim Hauptkonkurrenten, dem New Yorker "Museum of Modern Art", 2005 in Berlin, nämlich 1,2 Millionen, wird spätestens zur Halbzeit hochgerechnet werden können.

Nach einer Serie von Rückschlägen - abgesagten Neubauten, Abgang eines der wichtigsten Big Spender, Personal-Einsparungen - kann Stiftungsdirektor Thomas Krens Erfolgsmeldungen brauchen. Seit 1988 scheint der Spiritus Rector der globalen Guggenheim-Strategie, verteufelt von Kunsthistorikern, vergöttert von Managern, erstmals angeschlagen, in Bonn aber setzt er weder auf Motorräder noch Armani-Modelle, wie er es im New Yorker Haupthaus, Frank Lloyd Wrights revolutionärem Signal-Spiralbau, tat. Vielmehr geht er hier "back to the roots", konzentriert sich aufs sonst nur als teures Leihgut im Hintergrund Profit bringende Kerngeschäft: die Sammlung. Wurzelt diese immerhin hier, am alten Kontinent, in Person der aus Preußen stammenden künstlerischen Beraterin Salomon R. Guggenheims, Hilla von Rebay.

Mit Bildern der mit dem Tod ihres Mentors verdrängten Malerin und ihres Umkreises beginnt auch der Parcours. Kandinsky war ihr alles, 150 Werke von ihm sind in der Sammlung. Rudolf Bauer war ihr mehr - ungeniert diente sie die gegenstandslose Malerei ihres Geliebten dem reichen Guggenheim an.

Was folgt, ist der von Markt und Kunstgeschichte bestätigte Kanon: Mächtig wird er in den Galerien durchdekliniert: Picasso, Brancusi, Chagall, Beckmann, Rothko, Rauschenberg. Ein Abschreiten von Allzubekanntem, was auffällt, sind mehr die Schwächen, die spärlichen Impressionisten etwa, das Fehlen ganz großer Schlüsselwerke. Nur zwei weibliche Positionen finden sich (Rebay, Agnes Martin). Nur ein Österreicher - Kokoschka, "Der irrende Ritter" von 1915.

In der großen Halle und dem Erdgeschoß wird dann der Erlebnisfaktor installativ erhöht, mit Minimal- und Pop-Art in gewichtigen Großformaten, von Warhol und Lichtenstein, Judd und Nauman. Das ist sie, die todsichere Seite. Die vagere folgt auch räumlich auf der anderen: Im teils angemieteten Bonner Kunstmuseum vis à vis wird in die Zukunft "geguggt", neun zeitgenössische Künstler vorgestellt (davon immerhin vier Künstlerinnen). Auch hier bereits arrivierte Namen wie Douglas Gordon (Zidane-Film), Matthew Barney, Rachel Whiteread, auch hier bereits Markterprobtes, Verwechselbares, viel Video und Installation.

Was fehlt, sind die Linie, der individuelle Geist, der unverkennbare Charakter, den Guggenheim, 1937 als "Museum of Non-Objective Painting" in einem ehemaligen Autohaus gegründet, sich heute mehr als jedes MoMA oder Mumok leisten könnte. Schließlich will es kein Museum sein. Sondern ein "point of view".

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