Frage: Antonin Artaud der Name ist im bildungsbürgerlichen
Hinterstübchen präsent. Bekannt ist er für sein "Theater der Grausamkeit".
Was bedeutet Grausamkeit in diesem Zusammenhang?
![Antonin Artaud](00060280-Dateien/3-Artaud_Portrait.jpe) |
Antonin
Artaud |
Pichler: Es geht darum, etwas darzustellen, was einer lebendigen
Wirklichkeit entspricht. Es soll - das sagt Artaud wörtlich - die Leute
überfallen und auch physisch überrollen. Man versteht das Theater der
Grausamkeit am besten, wenn man Artaud in Filmen sieht. Er agiert
ekstatisch und ungeheuer intensiv.
Litscher: Er hat ja mit dem Theater der Grausamkeit auch
Forderungen gestellt, die dann nach dem zweiten Weltkrieg im Theater in
vielfacher Weise realisiert worden sind. So zum Beispiel eine dynamische
Bühne, kein realistisches Bühnenbild, Theater das mit Bewegung, mit Licht,
mit der Wirkung des Raumes operiert... Da war er ein großer Vorläufer. Er
war auch lange als Kritiker tätig. Wenn er etwas gesehen hat, hat er dann
immer gesagt "so nicht". Da er hat ziemlich bald gemerkt, dass er seine
Vorstellungen nur schwierig realisieren konnte, hat er angefangen, die
Filme von anderen zu unterwandern. So wie andere Leute Bomben werfen, hat
er in Filmen gespielt.
Frage: Welche Rollen hat er gespielt?
Litscher: Als Fritz Lang "Liliom" in Paris verfilmte, hat er für
Artaud extra eine Rolle erfunden - den Messerschleifer, der einen Auftritt
von einigen Sekunden hat, wo er nur "Messer, Messer Messer" sagt und
Liliom das Messer andreht, mit dem der dann seine Freundin umbringt.
Frage: Er hat ohne Zweifel psychotische Phasen durchlebt, war
auch interniert. Was bei ihm immer wieder kommt, ist die
Auseinandersetzung mit dem Körper. Sie stellen Zeichnungen von ihm aus, wo
man zerlegte Körper sieht, mit eingerammten Nägeln, mit männlichen und
weiblichen Organen, die an völlig unwahrscheinlichen Stellen aus dem
Körper kommen. Worauf wollte er da hinaus?
Cathrin Pichler: Also die Idee, dass aus einem Bereich des
Inneren, dem Unbewußten, etwas an die Oberfläche geführt werden kann, ist
sehr stark verbunden worden mit magischen und alchimistischen Weltbildern.
Er ist auch zu Indios in Zentral-Mexico gereist, und hat dort
Initiations-Riten mitgemacht und so weiter.
Litscher: Artaud hat gesagt, er wird sich selber in die Luft
sprengen und dank 10.000 Fragmenten seines Körpers wird er unvergesslich
oder auch unsterblich sein.
Frage: Der zersprengte und anders zusammengesetzte, der neue
unmögliche Körper. Es sind Bilder und Vorstellungen, die man in der
visuellen Kunst, also so ab den 60er Jahren - eigentlich immer wieder
findet, etwa bei den Wiener Aktionisten. Ist er einer, der all das
befruchtet hat?
Cathrin Pichler: Ich glaube schon, dass er eine einflußreiche
Figur war. Autoren und Interpreten aus den 70er Jahren haben Artaud auch
zur Leitfigur des genialen Wahnsinns gemacht. Mit der Ausstellung möchte
ich aber doch zeigen, dass Artaud kein Art-Brut-Künstler ist. Das ist eine
Interpretation, die ihm mehr oder weniger oktroyiert wurde.
Litscher: Artaud hatte einen durchdringenden und scharfsinnigen
Blick auf die gesellschaftlichen Zustände. Mit Vehemenz hat er sich gegen
Herrschaftsstrukturen gerichtet, auch gegen den amerikanischen
Kapitalismus später. Das ist bis zu einer totalen Ablehnung der Sexualität
gegangen, weil er eben gesehen hat, dass die Machtverhältnisse sehr viel
mit unterdrückter Sexualität zu tun haben. Das macht ihn sehr aktuell.
Pichler Man muss vielleicht nur einschränkend sagen, dass es in
allen Texten, in allen Inszenierungen auch sehr stark um ihn selbst geht.
Er ist so etwas wie ein individueller Revolutionär. Das war wahrscheinlich
auch seine beste Rolle. Seine Provokationen, seine Radikalität, das war er
selbst.