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Gekritzel und Geschmier

21.12.2007 | 18:20 | Von Adolf Holl (Die Presse)

Am Anfang des Nachdenkens über Bilder steht ihr Verbot, so Gottfried Boehm in seiner Studie „Wie Bilder Sinn erzeu-gen“. Das gegenwärtige Bildbewusstsein sei hingegen vom rasenden Erfolg der schwachen Alltagsbilder geprägt.

Was Sie seit etlichen Jahren über die „ikonische Kehre“ (iconic turn) der Kulturwissenschaften in Erfahrung bringen wollten, sich aber nicht zu fragen trauten, jetzt liegt es vor, mit der Sammlung von Aufsätzen des Basler Ordinarius für Kunstgeschichte, Gottfried Boehm, unter dem Titel „Wie Bilder Sinn erzeugen“. Seit 2005 ist Boehm auch Direktor des Schweizerischen Nationalen Forschungsschwerpunktes „Bildkritik“. Für eilige Leser gibt er eine bündige Antwort. Sie lautet: Welt wird Bild.

Gut so. Warum aber verdienen die Damen und Herren in den einschlägigen Orchideenfächern ihr Geld mit einer ikonischen Kehre?

Weil erstens diverse Kehren (turns) neuerdings stark im Kommen sind, auch wenn damit alte Hüte aufgefrischt werden.

Zweitens kommt das Ikonische vom griechischen eikon, was Bildnis bedeutet.

Drittens werden unsere Pupillen bekanntlich von immer mehr Bildern belästigt, seit der Erfindung des Buchdrucks, der Fotografie, des Films und so weiter, was sich auch bis zu Gottfried Boehm herumgesprochen hat.

Viertens können Bilder nicht reden, sie sind einfach da, sie zeigen sich oder werden gezeigt, bis zum Abwinken. Mit Magnetresonanztomografie, Rastertunnelmikroskop oder dem Hubbleteleskop vollzieht sich eine ikonische Durchdringung der Realität, meint Boehm.

Weil Bilder sich einfach nur zeigen, muss fünftens über sie geredet beziehungsweise geschrieben werden, was gut für den Kunsthandel ist. Ein Kunstwerk ohne Kommentar kann man vergessen, hat Rudolf Burger gewohnt provokant behauptet und damit einen Sturm im Wasserglas verursacht, so wie es sich gehört.

Sechstens ist der Gegenstand jeglicher Bildbeschreibung genau das, worüber sich nicht reden lässt, laut Boehm. Deshalb gelte es, die Macht des Zeigens und deren Souveränität zu erkennen und ihre gewaltige Rolle in der Kultur zur Geltung zu bringen.

Sagend das Unsagbare verstehen, als klare Schranke und Verhüllung. Damit sind wir bei Heidegger angelangt, dessen Zeigefinger auf den Fotos während des berühmten „Spiegel“-Gesprächs von 1966 (veröffentlicht 1976 nach Heideggers Ableben) erschien und Boehm Gelegenheit gibt, das griechische Wort für das Zeigen (deixis) in Position zu bringen. Deixis eröffnet, dies Boehms These, eigene Zugänge zur Welt.

Leichter gesagt als getan. Also schön der Reihe nach, am besten mit Verweis (Zeigefinger!) auf das religiöse Erbe der Zehn Gebote, denen die ägyptische Götzendienerei ein Gräuel war und ist. Am Anfang des Nachdenkens über Bilder, so Boehm, steht ihr Verbot. Betroffen vom mosaischen Vorbehalt seien nicht Bilder schlechthin, sondern ausschließlich jene, die das Arkanum repräsentieren oder – im politischen Bereich – die Träger der Macht.

Ein heikles Thema. Dürfen Muslime womöglich nicht ins Kino gehen? Ein paar Gehirnwindungen weiter landet Boehm lieber in der klassischen Moderne, bei Kandinsky und Malewitsch, und attestiert ihr ikonoklastische Praktiken, fortgesetzt in den Übermalungen Rainers und den „schwarzen Bildern“ Ad Reinhardts. Folgt eine weitere These: Deixis beruht auf Negation.

Spätestens hier dämmert auch dem geduldigsten Publikum, dass ein Seinsphilosoph das Wort ergriffen hat. Sein Lehrer heißt Hans-Georg Gadamer (gestorben 2002), aus dessen Gesammelten Werken (zehn Bände) Boehm seinem Promotionsvater ein Kränzlein geflochten hat, auf dass die sogenannte und von Gadamer neu belebte Hermeneutik (schon wieder die alten Griechen) nicht in Vergessenheit gerate. Die Vokabel taucht erstmals bei Platon auf, als hermeneutike techne für Übersetzer und Dolmetscher, verwandt mit der mantike techne für Orakelpriester. Über die Wahrheit dessen, was sie verständlich zu machen hatten, stand den Hermeneutikern und Mantikern kein Urteil zu, bemerkte Platon.

Das allerdings legt eine Pointe nahe, die kaum in der Absicht unseres Autors liegt. Bildbeschreibung, aufgefasst als Kunstfertigkeit (techne), geriete dann in die Nachbarschaft der Experten von einst, die das nächtliche Geschrei eines Käuzchens zu deuten vermochten, ohne Anspruch auf die Wahrheit der Botschaft. So ähnlich vermittelt auch die heutige Bildkritik zwischen sprachlosen Hervorbringungen (diesfalls der bildenden Künste) und einem Publikum, das sich nicht auskennt.

Die schlechte alte Zeit hatte es diesbezüglich leichter. Alle Leute wussten, dass zur heiligen Barbara ein Turm gehört, zur heiligen Magdalena ein Wurm und zur heiligen Katharina ein Rad. Das waren die heiligen drei Madeln. Die Pfarrer brauchten lediglich die Geschichten vom Turm, vom Wurm und vom Radl erzählen, ohne sich dabei um das zweite Gebot Gottes zu kümmern.

Tempi passati. Daher übernimmt Boehm von Gadamer die Unterscheidung zwischen „starken“ und „schwachen“ Bildern. Letztere seien das eigentliche Produkt der visuellen Massenmedien, meint Boehm, und das gegenwärtige Bildbewusstsein würde vom rasenden Erfolg der schwachen Alltagsbilder geprägt. „Die alte Welt“, so Boehm weiter, „mit ihrer reichen, aber doch überschaubaren Ökonomie der Bilder, die an ausgezeichneten Orten, bei ausgewählten Gelegenheiten und nach der Legitimität ihrer Inhalte kultiviert wurde, liegt wie ein ferngerückter Kontinent am Horizont der Vergangenheit.“

In diesem Zusammenhang wäre ein beiläufiges Kompliment für Hans Beltings „Erfindung des Gemäldes“ kein Fehler gewesen. Von Belting lässt sich lernen, dass die älteste christliche Ikone nur ganz selten gezeigt wurde, damit das Antlitz Christi nicht von den Blicken der sündigen Menschen beleidigt würde. Das Original ging während der Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer verloren, war aber so oft kopiert worden, dass russische und bulgarische Truppen im Ersten Weltkrieg das sogenannte Mandilion auf ihren Fahnen hatten.

Ein starkes Bild also. Dagegen hält Boehm jenes Gekritzel und Geschmier, dessen „linkische“ Präsenz Roland Barthes an Cy Twombly untersucht hat. Das war noch vor der ikonischen Kehre. Ob man ihr ein langes Leben wünschen soll, lässt Boehm dankenswerterweise offen. Er darf weiterhin dem Logos dienen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2007)


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