DIE ZEIT


10/2004 

„Ich bin drunten der Dreckige“

Otto Mühl ist ein österreichischer Künstler mit schlechtem Ruf: Aktionist, Kommunarde, Sexualverbrecher. Jetzt wird in Wien sein Lebenswerk ausgestellt. Gespräch mit einem, der immer ein Skandal sein wollte

Eine rot-weiße Kette am Ende eines Feldwegs, der sich durch Gestrüpp, Oliven- und Apfelsinenbäume windet. Dahinter ein verwinkeltes weißes Haus, von dem man nicht weiß, ob es noch nicht fertig oder schon baufällig ist. Hierher, eine halbe Autostunde von Faro entfernt, hat sich Otto Mühl mit seinen letzten Getreuen zurückgezogen, 12 Erwachsene, 14 Kinder, das jüngste vier Jahre alt. Ärmliche Verhältnisse, im Zentrum: das Atelier unterm Dach, die Bühne der großen Mühl-Show. Der Star trägt Latzhose, einst die Uniform der Kommune.

die zeit: Was soll einmal in den Geschichtsbüchern über Sie stehen?

Otto Mühl: Dass ich ein extremer Mensch war. Und deshalb auch angegriffen wurde. Ich möchte vieles ändern, weil ich glaube, dass es dann besser wird. Die Zweierbeziehung zum Beispiel halte ich für vorbei, das ist eine richtige Knechtschaft, insbesondere für die Frau.

zeit: Ihre historische Bedeutung liegt in der Bekämpfung der Zweierbeziehung?

Mühl: Im Sozialen, das ich ändern möchte. Ich hab ja auch meine Eltern erlebt, wie sie die Ehe geführt haben. Ich war froh, mit elf Jahren aus dem Haus zu kommen. Vater und Mutter haben sich da abgerauft, wie in jeder Ehe. Mein Vater hat Freundinnen gehabt, das is später aussikemma. Meine Mutter hat es nicht gewusst, aber geahnt, ein furchtbarer Zustand. Das haben sogar die Kinder gespürt.

zeit: Haben Ihre Eltern Ihre künstlerischen Ambitionen unterstützt?

Mühl: Vor allem mein Vater. Er war sehr künstlerisch. Er hat Plakate gemalt für die Theateraufführungen. Ich hab dann auch gemalt, so wurde ich Künstler. Ich hab Rabattmarken gesammelt und bekam einen Malkasten dafür. Ich hab Zeichenunterricht gegeben für Gleichaltrige.

zeit: Wie alt waren Sie da?

Mühl: Sechs Jahre. Ich hab schon fast eine kleine Kommune gehabt, Puppenspiele und Theaterstücke entworfen, Eintritt: ein Groschen. Als ich mal krank war, hab ich meine Bilder zur Straße raus ins Fenster gehängt – meine erste Ausstellung.

zeit: Sie mussten in den Krieg. Hat da Ihr Plan, Künstler zu werden, Schaden genommen?

Mühl: Nein. Vom Krieg hab ich profitiert. Weil ich überlebt habe. Diese irren Erlebnisse an der Westfront haben mich weitergebracht. Es war grauenhaft. Im Aktionismus ist es durchgekommen. Ich hab ja Hinrichtungen dargestellt.

zeit: Haben Sie welche erlebt?

Mühl: Nicht direkt. Das Material, der Schnee… Plötzlich ist es wärmer geworden, alles so ein Morast. Da liegen wie in Aspik deutsche Soldaten zerquetscht. Hat irre ausgeschaut. Solche Sachen habe ich gerne verwendet in den Materialaktionen. Aspik. Vermengung von allem.

zeit: Was ist Ihnen wichtiger: Ihre Kunst oder Ihr Lebensexperiment in der Kommune?

Mühl: Es hängt zusammen. Ich hätte es ohne Kunst gar nicht machen können. Ich hab Kurse abgehalten und auch psychologisch unterrichtet. Ich hatte eine Lehranalyse hinter mir und hab dann eine eigene Form erfunden, die Aktionsanalyse. Ich bin nicht gesessen wie Freud, der den lieben Gott gespielt hat hinter einem Paravent und die verunglückten Menschen geformt hat. In der Kommune waren anfangs lauter Psychopathen. Keiner wollte arbeiten gehen, weil dann vielleicht seine Freundin mit einem anderen schläft. Da hab ich gesagt: Jetzt werd ich Sprechstunden halten. Das war ein Versuchsballon, halb ironisch, halb ernst gemeint. Ich hab eine normale Traumdeutung gemacht, das hat sich dann gesteigert bis zur Selbstdarstellung mit Gesang, Bewegung, Tanz.

zeit: Sie waren damals schon Mitte 40, die anderen Anfang 20. Ein Vater-Kind-Verhältnis?

