Ein individueller Revolutionär

Mit den Kuratoren Cathrin Pichler und Hans Peter Litscher der Ausstellung sprach Dorothee Frank für das Ö1 Kulturjournal.


Frage: Antonin Artaud der Name ist im bildungsbürgerlichen Hinterstübchen präsent. Bekannt ist er für sein "Theater der Grausamkeit". Was bedeutet Grausamkeit in diesem Zusammenhang?

Antonin Artaud
Antonin Artaud

Pichler: Es geht darum, etwas darzustellen, was einer lebendigen Wirklichkeit entspricht. Es soll - das sagt Artaud wörtlich - die Leute überfallen und auch physisch überrollen. Man versteht das Theater der Grausamkeit am besten, wenn man Artaud in Filmen sieht. Er agiert ekstatisch und ungeheuer intensiv.

Litscher: Er hat ja mit dem Theater der Grausamkeit auch Forderungen gestellt, die dann nach dem zweiten Weltkrieg im Theater in vielfacher Weise realisiert worden sind. So zum Beispiel eine dynamische Bühne, kein realistisches Bühnenbild, Theater das mit Bewegung, mit Licht, mit der Wirkung des Raumes operiert... Da war er ein großer Vorläufer. Er war auch lange als Kritiker tätig. Wenn er etwas gesehen hat, hat er dann immer gesagt "so nicht". Da er hat ziemlich bald gemerkt, dass er seine Vorstellungen nur schwierig realisieren konnte, hat er angefangen, die Filme von anderen zu unterwandern. So wie andere Leute Bomben werfen, hat er in Filmen gespielt.

Frage: Welche Rollen hat er gespielt?

Litscher: Als Fritz Lang "Liliom" in Paris verfilmte, hat er für Artaud extra eine Rolle erfunden - den Messerschleifer, der einen Auftritt von einigen Sekunden hat, wo er nur "Messer, Messer Messer" sagt und Liliom das Messer andreht, mit dem der dann seine Freundin umbringt.

Frage: Er hat ohne Zweifel psychotische Phasen durchlebt, war auch interniert. Was bei ihm immer wieder kommt, ist die Auseinandersetzung mit dem Körper. Sie stellen Zeichnungen von ihm aus, wo man zerlegte Körper sieht, mit eingerammten Nägeln, mit männlichen und weiblichen Organen, die an völlig unwahrscheinlichen Stellen aus dem Körper kommen. Worauf wollte er da hinaus?

Cathrin Pichler: Also die Idee, dass aus einem Bereich des Inneren, dem Unbewußten, etwas an die Oberfläche geführt werden kann, ist sehr stark verbunden worden mit magischen und alchimistischen Weltbildern. Er ist auch zu Indios in Zentral-Mexico gereist, und hat dort Initiations-Riten mitgemacht und so weiter.

Litscher: Artaud hat gesagt, er wird sich selber in die Luft sprengen und dank 10.000 Fragmenten seines Körpers wird er unvergesslich oder auch unsterblich sein.

Frage: Der zersprengte und anders zusammengesetzte, der neue unmögliche Körper. Es sind Bilder und Vorstellungen, die man in der visuellen Kunst, also so ab den 60er Jahren - eigentlich immer wieder findet, etwa bei den Wiener Aktionisten. Ist er einer, der all das befruchtet hat?

Cathrin Pichler: Ich glaube schon, dass er eine einflußreiche Figur war. Autoren und Interpreten aus den 70er Jahren haben Artaud auch zur Leitfigur des genialen Wahnsinns gemacht. Mit der Ausstellung möchte ich aber doch zeigen, dass Artaud kein Art-Brut-Künstler ist. Das ist eine Interpretation, die ihm mehr oder weniger oktroyiert wurde.

Litscher: Artaud hatte einen durchdringenden und scharfsinnigen Blick auf die gesellschaftlichen Zustände. Mit Vehemenz hat er sich gegen Herrschaftsstrukturen gerichtet, auch gegen den amerikanischen Kapitalismus später. Das ist bis zu einer totalen Ablehnung der Sexualität gegangen, weil er eben gesehen hat, dass die Machtverhältnisse sehr viel mit unterdrückter Sexualität zu tun haben. Das macht ihn sehr aktuell.

Pichler Man muss vielleicht nur einschränkend sagen, dass es in allen Texten, in allen Inszenierungen auch sehr stark um ihn selbst geht. Er ist so etwas wie ein individueller Revolutionär. Das war wahrscheinlich auch seine beste Rolle. Seine Provokationen, seine Radikalität, das war er selbst.

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