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Kunstberichte

Was tut der Delfin am Naschmarkt?

Die Österreichische Nationalbibliothek zeigt im Prunksaal Kulinarisches zu "Küchenkunst & Tafelkultur"
Illustration
- Neben kleinen und großen Kochbüchern wird auch eine Weltchronik gezeigt (Heinrich von München, Bayern oder Österreich um 1390).  Foto: onb

Neben kleinen und großen Kochbüchern wird auch eine Weltchronik gezeigt (Heinrich von München, Bayern oder Österreich um 1390). Foto: onb

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Der Philosoph und Soziologe Norbert Elias wollte im 20. Jahrhundert mit Hilfe der Esskultur einen Zivilisationsprozess der Menschheit aufzeigen.

Die Österreichische Nationalbibliothek besitzt an die 2500 Ratgeber darüber, wie gut, gesund, billig und schnell gegessen werden kann – die ersten davon stammen aus dem Mittelalter. Aus diesem reichen Bestand hat Hannes Etzlstorfer für den Prunksaal eine Ausstellung über mehrere interessante Themenkreise gefiltert.

Kleine Kochbücher und Kulinarik-Kuriositäten

Von Kuriositäten wie dem kleinsten Kochbuch (einer Ballspende aus 1905) bis zum Kochbuch für Hunde, vom Tatort Küche über die Hierarchien und Disziplinierungen bei Tisch, das erste Milchrahmstrudelrezept aus Wien 1763, die Geometrie der Linzer-Torte und Falscheinschätzungen von Kartoffel und Tomate nach ihrer Ankunft aus Amerika, ist hier viel an Information zu finden. Es ist zwar leidlich bekannt, dass die Tomate bis zur Einführung in der italienischen Küche im Norden als giftig galt, nicht aber, dass die Ananas zu Mundbluten führen sollte und der Kohl, die Armenspeise schlechthin, Melancholie verursachen sollte. Vorurteile gegenüber dem Gemüse zeigen sich auch in der gehobenen Fastenspeise der Reichen: Fisch und Schalentier. Ein päpstlicher Koch galt als "Leonardo der Kochkunst", Medizin und religiöse Gebote waren immer verwoben, alles andere gilt auch in den koscheren Essvorschriften der Juden als Völlerei. Kabbala und "schwarze Kunst" (Alchemie) mischten sich in die geheimen Kochkünste.

Reizvoll, weil fremd, war auch die Kalifenküche. Der deutsche Kochbuchschreiber Max Rumpolt führte selbst den Verzehr von Igeln aus seiner ehemaligen Heimat, der Mongolei, in Deutschland ein.

Struwwelpeter und Würstel-Weisheiten

Berühmte Handschriften wie das "Tacuinum sanitatis" aus dem 14. Jahrhundert in Oberitalien weisen den Umgang mit den Pflanzen im Jahreskreislauf, Giovanni Cadamosto hundert Jahre später auch den mit Fleisch und Schlachten. Zu den Aufbewahrungsfragen kommen Fotos aus dem ehemaligen Schlachthof St. Marx, exotisch erscheint ein Delfin beim Fischstand am Naschmarkt 1971 und in der Literatur taucht Thomas Bernhard als Kenner der Materie auf. Ergänzend zu den Büchern zeigt man Geräte wie einen metallenen Fleischerzunfthumpen in Stierform, Puppenküchen und Kompositionen für Tafelmusik.

Raritäten wie das Mondseer Kochbuch (1439/40), das Innsbrucker Rezeptbuch Kaiser Maximilians I. und die ersten deutschen Kochbücher liegen neben dem Struwwelpeter oder Weisheiten vom Würstelstand. Das macht die Schau abwechslungsreich und sympathisch. Auch zu erfahren, dass soziale Stellung und besseres Essen nicht vor einer Pilzvergiftung bewahrten – Kaiser Karl VI. war ihr Opfer. Oder, dass der Name Kaiserfleisch durch dessen Vater Leopold geprägt ist. Für den schwächlichen Säugling wurde jeden Tag ein neues Schwein als Brutkasten geschlachtet, das Fleisch ging danach an die Armen. Trotz viel historischer Kost vergeht einem hier nicht der Appetit.

Tafelkultur

Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek

Josefsplatz1, 1010 Wien

Bis 31. Oktober

Hannes Etzlstorfer (Kurator)

Di bis So 10 bis 18 Uhr

Do 10 bis 21 Uhr

http://www.onb.ac.at/

Geistestränkend.

Dienstag, 02. Mai 2006


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