MEINUNG
Die Kultur und der Chef
Berlin ist nicht
nur die Hauptstadt von Deutschland, sie ist auch die Kulturhauptstadt
der Bundesrepublik. Zumindest. Manche meinen, Berlin sei auch auf dem
Wege, die wichtigste Kulturstadt von Europa zu werden. Tatsache ist,
daß Kunst und Kultur in Berlin einen besonderen Stellenwert haben. Und
da hat der vor zwei Monaten im Amt bestätigte Regierende Bürgermeister
von Berlin, der Sozialdemokrat Klaus Wowereit, nun einen besonderen
Schritt gesetzt. Im Zuge der
Koalitionsverhandlungen der rot-roten Regierung hat Wowereit nämlich
erklärt, daß er in Zukunft selbst für den Bereich Kultur zuständig sein
werde. Wowereit meinte mit Stolz auf seine Entscheidung: "Kultur ist
dann beim Regierungschef angesiedelt. Schwergewichtiger kann es nicht
sein!" Schließlich sei bekannt, daß er großes Interesse für Kultur
habe, daher freue er sich auch auf die neue Aufgabe. Ganz so erfreut
wie Wowereit zeigten sich nicht alle. Die ehemalige Berliner
Kultursenatorin Adrienne Goehler, eine Parteifreie, hat vor den Folgen
gewarnt. Dadurch, daß sich der Regierende Bürgermeister nun selbst der
Kunst und Kultur annehmen werde, würden diese Bereiche "zur
Chefnebensache", nicht zum "Schwergewicht" in der Regierung. Goehler
machte auch auf "die symbolische Bedeutung des Verschwindens" eines
eigenständigen Kulturressorts aufmerksam. "Auch dadurch, daß es nun
keinen Kultursenator mit Rederecht im Parlament mehr gibt, wird es ganz
deutlich: Die Kultur verliert die Stimme." Manche, wie etwa Manuel Brug
in der "Welt", meinen auch, daß Klaus Wowereit einen etwas
eingeschränkten Kulturbegriff habe, er sei dort zu finden, "wo es
glänzt, wo es schön ist, wo es Spaß macht". Und Adrienne Goehler sagt
dazu, daß sie fürchte, daß Wowereit eher "auf den feinen Zwirn achtet
und von der Kunst das Schöne, das Gute und das Wahre erwartet". Wichtig
aber sei - vor allem international - für Berlin das, was "in den
Branchen, Clubs und Labels" geboten werde - und das wiederum sei
Wowereits Sache nicht. Ohne hier in
politische Diskussionen in Berlin eingreifen zu wollen, könnte man den
Damen und Herren doch einen Rat geben: Sie mögen den Blick - wie das in
jüngerer Zeit ja immer öfter geschieht - nach Österreich wenden. Da
könnten sie lernen. Denn auch hier war es ein sozialdemokratischer
Bundeskanzler, nämlich Viktor Klima, der im Jahre 1997 die Kultur zur
"Chefsache" erklärt, das Kulturministerium abgeschafft und Peter
Wittmann zum Staatssekretär für Kultur gemacht hat. Auch Klima hatte
damals gemeint, daß man mehr für die Kultur nicht tun könne, als sie
beim höchsten Amt, nämlich beim Bundeskanzler, anzusiedeln. Wir kennen
das Ergebnis. Klima hatte keine Zeit, vielleicht auch zu wenig
Interesse, Wittmann war deshalb ein zu leichtes Gewicht innerhalb der
Regierung. Diese Praxis wurde dann auch von der ÖVP-FPÖ-Regierung unter
Wolfgang Schüssel ab 2000 fortgesetzt. Wir könnten aus
der nun zehnjährigen Erfahrung eine Warnung nach Berlin schicken: Ein
Regierungschef hat so viele Aufgaben, Termine, Verpflichtungen, daß die
Kultur zwangsläufig zur Nebensache, nicht zur Chefsache wird. Gerade
deshalb gibt es ja so viele aus Kunst und Kultur, die im Zuge der
derzeit laufenden Regierungsverhandlungen (wenn man von solchen
überhaupt noch sprechen kann) fordern, daß für Kunst und Kultur wieder
ein eigenes Ministerium geschaffen wird. Denn nicht nur Berlin setzt in
der internationalen Politik auf Kultur. Auch Österreich. Das lebt
geradezu von der Kultur. VON WALTER FINK
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