Mühl: Ich war viel gebildeter als die anderen. Ich hatte Germanistik studiert, konnte zeichnen, singen, war ein guter Tänzer. Ein Autodidakt, klar. Ich konnte aber viel beibringen. Ich war sehr geeignet. Und die Kommunarden haben mich bewundert.

zeit: Sie wollten erst den Einzelnen, dann die Gesellschaft therapieren.

Mühl: Ich wollte mir selber einen Raum schaffen.

zeit: Wozu brauchten Sie dann die Kommune?

Mühl: Alleine geht es ja nicht. Wie wollen Sie die Sexualität, die Kommunikation allein machen? Ich wollte die ideale Gesellschaft, und das ist am Anfang zum Teil sehr gut gelungen, wie wir klein waren. Am Ende waren wir 700 Leute. Das war ein schwerer Fehler. Dass alles zugrunde gegangen ist, ist auch meine Schuld. Wir hätten klein bleiben müssen. Wie jetzt hier in Portugal. Man muss Familie bleiben. Da ist jede Schärfe genommen. In der Kommune hatten wir am Ende richtige Beamte, die alles verwalten mussten.

zeit: Sie selbst haben immer gesagt, die „Kleinfamilienwichtel“ seien eine emotionale Pest!

Mühl: Das war übertrieben. Die Kleinfamilie war notwendig zur Differenzierung des Menschen. In der Urzeit war es ja total rüde in der Horde. Bis zur Menschenfresserei. In der Kleinfamilie ist auch die Liebe erwacht, geboren, erfunden worden. Aber heute ist die Kleinfamilie Erpressung.

zeit: Familie heißt für Sie heute: ein größerer Zusammenhang, aber keine Zweierbeziehung.

Mühl: Hier bei uns in Portugal gibt es auch Zweierbeziehungen. Alles ist möglich. Wir sind eine Factory, wie bei Andy Warhol. Es arbeiten alle mit. Ich weiß gar nicht, ob ich der Hauptverdiener bin. Ich kümmere mich nicht darum.

zeit: Es gibt also Privateigentum?

Mühl: Ja. Das ist eine Lehre, die wir gezogen haben. Das Gemeinschaftseigentum macht das Individuum schutzlos. Wir haben nur einen Gemeinschaftstopf für die Versorgung.

zeit: Gibt es Regelungen für die Sexualität?

Mühl: Ja. Es ist sehr wichtig, dass man jede Nacht bei jemand anderem schläft. Das war damals auch so, nur strenger. Wenn man merkte, das wird eine Zweierbeziehung, dann war der Teufel los.

zeit: Gab es den Moment, wo Sie gedacht haben: Es wächst mir alles über den Kopf?

Mühl: Oh ja. Es war aber unbegreiflich. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass wir die Leute weggeschickt haben zum Geldverdienen. Sie sind entfremdet worden durch das Geld. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Das sind Teufel geworden, die an der Kommune kein Interesse mehr hatten.

zeit: Sie haben doch alle von dem Geld profitiert. 200 Millionen Mark soll das Vermögen der Kommune betragen haben.

Mühl: Aber es war morsch. In den letzten Jahren hat es nicht mehr funktioniert. Ich hab eine Idee gehabt, aber das Materielle unterschätzt.

zeit: Der Mensch ist für Ihre Form von Zusammenleben nicht gemacht.

Mühl: Der Mensch ist für nichts gemacht. Man muss ihn machen. In der Urzeit haben wir uns aufgefressen. Der Mensch hat große Fortschritte gemacht, auch wenn es immer noch beinhart zugeht.

zeit: Warum sind Sie aus der Kleinkommune auf das riesige Bauerngut Friedrichshof gezogen?

Mühl: Alle waren dafür. Jeder Firmenbesitzer möchte seine Firma vergrößern. Größenwahn.

zeit: Davon sind Sie geheilt?

Mühl: Total. (lacht laut)

zeit: Wie sieht Ihre Utopie heute aus?

Mühl: Ich hab keine mehr. Ich versuche, eine Firma zu gründen, die nicht zugrunde geht. Vielleicht gelingt’s. Den missionarischen Eifer haben wir aber abgelegt.

zeit: Kein Herr Missionsrat.

