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15.11.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Interview: "Ich will nicht von heute sein"
VON ALMUTH SPIEGLER
In Wien war Jan Fabre bisher vor allem für seine Tanzperformances bekannt. Jetzt gibt eine Ausstellung auch Einblick in sein bildnerisches Werk. Ein Gespräch mit dem Flamen.

Ein Hauch von James Dean wehte durch einen kalten Samstagvormittag, als Jan Fabre mitten im gediegenen Wiener Vernissage-Publikum auftauchte, das sich zur Eröffnung von Mario Mauroners Galerie in der Weihburggasse 26 versammelt hatte. Den Mantelkragen seines winterweißen Trenchcoats aufgestellt, die Zigarette wie ein sechster Finger an der Hand, Blick und Dreitagesbart erzählten von harten Nächten. Die Inszenierung wirkte schon fast irreal gut. Kein Wunder, entwickelt und hinterfragt der 1958 in Antwerpen geborene Flame diese Kunst schon seit Jahrzehnten.

Tanz, Theater, Oper, Film, Performance, Bühnenbild, Installation, Skulptur, Zeichnung - Jan Fabre ist nicht zu fassen. Dabei soll in diesem Fall die Bezeichnung Allround-Künstler bei weitem nicht für Pfuschen in allen Gassen stehen! Fabre ist nie Amateur, Fabre ist in allem obsessiver Perfektionist, ausgezeichnet mit einer fast altmodischen romantischen Ader. Wobei seine Arbeit als Choreograf wohl insgesamt die Weg weisendste war, in ihrer hoch artifiziellen Ästhetik, in ihrem Austesten von Körper und Raum. Einen seiner ersten großen Auslandserfolge in diesem Gebiet feierte der Flame sogar in Österreich, beim "steirischen herbst" 1987 mit "Dance Sections", der Vorstudie zu seiner ersten, 1990 uraufgeführten Oper "Glass in the head will be made of glass".

Als Kulisse verwendete Fabre damals eine penibel mit Kugelschreibern ausgemalte Wand. Eine klare Übernahme aus seinem damaligen künstlerischen Werk, der "Blauen Periode" sozusagen, als er mit Bic-Kulis Fotos und schon einmal ein ganzes Schloss überzeichnete. Ein Drang, der ihn bis heute nicht losgelassen hat, obwohl er ihm in viel geringerem Ausmaß nachgibt als in den 80er Jahren. Wie verbunden also ist Fabres theatralische und bildnerische Arbeit? Würde er seine Bühnenausstattungen auch in Galerien und Museen ausstellen? Die Antwort ist kurz und klar: "Nein, nie. Das sind zwei völlig verschiedene Medien, zwei verschiedene Erinnerungen, zwei verschiedene Arten der Präparierung. Natürlich gibt es Links, Verbindungen - aber das eine kann nicht das andere werden." Raum und Energie etwa sind Themen, die sein Werk auf allen Ebenen beherrschen.

Obwohl Fabre mit so vielen verschiedenen Medien gleichzeitig arbeitet - in der Galerie sind Installationen zu sehen, Film und Zeichnung - verwehrt er sich aber strikt der Schublade "Multi-Media-Künstler": "Ich verwende verschiedene Medien, aber ich vermische sie nicht." Sehr wohl aber vermischt er Wissenschaft und Kunst: Seit seiner Kindheit interessiert sich Fabre für Insekten, bildete sich selbst zum Entomologen aus, unterhält Kontakte mit den einschlägigen Universitäts-Instituten auf der ganzen Welt. Oft beruft er sich dabei auch auf seine Verwandtschaft mit dem französischen Wissenschaftler Jean-Henry Fabre (1823-1915), der für seine Untersuchungen und Beschreibungen des Verhaltens der Gliederfüßer berühmt wurde.

Und überall entdeckt man sie in Fabres Welt, die Käfer, Skarabäen, Heuschrecken: Eines seiner Lieblings-Materialien sind die schillernden Panzer des indonesischen Juwelenkäfers - farblich ähnlich inkonsistent, nicht festzulegen, wie das Blau-Violett des Bic-Kugelschreibers. Mit den Panzern überzieht er Büsten, Särge, Vogelhäuschen. 1,5 Millionen Stück brauchte er, um die Decke des Spiegelsaals des königlichen Palastes in Brüssel 2002 in einen grün, blau, gelb changierenden Himmel zu verwandeln - Fabre war der erste Künstler seit Rodin, der im Palast Hand anlegen durfte. Zwei Jahre lang waren Helfer unterwegs, um u. a. in Restaurants in Indonesien dieses so kostbar wirkende "Abfallprodukt" zu sammeln.

Die Entomologie ist ein wichtiger Faden, mit dem Fabre an seiner Künstlerlegende spinnt: Diesen Sommer verkaufte er sein altes Zelt, in dem er 1978 sein erstes Laboratorium zur Insekten-Beobachtung eingerichtet hatte, an ein Museum in Neapel. Und mit seinen Tänzern studiert Fabre, der Choreograf, die Bewegungen von Insekten - "Das heißt aber nicht, dass ich kopiere, dass ich Käfer auf die Bühne bringe", fügt er schnell hinzu: "Es geht darum, das Wissen zu nützen und ihm in einem anderen Medium eine andere Interpretation zu geben. So kann Kunst von Wissenschaft und Wissenschaft von Kunst profitieren."

Und jetzt kommt er, dieser geheimnisvolle Begriff, mit dem sich Fabre seit fünf Jahren beschäftigt: "Ich bin ein Künstler, der an Consilience glaubt - kennen Sie dieses Wort?" Nicht unbedingt - aber kein Wunder. Mitte des 19. Jahrhunderts vom Philosophen William Whewell geprägt, ist das Wort heute in Vergessenheit geraten - Ausreißer ist das Buch "Consilience: The Unity of Knowledge", das der Biologe und (Entomologe) Edward O. Wilson 1998 veröffentlichte. Fabre versteht Consilience als Zusammenspiel, als vereintes Wissen von Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften und Kunst: "In diesem Sinn bin ich ein sehr romantischer Künstler, ich bin nicht von heute. Und ich will auch nicht von heute sein", sagt Jan Fabre - und der Mann meint das ernst. "Ich kann mit diesem Zynismus in der heutigen Kunst nichts anfangen. Mein Werk soll von Hoffnung erzählen, nicht von Zynismus."

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