Salzburger Nachrichten am 11. Mai 2006 - Bereich: Kultur
Jung, verspielt, verrückt Einige Projekte von
"Kontracom" sind fertig: ein umgedrehter Hubschrauber, drei bunte Bälle
über dem kleinsten Haus der Altstadt, ein hölzerner Gartenzaun.
Hedwig KainbergerSalzburg (SN). "Das ist Kunst." Wir setzen am Ende
dieses Zitats einen Punkt, obgleich der Passant am Residenzplatz, der es
am Mittwoch sagte, es auf wundersame Weise schaffte, diese drei Wörter
zugleich mit einem Ton der Frage und einem Ton des Ausrufs auszusprechen.
Es heißt, der Weg - manche sagen, der einzige Weg - zur Erkenntnis führe
über die richtig gestellte Frage. Gelang es also mit diesem doppelt
klingenden Satz Frage und Heureka in einem auszusprechen? Zu solchen Gedanken regt jenes Kunstwerk an, das die Italienerin Paola
Pivi für das Salzburger Festival "Kontracom" entworfen hat. Zwischen zwei
und fünf Uhr morgens wurde der Helikopter von Wels nach Salzburg
transportiert, bis etwa 11 Uhr vormittags wurde er auf dem Residenzplatz
mit Kränen in die von der Künstlerin vorgegebene Position gebracht und
verankert. Ist das ein Ungetüm, das so viel Maschinen und Menschenkraft braucht?
Oder sah er nicht aus wie ein Fisch an einer riesigen Angel, als er vor
der Vierung des Domes an der Stange des Krans baumelt? Wenn Kunst das ist, was die Gesetze des Erkennens verrückt (so wie ein
schwerer, harter, vom Künstler behauener Stein wie ein Gesicht mit zarten
Lippen und weichem Haar aussehen kann), wenn Kunst ist, was einen
erstaunlichen, wunderbaren und trotzdem nicht unrealistischen oder
falschen Eindruck gibt und zu allerlei Gedanken und Assoziationen
verleitet, dann ist Paola Pivis umgedrehter Hubschrauber als Kunstwerk
gelungen. Und dieses ausrangierte, umgedrehte, flugunfähige Ding bewirkt mit
zauberhafter Verspieltheit noch etwas, was der Kunst eigen ist: Leute
bleiben stehen, halten inne, schauen, machen mit Mobiltelefonen Fotos und
versenden diese, fangen zu reden an, sind unterschiedlicher Meinung,
diskutieren. So gibt Kunst Gesprächsstoff. So kann für eine Vielzahl von
Menschen, die eigentlich einander fremd sind, eine gemeinsame Wirklichkeit
entstehen. Der Volksmund sagt treffend: "Des bringt die Leut' z'samm." Die Interventionen der zehn Künstler, die Kurator Max Hollein für
Salzburgs Altstadt ausgewählt hat, werden offiziell erst am Freitag fertig
und "eröffnet". Einige, für die der Aufbau organisatorisch und technisch
aufwändig ist, sind schon fast oder ganz fertig. Noch ist also nicht für
alle zu beurteilen, ob und wie sie beeindrucken. Neuralgische oder vergessene Orte besetzt Paola Pivis Hubschrauber
wirkt zwar auf und mit dem Platz, doch ist er eigenmächtiger als andere
der "Kontracom"-Projekte. Andere Künstler, obgleich nicht in Salzburg
geboren oder lebend, haben treffsicher neuralgische oder vergessene,
übersehene Stellen besetzt. Ayse Erkmen hat die finstere Schlucht über dem kleinsten Haus am Alten
Markt gewählt. Wann haben Salzburger da hineingeschaut (nicht aufs
Häuschen und aufs Dächlein)? Jetzt sind drei scheinbar frei fliegende
Bälle anbracht, rot, gelb, blau. Es ist, als flögen sie wie Ballons - ist
das nicht ein Bild aus Kindheitstagen? - und als machten sie aus dem
dunklen Schlurf einen bunten, belebten Raum. Hans Schabus hat mit dem so genannten "Bauzaun" die Grenze zwischen
Garten und Stadt, zwischen Barock und heute, paradiesischen Gewächsen und
irdischem Getümmel exakt erwischt. Wer hat sich je die Zeit genommen, die
Figuren am Ausgang Richtung Makartplatz zu betrachten? Jetzt haben sie
Bretter vor den Köpfen (muss man also Steinskulpturen bedauern?). Jonathan Meese hat das Innere des Neutors gestaltet. Diese Wände sind
mitten in der Stadt, doch so entlegen, dass kein Fußgänger hinkommt. Es
heißt, am Mittwoch sei es zu ersten Verkehrsbehinderungen gekommen, weil
Schauen und Fahren zugleich nicht möglich ist. |