Der Direktor der Kunsthalle über reaktionäre Kräfte, Preiswirren und die Probleme von Blockbuster-Museen
Klimt geht besser als Pornografie
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Möchte Subventionen auch von der Güte der Vermittlung abhängig machen: Direktor Gerald Matt. Foto: Robert Newald
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Von Christoph Irrgeher
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Kunsthalle-Chef Gerald Matt fordert Gratis-Eintritt für alle Museen.
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Kritik an Skandaltreibern.
Wien.
Eigentlich hätte es ein Gespräch sein sollen. Aber wenn Gerald Matt,
Direktor der Kunsthalle Wien, dazu anhebt, die Probleme der hiesigen
Museumslandschaft zu erörtern, kann sich das schon zu einem
Impulsvortrag auswachsen.
Probleme? Gewiss, darunter fiele auch das Diskussionsniveau über die
jüngsten Aufreger, namentlich also: den Swingerclub in der Secession,
die Darm ausgang-Skulptur im Museumsquartier. Zwar denkt der Mann im
edlen Zwirn lieber über Strukturprobleme nach, hat aber auch da eine
Meinung: Solche Debatten seien "doch ein reiner Vorwand für reaktionäre
und rechtsextreme Parteien, um einen latenten Hass auf das Andere, den
Andersdenkenden, den Anderslebenden zu schüren".
Schicke Urbanität
Solche Attacken hat Matt, seit 1996 Direktor, selbst erlebt – etwa
2005, als er die Außenwand seines Hauses mit türkischen Fahnen
tapezieren ließ; und 2009, als "The Porn Identity" über das Haus kam –
und damit ein Wust expliziter Videos. Allerdings: Spekuliert man da als
Direktor nicht auch ein bisschen auf Quote?
Matt winkt ab. "Wie man gut verkauft, zeigen die ewigen
Schiele-bis-Klimt- und Klimt-bis-Schiele-Ausstellungen. Die Debatte um
die Secession zeigt, wie sehr sich reaktionäre Kräfte eine Kunst im
Elfenbeinturm wünschen. Sex, Pornografie, ja das Leben hat für die im
Museum nichts verloren. Bei ‚Porn Identity‘ ging es um die
künstlerische Analyse und Kommentierung der Pornografisierung unserer
Gesellschaft."
Dass die Kunsthalle nicht im Elfenbeinturm logiert, ist unstrittig.
Zugleich steht Matts Haus aber doch für eine gewisse Noblesse – nämlich
schicke Urbanität. Das Café Kunsthalle im "project space" am
Karlsplatz: seit Jahren ist es ein Nistplatz für heimische Hipsters.
Wegen dieser Jugendlichkeit hat man nebenan, wo Modernes zum Nulltarif
gezeigt wird, sogar bis Mitternacht offen. Und offenbar füllt die
Jugend auch das Haupthaus im Museumsquartier: 84 Prozent der Besucher
seien weniger als 40 Jahre alt. Matts Mission: Ein Schaufenster zu sein
für die zeitgenössische, internationale Kunst – ja, mehr noch: "zu
zeigen, dass Kunst und Leben kein Gegensatz sein müssen".
"Preis-Verwirrspiele"
Nun schützen hehre Motive aber nicht vor schnöden Ärgernissen. In
der Museumslandschaft ortet Matt vor allem eines: "Ein preispolitisches
Tohuwabohu. Da werden ganz subtile Preis-Verwirrspiele betrieben – etwa
im Familienkartenbereich oder bei Preiserhöhungen für Schülerführungen."
In Bewegung geriet der Markt spätestens durch einen
Regierungsvorstoß: Seit heuer dürfen Unter-19-Jährige dank
Kulturministerin Claudia Schmied gratis in die Bundesmuseen. Die Stadt
Wien zog mit ihren Häusern nach, jedoch: nicht im Fall der Kunsthalle.
Ungeschulte Gäste könnte nun bereits ein naheliegender Vergleich
irritieren: Während Matts Haupthaus freien Eintritt für Kinder bis 10
bietet, gilt daneben im Mumok (dank Schmied und Sponsor) Gratiseintritt
für Studenten bis 27. Weitere Einzelangebote erschweren die Übersicht
noch.
Im Interview redet Matt zwar nicht von konkreten Konkurrenzfällen.
Er hält es aber einfach für "zu kurz gegriffen, den Eintritt nur für
einige soziale Gruppen freizustellen." Radikaler Gegenvorschlag:
Gratis-Eintritt für alle. "Das wäre ein klares Zeichen für die Öffnung
der Museen. Aber nicht zu Lasten der Kunst, also nur bei voller
Refinanzierung. Die jetzige Wirtschaftskrise ist dafür sicher kein
optimaler Zeitpunkt."
Zum rechten Zeitpunkt will Matt noch mehr: "Es hat keinen Sinn, die
Besucher nur mit freiem Eintritt ins Museum zu holen und dann mit dem
Angebot allein zu lassen. Man muss mehr Vermittlung bieten." Dass
Schmied, flankierend zum Gratiseintritt, 600.000 Euro für solche
Projekte hergibt, hält er für einen guten Ansatz, hat dazu aber noch
eine Idee: "Es wäre sinnvoll, nicht nur die Quoten der Häuser zu
evaluieren, sondern auch die Qualität ihrer Vermittlung – davon ließe
sich auch die Subvention abhängig machen."
Differenzierung gefragt
Bei Häusern mit hoher Quote ortet der Vorarlberger überhaupt eine
ungute Dynamik: "Je mehr Publikum man hat, desto teurere Ausstellungen
muss man auch machen. Letztlich bleiben 10 bis 20 Promi-Künstler, die
man, von Picasso bis Klee, rauf- und runterradelt." Einen konkreten
Fall will Matt auch da nicht ansprechen. Gleichwohl ortet er, wie viele
Beobachter, bei den Bundesmuseen thematische Überschneidungen – etwa:
"Wer wird in Zukunft für die österreichische zeitgenössische Kunst
zuständig sein: das neue dynamische 20er Haus, das 2011 aufsperren
soll, oder das Mumok? Gefragt ist keine Monokultur, sondern eine
ausdifferenzierte Museumsszene, in der sich Parallelaktionen erübrigen."
Apropos Mumok: Nach wie vor wird der Plan ventiliert, dass das
beengte Haus in die Kunsthalle expandieren, jene ins Künstlerhaus
ziehen könnte. Der Künstlerhaus-Verein ist dafür – und nicht zuletzt
Ministerin Schmied. Für Matt weiterhin nur "Smalltalk": Bisher gebe es
weder Machbarkeitsstudien noch Kostenüberlegungen. Zudem wäre das Haus
– selbst wenn der angedachte Ausbau käme – für beide Institutionen zu
klein. Und: "Das Künstlerhaus hat einen faden 19. Jahrhundert-Appeal.
Wir bräuchten eine signifikant zeitgenössische Architektur." Urban eben.
Printausgabe vom Mittwoch, 17. März 2010
Online seit: Dienstag, 16. März 2010 19:11:00
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