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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | ars electronica 
23. August 2006
19:17 MESZ
Foto: Ars Electronica/Maeda
John Maeda: Landschaftsbilder zum besseren Verständnis des Innenlebens von Computern.

Vom Umgang mit der Komplexität
John Maedas 13 Gesetze zur Alltagsbewältigung

Linz - Noch haben wir nicht alle Funktionen unseres alten Handys im Griff, schon müssen wir uns mit einem neuen befassen, das noch mehr Schaltflächen hat. Dass die Balance zwischen Mensch und Technik aus dem Lot geraten ist, merken wir jeden Tag: Der amerikanische Design-Star und Vordenker des "Simplicity"-Gedankens John Maeda verspricht, diesen Zustand zu ändern.

Gemeinsam mit seinen Studierenden erarbeitet der Informatik- und Designprofessor am berühmten MIT Media Lab in Boston für den Umgang mit Komplexität 13 Gesetze, die im Wesentlichen auf durchwegs vertrauten Beobachtungen basieren: Wegen eines Schneesturms war der 38-jährige Asian-American am Flughafen La Guardia zu einem Aufenthalt gezwungen, den er in Warteschlangen verbrachte. Während man dieser Unannehmlichkeit gemeinhin wohl kaum Positives abgewinnen kann, entwickelte der Designer daraus einen wesentlichen Grundsatz seiner Theorie: "Die positive emotionale Reaktion, die auf einer Erfahrung der Einfachheit beruht, hat weniger mit Nützlichkeit zu tun, als mit dem Sparen von Zeit."

Maeda, der mit diesem Gesetz auch gegen das reine Effizienzdenken der Industrie Stellung bezieht, konnte zudem einem mittelmäßigen Football-Match ein interessantes Gesetz abgewinnen: "Man möge das Offensichtliche subtrahieren und zugleich das Sinnvolle addieren."

Was bei ihm durchaus einleuchtend klingt, dürfte zwar nicht nur den Football-Spielern, sondern auch den von ihm ausgebildeten Grafikern in der praktischen Anwendung gar nicht so leicht fallen, aber schließlich weiß Maeda auch, dass "der Prozess, einen idealen Zustand der Einfachheit zu erreichen, wirklich komplex sein kann".

Seit 2004 widmet er sich gemeinsam mit seinem hochfinanzierten "Simplicity"-Konsortium dem ehrgeizigen Projekt, die Gesetze der Einfachheit zu entschlüsseln. Unter anderem dient ihm dabei das Schweizer Taschenmesser als ein klassisches Beispiel für das rücksichtslose, aber dennoch nachvollziehbare Verbergen von Komplexität: "Nur das Werkzeug, das man gerade verwenden möchte, ist exponiert, während alle anderen Klingen und Funktionen versteckt sind."

Praxisnähe und die Psychologie der Mensch-Maschine-Beziehung ist für den 38-jährigen John Maeda, der laut Esquire-Magazin bereits zu den 21 wichtigsten Menschen des 21. Jahrhunderts zählt, ein wesentliches Kriterium, um die immer komplexer werdende Beziehung zwischen Mensch und Maschine auf ein niedrigeres Maß herunterzuschrauben. Statt einer fertigen Oberfläche fordert er einen bewussteren Umgang mit der Hard- und Software, aber auch mehr Interaktivität in den diversen Anwendungen.

Benutzerfreundlichkeit bedeutet für ihn nicht nur, eine fertige Oberfläche zu gestalten, die die Komplexität der Maschine vollkommen unzugänglich macht, sondern vor allem, dass der Benutzer die Komplexität der Maschine versteht: "Wenn wir Simplicity nur als Vereinfachung und Reduktion verstehen, die Technologie "unsichtbar" werden lassen, und so Art und Umfang des Einsatzes von Technologie einfach ausblenden, dann können wir auch die Aus- und Nebenwirkungen nicht mehr nachvollziehen. Dann berauben wir uns nicht nur der Selbstbestimmung, sondern auch der Möglichkeit die Kapazitäten und Potenziale der Technologie voll auszunutzen."

Rätsel Farbe

Den zunehmenden Verlust der Selbstbestimmung durch einen unbewussten Umgang mit industriell vorgefertigten Programmen, durch den auch die Grafiker zu abhängigen Anwendern von Industrienormen würden, kritisiert Maeda nicht zuletzt an seiner eigenen Zunft: "Wir leben in einem Zeitalter, in dem der Maler nichts mehr über die Farbe weiß", ist nur eine seiner Thesen, die er nicht nur in seinen kommerziellen Designs für Konzerne wie Sony, sondern auch in seiner Kunst zu untergraben versucht. Davon ausgehend, dass die komplexen Vorgänge in der Natur zu den Dingen gehören, die in ihrer "eleganten Einfachheit seit Jahrhunderten Ziel und Maß wissenschaftlicher wie künstlerischer Leistungen" sind, entwickelte Maeda für seinen Bilderzyklus Nature eine eigene Software, die es ihm erlaubt, in "Raum und Zeit" der virtuellen Welt mit eigenen Farben "gestisch" zu malen.

Im Rahmen der diesjährigen Ars Electronica, für die er auch ein Symposium zum Thema Simplicity kuratierte, sollen seine bewegten Landschaftsbilder nicht nur durch ihre "hypnotische Schönheit und die Sinnlichkeit" bestechen, sondern vor allem ein besseres Verständnis für das Innenleben von Computern vermitteln. (Christa Benzer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.8.2006)


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