15.06.2003 09:48
Pfahlsitzen, Ringturnen oder den Schritt lüften
Ein erster Rundgang durch die Giardini zeigt, was
Künstler und Besucher im Schweiße ihres Angesichts so alles ertragen müssen - Foto
Von der "Kirche der Angst" über Amazonen und schwüle Malerei mit
Glitter zur U-Bahn in Richtung Ginger-Vodka: Ein erster Rundgang durch die
Giardini zeigt, was Künstler und Besucher im Schweiße ihres Angesichts so alles
ertragen müssen.
Die Venezianer sagen, es wäre noch nie so heiß gewesen wie derzeit.
Zumindest nicht, seit Aufzeichnungen über die Temperatur geführt werden. Und
auch bei den Besuchern der Premierentage vor der offiziellen Biennale-Eröffnung
kann sich keiner an ein derart großes Schwitzen erinnern. Und also tauscht man
sich auch mit den Tausenden Kunstsachverständigen aus aller Welt vor allem über
das Wetter und nächstgelegene Mineralwasserquellen aus.
Beim exklusiven
Dinner für Bruno Gironcoli im noch exklusiveren Hotel des Bains am Lido (der
einladende Staatssekretär Franz Morak war eingedenk unserer Pensionen abstimmend
ans Parlament in Wien gebunden, das Essen hat aber tadellos funktioniert) hielt
es kaum einen Herrn in seinem Sakko, fielen die Binder zu Dutzenden, fächerten
die Damen so rabiat, als gelte es, den Geist Thomas Manns aus dem literarisch
wertvollen Speisesaal zu vertreiben.
Nicht zu vertreiben sind jedoch
Christoph Schlingensiefs Brüder in der Church of Fear, die zwecks Erregung
gesteigerter Aufmerksamkeit für all jene, denen alles andere genommen worden ist
als ihre Angst, eine International-Pole-Sitting-Wettbewerb-Competition abhalten.
Teilnahmslos hocken sie auf ihren Pfählen, und obwohl ein jeder Giardinibesucher
unter ihnen durchmuss, hält sich die allgemeine Anteilnahme in Grenzen. Sich
anschließen und aktiv mitkämpfen will kaum einer. Und skurrile Inszenierungen
wie Pfahlsitzen gibt es nun auch schon wieder seit Jahrzenten auf jeder
Kunstveranstaltung.
Heuer zum Beispiel im Pavillon der Tschechischen und
der Slowakischen Republik. Dort nimmt einer die (sportlichen) Anstrengungen der
ganzen Menschheit auf seine Schultern. Beim Ringturnen gibt es die beliebte, im
internen Jargon "Christus" genannte Übung, sich mit seitlich möglichst
horizontal abgestreckten Armen in Schwebe zu halten. Nicht an ein stabiles Kreuz
genagelt, ist das ungemein anstrengend. Und also dachten sich Kamera Skura &
Kunst Fu, sie lassen einen Profi an die heikle Sache ran:
Die Ringe
hängen vom Himmel herab, der Erlöser turnt mit unerreichter Ausdauer, hängt
reglos und mehr traurig als angestrengt da und bricht alle Rekorde. Das Publikum
in der (Videowall-)Arena ringsum spendet tosenden Applaus, schwingt Fahnen,
grölt und erfreut sich am Erfolg des Schmerzensmannes.
Gleich daneben ist
einer der wenigen Pavillons, die heuer mit Vorsprung ins Rennen um den Goldenen
Löwen gehen: einer mit Klimaanlage, im Speziellen der Französische, der diesmal
als Pavillon des Amazones läuft. Jean Marc Bustamente hat sich das ausgedacht,
die Repräsentationsarchitektur vermittels kleinerer Einbauten in einen intimen
Weiheraum für Amazonen die Bustamente in "sorts of no man's land" fotografiert
hat. Den Mythos der Amazonen hält er für zeitlos aktuell. Er sieht in ihnen
Gleichnisse für die moderne selbstständige Frau, wie auch ganz allgemein den
Künstler.
Der Deutsche Pavillon gleich gegenüber ist nicht klimatisiert
und dennoch in planmäßigen Intervallen für ein frisches Lüfterl im Schritt gut:
Im Gedenken an Martin Kippenberger hat man dort einen weiteren Lüftungsschacht
seines weltweiten U-Bahn-Netzes installiert. Und wenn man dann die Garnitur
einfahren hört, schnell auf Gitter gestellt, und schon fliegen wieder einmal die
Röcke.
Sonderschaugast Nicht als nationaler Repräsentant, sondern als
Teilnehmer der Sonderschau Träume und Konflikte - Die Diktatur des Betrachters
kam Pedro Cabrita Reis, seit Mitte der 80er-Jahre international renommierter
Portugiesischer Künstler, zu einem Stand in den Giardini: Ein großzügiger
Verschlag mit dem Titel absent names bittet nahe der Österreich-Ecke die
Betrachter durch eine schmale Tür in ein Inneres voller surrender Neonröhren und
fallweisem Vogelgezwitscher zum Nachdenken über verlöschte Präsenz, unabsehbare
Lebenswege, das ganze Dasein überhaupt. Innen ist es derart hell, dass die
Frage, ob es draußen denn dunkel sei, gleich einmal auf der Zunge brennt. Und -
Geheimtipp! - innen ist es derart kalt, dass man von draußen gleich überhaupt
nichts mehr wissen will.
Zum Wiederauftauen sei für diese erste Runde
erstaunlicherweise gerade der Pavillon Großbritanniens anempfohlen: Dort hat
Chris Ofili ein schwüles Boudoir mit schimmernden Gemälden inszeniert, die etwa
Afro Love and Envy heißen. Danach ist ein No-Logo-Ingwer-Vodka in Meschgabas Bar
bei den Holländern lebensrettend.