Mühl: Naaa, nix is.

zeit: Kein Häuptling mehr?

Mühl: Seid’s ruhig, sonst hau i aich raus!

zeit: Von der zentralen Bedeutung der freien Sexualität sind Sie auch heute noch überzeugt?

Mühl: Ja. Man soll nicht eifersüchtig sein.

zeit: Eifersucht ist was?

Mühl: Wahnsinn. Man soll alles fahren lassen.

zeit: Ist Eifersucht ein Naturgesetz?

Mühl: Der nicht eifersüchtige Mensch ist der Mensch der Zukunft. Das glaube ich fest.

zeit: Wo kommt die Eifersucht her?

Mühl: Aus der Urzeit. Eifersucht ist die Schwester des Privateigentums.

zeit: Sind Sie nicht wegen Ihrer Lebenspraxis zu sieben Jahren Haft verurteilt worden?

Mühl: Als Kinderschänder. Das war Rufmord.

zeit: Aber Sie haben vor Gericht Drogenkonsum, Vergewaltigung und sexuellen Missbrauch von Minderjährigen zugegeben.

Mühl: Der Anwalt hat uns geraten, alles zu gestehen. Ich bin kein Kinderschänder. Das ist doch Blödsinn. Das waren alles entwickelte Mädchen.

zeit: Die waren 13, 14 Jahre alt.

Mühl: Ja und? Karl der Große hat eine Zwölfjährige geheiratet. Eine habe ich ja angeblich sogar vergewaltigt. Das war aber nicht der Fall. Mir tut es leid, dass sie alle so zerstört worden sind. Sie sind mehr Opfer der Auflösung der Kommune als Opfer der freien Sexualität.

zeit: Sie betonen immer die Bedeutung von Kinderliebe und Erziehung für Ihre Arbeit. Sie haben aber kleine Kinder vor sich auf den Tisch gestellt, geschlagen und mit kaltem Wasser übergossen.

Mühl: Jetzt kommt noch so ein schreckliches Buch, in dem behauptet wird, ich hätte sie blutig gefickt und immer nur gefickt, gefickt. Ich weiß nichts davon. Diese Kampagne wird finanziert von einem Verein, der sich zur Rettung unserer Kinder gebildet hat. Der glaubt, wir täten die Kinder missbrauchen, sie könnten hier nicht aussteigen.

zeit: Die Bestrafungsaktion hat es also nicht gegeben.

Mühl: Ich kann mich nicht erinnern.

zeit: Bei Ihnen verbindet sich Sexualität immer mit Gewalt. Sie waren die sexuelle RAF.

Mühl: Um Gottes willen! Es war das Gegenteil. Es sind doch alle Frauen verrückt geworden nach mir! Ich war das männliche Vorbild für die Kinder. Die Frauen haben sie zu mir gebracht, wenn sie nicht klar kamen. Da hab ich ein besonders bockiges Kind auch mal angeschüttet, wie ich Erwachsene mit Joghurt überschüttet habe. Das war eine Materialaktion für mich.

zeit: Sie haben wie ein mittelalterlicher Herrscher das Jus primae noctis beansprucht.

Mühl: Blödsinn. Das hat es nicht mal historisch gegeben als Gesetz. Ich bin kein Jungfernjäger. Das ist ja nicht mal schön. Ich schlaf nicht gern mit einer Frau, die kein Training hat. Manchmal bin ich schon der Erste gewesen. Aber nicht nur ich. Die Mädchen sind doch zu mir gekommen und haben gesagt: Jetzt bin ich 14, jetzt können wir miteinander. Die Jungs wollten zuerst mit meiner Frau, die waren verliebt in sie. Das war kein Recht. Das hat sich ergeben. Acht, neun, zehn Jahre war das alles ganz selbstverständlich, dann hat jemand Anzeige erstattet. Wenn jemand in einer Ehe alles aufschreibt, was geredet wird, dann kann ich auch zum Richter gehen. Viele Sachen sind erfunden worden.

zeit: Auch die Behauptung, Ihr „Erbmaterial“ sei das beste, und deshalb hätten Sie das Recht…

Mühl: Jojojo, damit wollte man mich zum Faschisten stempeln. Ich glaube, die Anlage von jedem Menschen ist gut. Deshalb hat jeder mit jedem schlafen sollen. Die wenigsten Kinder sind von mir. Ich hätte mich ja beschweren müssen, dass alle bei meiner Frau dazwischenfunken. Alle wollten ihr ein Kind machen. Jeder Mensch ist ein Ferrari. Aber die Erziehung macht aus ihm ein Gogomobil. Jeder Mensch wird als Genie geboren und stirbt als Vollidiot. Jeder ist unschuldig schuldig.

zeit: War nicht der Druck so groß, dass die Mädchen gar nicht anders entscheiden konnten?

