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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | ars electronica 
23. August 2006
19:15 MESZ
Foto: Ars Electronica
"Morphovision - Distorted House": Toshio Iwai wird nicht müde, neue Dimensionen virtueller Welten zu erforschen.

Durch Licht verzerrte Häuser: "Featured Artist"
Der Japaner Toshio Iwai gilt derzeit als eine der innovativsten Persönlichkeiten der interaktiven Medienkunst

Als "Featured Artist" der diesjährigen Ars Electronica stehen sein Werdegang, seine Philosophie und seine Arbeiten im Mittelpunkt einer Ausstellung und einer Lecture.


Linz - 1997 gewann Toshio Iwai in Linz die Goldene Nica. Ausgezeichnet wurde er damals für sein Projekt Music Plays Images x Images Play Music, das er 1996 gemeinsam mit Ryuichi Sakamoto im Art Tower Mito in Mito City realisierte. Mit dem audiovisuellen Projekt, das auf einem Jahr intensiver Zusammenarbeit zwischen ihm und dem berühmten Komponisten basierte, katapultierte sich der 1962 geborene Iwai damals direkt in den Olymp der Medienkunst.

Nicht nur weil das audiovisuelle Zusammenspiel einen vollkommen neuartigen Raum der Musikalität und Visualität schuf, sondern auch weil das Experiment im Internet übertragen wurde: Via Remote-Control konnten die Internet-User auf dem im Art Tower Mito stehenden Flügel Klavier spielen, während Ryuichi Sakamoto vor Ort mit ihrem Spiel interagierte.

Begonnen hat der gefeierte Medienkünstler, Computerfreak und Elektroplankton-Erfinder seine Karriere mit kleinen Animationsfilmen, bevor ihn nicht nur die internationale Kunstwelt, sondern auch das japanische Fernsehen entdeckte: Und während er dort Anfang der 90er-Jahre mit seinen virtuellen Sets für die wissenschaftliche Nachrichtenshow Einstein TV oder die äußerst populäre interaktive Kindersendung Ugo Ugo Lhuga zur Kultfigur avancierte, war er auch schon bei den einschlägigen internationalen Avantgarde-Ausstellungen und Medienkunst-Symposien - u. a. bei der Biennale d'art contemporain de Lyon 1995, dem Doors-of-Perception- Symposium am Niederländischen Designinstitut in Amsterdam 1995 oder der bahnbrechenden Ausstellung Mediascape 1996 im New Yorker Guggenheim Museum - ein eloquenter und gern gesehener Gast.

Ähnlich wie sein Kollege John Maeda davon ausgehend, dass Dinge erst dann interessant werden, wenn wir auch ihre Funktionsmechanismen verstehen, versuchte auch Toshio Iwai diese dem Publikum "interaktiv" vor Augen zu führen: "Beim Durchblättern eines Daumenkinos unter bewusster Verwendung der Finger erfährt jede Körperfunktion ihre Bestätigung. Das ist ein vollkommen anderes Erlebnis, als würde der Benutzer etwas unbewusst und passiv wahrnehmen.

"Nehmen wir die Augen. Wenn man etwas nur sieht, sind damit andere Gefühle verbunden, als wenn man es betrachtet und versteht, wie der Mechanismus funktioniert".

Die Funktionsmechanismen optischer Täuschungen verarbeitete Toshio Iwai sowohl in seinen frühen Animationsfilmen als auch in seinen späteren Film- und Videoprojekten, die die genialen, aber einfachen Tricks der historischen Vorläufer des Kinos visualisieren: optische Täuschungen und Effekte wie Anamorphosen, Daumenkino, Zoetrope, das Praxinoscopisches Theater u. Ä.

Kompositionstisch

Mit seiner interaktiven Installation Composition on the table, die er 1999 in der Kunsthalle Bonn präsentierte, zielte er allerdings - ähnlich wie schon mit seiner Klanginstallation in Linz - darauf ab, "alle Sinne zu stimulieren": Die Tischkonstruktion, die auf einer von Tohsio Iwai entwickelten Computersoftware basierte, stellte ein einfaches Interface dar, auf dem die Besucher in Echtzeit ein Musikstück generieren konnten.

Sie bestand aus einem Raster von Druckschaltern, die mit einem Datenprojektor kombiniert wurden. Der Projektor befand sich an der Decke oberhalb des Tisches. Die Projektionstechnik zeigte einfache grafische Symbole, die sich auf die Drucktasten im Tisch bezogen und so die Auswahl verschiedener "Instrumente" ermöglichte. Durch kombiniertes Drücken der Schalter konnten so in verschiedensten Varianten loopartig angelegte Musikkompositionen gestartet und verändert werden, die sich durch die Projektion auf den Tisch wieder grafisch verfolgen ließen.

Mit seinem neuesten Projekt Morphovision - Distorted House, das er gemeinsam mit NHK Science und den Technical Research Laboratories in Japan entwickelt hat, will der Multimediakünstler Toshio Iwai wieder über die ihm bisher bekannte virtuelle Realität hinaus: Ein Miniaturhaus, das mit hoher Geschwindigkeit rotiert, kann transformiert werden, indem man mithilfe eines Touchscreens eines von mehreren Lichtmustern auswählt. Durch die Synchronisation des Lichts mit der Rotation und durch die Veränderung der Form des Lichts in Echtzeit entstehen visuelle Effekte, die formal an Animationsfilme erinnern.

Dass der versierte "Explorer" Iwai auch mit diesem Projekt wieder eine vollkommen neuartige "Realität" entdeckt hat, könnte einem beim bloßen Betrachten entgehen: Denn erst in der Interaktion stellt man fest, dass hier echte Objekte transformiert werden können, anstatt sie wie bisher per Computergrafik "nur" künstlich zu generieren.

Toshio Iwai, der Nica-Preis-Träger 1997 wird im Rahmen der diesjährigen Ars Electronica einen Vortrag im oberösterreichischen Stift St. Florian halten. (Christa Benzer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.8.2006)


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