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Das große Rasen im neuen Hollywood

31.08.2010 | 18:43 | MARKUS KEUSCHNIGG (Die Presse)

Mit der Reihe „Autokino“ reist das Österreichische Filmmuseum im September eine historische Straße entlang, die von der „Car Culture“ und von der Aufbruchstimmung der Sechziger- bis Siebzigerjahre eingefasst ist.

Auto und Kino haben mehr miteinander zu schaffen, als man meinen möchte: Beide „Maschinen“ bedeuten die Freiheit, für einen Moment loszulassen, allen Zwängen davonzufahren. Mit der Filmschau „Autokino“ reist das Österreichische Filmmuseum im September eine historische Straße entlang, die von der „Car Culture“ und von der Aufbruchstimmung im Kino der Frühsechziger- bis Spätsiebzigerjahre eingefasst ist.

Bonnie and Clyde (1967) rasen gesellschaftlichen Zuschreibungen und moralischer Verantwortlichkeit davon, sterben im Kugelhagel und begründen das, was man „New Hollywood“ nennt: Aus den Trümmern der Großstudios steigt ein neues Kino; vom Kulissenbombast und anderen Gewichten befreit, wird der Weg zum Ziel, die vorbeiziehende Landschaft zum Handlungszentrum. Barbara Lodens Wanda (1970) wandert durch die Industriefriedhöfe Pennsylvanias, der große Radikale Monte Hellman schickt zwei Autos in ein zielloses Rennen über den Two-Lane Blacktop (1971). Das „Roadmovie“ als Hort der Americana wird gnadenlos demontiert: alle Träume, alle Wünsche sind bedeutungslos; „Hauptsache Bewegung“ als Losung einer orientierungslosen, wütenden und experimentierfreudigen Generation.

 

Meister der Karambolage

Die Schau findet zwar ihr emotionales Zentrum im „New Hollywood“-Kino, inkludiert aber zahlreiche Vor- und Ausläufer: Die B-Filme der klassischen Studios unterwandern den Mythos der „Straße zum Glück“ mit labyrinthischen Erzählungen, in denen jede Umleitung (Edgar G. Ulmers Billigfilm-Meisterwerk Detour, 1945) und jeder aufgeklaubte Anhalter (Ida Lupinos harter Thriller The Hitch-Hiker, 1953) den Wagen ins Verderben lenken kann.

Die Blechkarambolagen-Großmeister H.B. Halicki (Gone in 60 Seconds, 1974) und Paul Bartel (Death Race 2000, 1975, und Cannonball, 1976) formulieren die „Car Culture“ und ihre „Demolition Derbys“ in klassischen Autokinogenres, während die bärtigen Gründerväter des postklassischen Hochkonzeptkinos, George Lucas und Steven Spielberg, die in alle Richtungen davoneilenden Erzählungen wieder aufs Gleis bringen: Lucas' mit sicherem Händchen gebauter Nostalgie-Bomber American Graffiti (1973) begreift die „Car Culture“ schon als etwas Vergangenes und überhöht sie ins Allgemeinverständliche; ein Denkmal als Grabstein.

Spielberg hingegen übt mit seinem Hochspannungsthriller Duel (1971), in dem ein Mann von einem Truck über einsame Landstraßen gejagt wird, bereits für seinen Megaerfolg Der weiße Hai:Hier und dort zerbröselt eine schleichende, weil versteckte Urgewalt die Americana. Lucas und Spielberg führen das mobile Kino der 60er- und 70er-Jahre, mit dem sie aufgewachsen sind, retour in die alte Starrheit. Aus Eisenbahn (die das Blickregime im frühen Kino geprägt hat) wird Achterbahn, aus dem Roadmovie wächst das Ridemovie heraus: Geblieben ist die Lust am Bewegungsrausch, gewichen sind die Skepsis gegenüber dem System und der Fluchtgedanke.

Bis 6.Oktober im Filmmuseum.


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