Mühl: Ach, der Gruppendruck! Glaubst nicht, dass die einfach auch geil geworden sind?

zeit: Hätten Sie akzeptiert, wenn ein Mädchen nicht mit Ihnen schlafen wollte?

Mühl: Ich hab es ja akzeptiert. Ich war eh überlaufen. Ich war zu gefragt. Unsere Kinder jetzt sind das Gegenteil: Sie sind 19, 20 Jahre alt und haben keine Sexualität.

zeit: Wie finden Sie das?

Mühl: Schlecht. Mit sechs Jahren wurden sie von der Polizei verhört. Für die gehören Sexualität und Bestrafung zusammen. Das ist denen wie ein Hammer auf den Kopf gefallen. Die Konfrontation mit der Gesellschaft außerhalb der Kommune war das Problem.

zeit: Ihre Kinder leben aber jetzt schon wieder total abgeschottet von der Realität.

Mühl: Sie müssen einmal die Begegnung mit der Gesellschaft suchen. Es ist nicht Sinn der Kommune, dass sie dableiben. Du musst selber Chef werden. Ich würde nicht hier bleiben und zu Onkel Otto aufschauen.

zeit: Und wo bleibt bei all dem die Kunst?

Mühl: Die soll scheißn gehn.

zeit: Sie haben gesagt, Sie malen nur noch, um Geld zu verdienen.

Mühl: Glaubt doch, was ihr wollt.

zeit: Haben Sie in der Zelle gemalt?

Mühl: Ja, aufm Bett.

zeit: Sie behaupten immer, dankbar für die Knasterfahrung zu sein. Das ist doch Koketterie.

Mühl: Nein, nein. Wenn ich die Bilder anschaue: totale Konzentration. Toll. Ich hab wirklich echte, gute Fortschritte gemacht im Gefängnis. Als ich Sachen hinausgeben wollte, war die Antwort: Stattgegeben, falls nicht pornografisch. Ab da bin ich erst pornografisch geworden! Der Beamte hat nämlich gesagt, er müsse jedes Bild der Anstaltsleitung vorzeigen. Da hab ich dann arge Sachen gemalt, ficken und so. Wir haben dann drei Leinwände übereinander getackert, obendrauf etwas Harmloseres.

zeit: Obwohl Sie Ihre Strafe verbüßt haben, bekämpfen Ihre Gegner und Opfer Sie immer noch. Wie gehen Sie damit um?

Mühl: Sie können mich nicht vergessen. Das ist nur gut. Ich will ja up to date bleiben. Die Qualität meiner Arbeit alleine würde überhaupt nicht ausreichen, dafür ist die Masse viel zu blöd. Ich bin eine Skandalnudel. Das ist wichtig.

zeit: Sie sind ein Sklave Ihrer Rolle geworden.

Mühl: Ich bin ja eigentlich gar nicht so. Ich bin schüchtern, sehr sozial, ein sehr weicher Typ. Den wilden Mann muss man spielen. Den spielt doch jeder. Aber es macht sehr viel Spaß.

zeit: Hätten Sie andere Bilder gemalt, wenn Sie nicht der Rolle hätten gerecht werden wollen?

Mühl: Ja, sicher. Ich wäre oberflächlicher gewesen. Ich nehme ja sehr vieles auf mich, wenn ich obisteige in die Abgründe des Menschen. Der Beamte darf droben den Sauberen spielen, und ich bin drunten der Dreckige. Dreckfink. Ich opfere mich für die Menschheit. Ich erleb mich aber nicht als Skandal. Ich bin nicht pornografisch. Ich bin nur total offen. Sachlich.

zeit: Hatten Sie politische Absichten?

Mühl: Nie. Das hat sich so ergeben. Mit der Sexualität ließ sich halt gut provozieren.

zeit: Darf man in der Kunst alles?

Mühl: Man darf alles. Ist ja nicht wirklich.

zeit: Keine Grenze?

Mühl: Naa, also morden dürfen Sie nicht. Da hört die Kunst auf. Menschenopfer gehen nicht. Kunst ist ein Medium neben der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist ein anderes Medium. Das muss aber auch gestaltet werden.

zeit: Es gibt Leute, die sie wahrscheinlich gern umbringen würden. Oder Ihre Bilder zerstören.

