Man empört sich wieder einmal. Die einen über eine zu Igor Strawinskis Ballett Renard in der Staatsoper eingeblendete Bildsequenz aus Hermann Nitschs Orgien Mysterien Theater, bei deren Anblick ihnen übel wird.
Andere wieder - und mit ihnen begreiflicherweise auch Hermann Nitsch - sind jetzt auf der Palme, weil Gyula Harangozó, der neue Ballettchef von Staats- und Volksoper, bei den künftigen Renard-Aufführungen aus Rücksicht auf die Magennerven seines Publikums auf diese Bildsequenz zu verzichten gedenkt.
Die Entscheidung, welcher Kulturzorn nun der heiligere ist, fällt schwer. Niemandem kann man übel nehmen, dass ihm beim Anblick gewisser Bilder übel wird. Und auch die Meinung, ein Veranstalter, der wegen ein paar Publikumsprotesten eine auch äußerst positiv beurteilte Aufführung verändert, sei ein Weichei, hat einiges für sich.
Die Ursache für diesen nun aufblubbernden Miniaturskandal liegt allerdings tiefer: Das Orgien Mysterien Theater und seine mythische Botschaft sind von physischer Präsenz und direkter Wirksamkeit, das Theater im herkömmlichen Sinn ist Schein, bleibt auch in seinen radikalsten Realismen ein Als-ob. Zwischen diesen beiden Sphären besteht ein Unterschied wie zwischen Blutopfer und Hostie.
Und der ästhetisch grundsätzlich fragwürdige Versuch, die wilden theatralischen Wirklichkeiten eines Hermann Nitsch im Plüsch der Staatstheater zu etablieren, verrät meist nicht mehr als das direktoriale Bedürfnis nach vordergründigem Event.
Auch wenn
Hermann Nitsch selbst bei derlei Annäherungen große
Kooperationsbereitschaft an den Tag legt, so wird sie das
Wirkungsprinzip seiner Kunst letztlich doch als veranstalterischen
Mutwillen enttarnen.
(DER STANDARD, Printausgabe vom 23.9.2005)