Der Philosoph und Soziologe Norbert Elias wollte
im 20. Jahrhundert mit Hilfe der Esskultur einen Zivilisationsprozess der
Menschheit aufzeigen.
Die Österreichische Nationalbibliothek besitzt an die 2500 Ratgeber
darüber, wie gut, gesund, billig und schnell gegessen werden kann – die
ersten davon stammen aus dem Mittelalter. Aus diesem reichen Bestand hat
Hannes Etzlstorfer für den Prunksaal eine Ausstellung über mehrere
interessante Themenkreise gefiltert.
Kleine Kochbücher und Kulinarik-Kuriositäten
Von Kuriositäten wie dem kleinsten Kochbuch (einer Ballspende aus 1905)
bis zum Kochbuch für Hunde, vom Tatort Küche über die Hierarchien und
Disziplinierungen bei Tisch, das erste Milchrahmstrudelrezept aus Wien
1763, die Geometrie der Linzer-Torte und Falscheinschätzungen von
Kartoffel und Tomate nach ihrer Ankunft aus Amerika, ist hier viel an
Information zu finden. Es ist zwar leidlich bekannt, dass die Tomate bis
zur Einführung in der italienischen Küche im Norden als giftig galt, nicht
aber, dass die Ananas zu Mundbluten führen sollte und der Kohl, die
Armenspeise schlechthin, Melancholie verursachen sollte. Vorurteile
gegenüber dem Gemüse zeigen sich auch in der gehobenen Fastenspeise der
Reichen: Fisch und Schalentier. Ein päpstlicher Koch galt als "Leonardo
der Kochkunst", Medizin und religiöse Gebote waren immer verwoben, alles
andere gilt auch in den koscheren Essvorschriften der Juden als Völlerei.
Kabbala und "schwarze Kunst" (Alchemie) mischten sich in die geheimen
Kochkünste.
Reizvoll, weil fremd, war auch die Kalifenküche. Der deutsche
Kochbuchschreiber Max Rumpolt führte selbst den Verzehr von Igeln aus
seiner ehemaligen Heimat, der Mongolei, in Deutschland ein.
Struwwelpeter und Würstel-Weisheiten
Berühmte Handschriften wie das "Tacuinum sanitatis" aus dem 14.
Jahrhundert in Oberitalien weisen den Umgang mit den Pflanzen im
Jahreskreislauf, Giovanni Cadamosto hundert Jahre später auch den mit
Fleisch und Schlachten. Zu den Aufbewahrungsfragen kommen Fotos aus dem
ehemaligen Schlachthof St. Marx, exotisch erscheint ein Delfin beim
Fischstand am Naschmarkt 1971 und in der Literatur taucht Thomas Bernhard
als Kenner der Materie auf. Ergänzend zu den Büchern zeigt man Geräte wie
einen metallenen Fleischerzunfthumpen in Stierform, Puppenküchen und
Kompositionen für Tafelmusik.
Raritäten wie das Mondseer Kochbuch (1439/40), das Innsbrucker
Rezeptbuch Kaiser Maximilians I. und die ersten deutschen Kochbücher
liegen neben dem Struwwelpeter oder Weisheiten vom Würstelstand. Das macht
die Schau abwechslungsreich und sympathisch. Auch zu erfahren, dass
soziale Stellung und besseres Essen nicht vor einer Pilzvergiftung
bewahrten – Kaiser Karl VI. war ihr Opfer. Oder, dass der Name
Kaiserfleisch durch dessen Vater Leopold geprägt ist. Für den
schwächlichen Säugling wurde jeden Tag ein neues Schwein als Brutkasten
geschlachtet, das Fleisch ging danach an die Armen. Trotz viel
historischer Kost vergeht einem hier nicht der Appetit.
Tafelkultur
Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek
Josefsplatz1, 1010 Wien
Bis 31. Oktober
Hannes Etzlstorfer (Kurator)
Di bis So 10 bis 18 Uhr
Do 10 bis 21 Uhr
http://www.onb.ac.at/
Geistestränkend.
Dienstag, 02. Mai
2006