Mühl: Dass mir einer das Küchenmesser reinrammt, hätte ich nicht so gerne. Aber mit der Kunst können sie machen, was sie wollen. Ist ja versichert.

zeit: Ihr Leben ist voller absoluter Forderungen, denen Sie selbst nicht gehorcht haben. Sind Sie sich über all die Brüche hinweg treu geblieben?

Mühl: Ich bin nicht mehr ich.

zeit: Wer sind Sie?

Mühl: Ich weiß es nicht. Das sind so komische, komplizierte Fragen…

zeit: Beobachten Sie eigentlich Ihre Träume?

Mühl: Klar, ich bin ja analytisch geschult.

zeit: Kommen in Ihren Träumen auch Ihre Feinde vor?

Mühl: Ich hab keine Feinde. Wer mich nicht liebt, ist ein Psychopath.

zeit: Die Wiener Ausstellung Ihres Lebenswerkes ist heftig umstritten. Wie viel Österreich ist in Ihrer Kunst?

Mühl: Gar nichts. Wenn ich in Amerika wäre, wäre ich Millionär. In Österreich erlebe ich nur noch alpine Verkrüppelung: Haider, das Volkstanzen, die weißen Stutzen, die Lederhosen, das Jodeln, das wird immer nur noch schlimmer. Und der Schüssel! Das ist widerlich. Alles. Alles!! Alles!!!

zeit: Sie sind noch österreichischer Staatsbürger?

Mühl: Ja, leider. Ich wär lieber Franzose. In Wien gibt’s doch gar keine interessanten Leute mehr. Sind doch alle emigriert. Freud wollte auch kein Österreicher sein. Ich komme mir vor wie ein Jude. Geistiger Jude. Die Österreicher sind alle Idioten. Ein Drittel Nazis. Die Ewiggestrigen. Wirklich ein komisches Land. Ich krieg geradezu einen Ekel. Österreicher zu sein ist eine Beleidigung.

zeit: Sie haben in den letzten drei Jahren nur Haie gemalt. Warum?

Mühl: Ein Hai hat keine Arme und keine Beine. Das ist angenehm in der Fläche zu gliedern. Ich komme in die Nähe von Mondrian, den ich sehr verehre. Mit den einfachsten künstlerischen Mitteln. Der Hai ist ein Raubfisch, hat Zähne, das heißt Energie und Gewalt. Eine herrliche Form. Ein Volltreffer aus der Urzeit. Und der reine Horror.

zeit: Der Sexprotz Mühl ist jetzt ein alter Mann. Wie fühlt sich das an?

Mühl: Cool. Sexualität wird Alltag, normal. Lenkt nicht ab. Ihr zwei starrt immer darauf: Da liegt ein Penis, neben dir sitzt ein Penis, vor dir ist ein Penis, überall Penisse. Entsetzlich! Dabei ist Sexualität etwas Positives.

zeit: Spielt sie noch die gleiche Rolle in ihrem Leben wie vor 20 Jahren?

Mühl: Naa. Kaum. Ist mir geradezu lästig, wenn jemand von mir was will. Parkinson ist eine Krankheit, die speziell die Sexualität betrifft. Wenn ich kein Parkinson hätte, wär ich sicher noch potent. Aber wie’s kommt, kommt’s halt. Ich hab mein Leben gelebt. Ich bin echt fertig. Nicht mit den Nerven, ich bin fertig gekocht. Ich hab erreicht, was ich wollte: kreativ zu sein.

zeit: Ist es nicht eine Botschaft, dass ausgerechnet Sie impotent werden?

Mühl: Eine Selbstbestrafung. Ich wollte zu viel, das steht einem Sterblichen nicht zu. Es ist eine Auszeichnung.

zeit: Wie möchten Sie gern sterben?

Mühl: Normal halt. Ein Organ nach dem anderen meldet sich ab. Hat ja bereits begonnen bei mir. Das Denken bleibt noch. Da bin ich sehr frisch. Stärker wie früher.

zeit: Welches Organ soll sich als letztes abmelden?

Mühl: Das Rückgrat.

zeit: Die Kommune liegt in Scherben, Sie haben einige Leben kaputtgemacht und werden angefeindet. Dennoch bereuen Sie nichts.

Mühl: Wenn alles gelungen wäre, das wäre ja entsetzlich. Man muss scheitern.

Das Gespräch führten Peter Roos und Christof Siemes