Zwischen Kunst, Kommerz und schockierender Gegenwart
Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Dass Kuratoren in Museen äußerst flexibel arbeiten müssen,
auch wenn (oder eben weil) sie dort Beamtenstatus genießen, zeigt die
Sonderschau "Kraftflächen. Wiener Plakatkunst um 1900". Für Frühjahr 2003
hatte Ursula Storch eine Ausstellung mit Katalog über den Sammler Serge
Sabarski fertig gestellt, bevor das "Aus" wegen uneinhaltbarer
Leihbedingungen von Kunstwerken kam. Wenige Monate später musste ein neues
Konzept mit Katalog aus eigenen Beständen erstellt sein, wobei Georgi
Stefanov mitarbeitete, die vielen Ikonen des Wiener Jugendstils bis 21.
September in einer Architektur von Kühn-Malvezzi (das Team stand auch für
den Aufbau der Documeta 11) zu präsentieren. Interessant dabei sind
nicht nur die alten im Litho-Verfahren bedruckten Plakate, sondern auch
eine Diashow, die alte Plakatwände um 1900 auferstehen lässt.
BesucherInnen können also auch durch die alten Stadtviertel Wiens streifen
und so manches Original von der Wand in situ wiedererkennen. Kommerzielle
Werbegrafik für den Tourismus oder Produkte wie Haarfärbemittel und
Motoröl vermischen sich mit den kunstvollen Gestaltungen der
Secessionisten - vor allem Gustav Klimt, Kolo Moser, Ferdinand Andri,
Alfred Roller, Egon Schiele und Oskar Kokoschka. Von den
Ausstellungsplakaten sind auch Variationen und beschlagnahmte Versionen zu
finden. Verzerrte Schriften, Abstraktion und Ornament, dissonante
Farbgestaltung irritierten damals ebenso wie erotische Elemente, die wir
heute in Zeiten aggressiver Werbestrategie kaum mehr wahrnehmen.
Parallelen von über Genitalien gemalten Bäumen und Abräumen von anstößigen
Skulpturen aus Festspielstadt-Meilen lassen jedoch über die heutige Form
der Zensur nachdenken. Von Frankreich aus hatte sich das Medium Plakat
und seine maschinelle Fertigung nach Toulouse-Lautrecs Vorbild erst über
England und Amerika, danach auch nach Deutschland und Österreich
ausgebreitet. Es wurde am Ende des 19. Jahrhunderts ein neuer
Wirtschaftszweig, der in Wien mehr Werbeateliers, Fachzeitschriften und
Plakatwände beanspruchte als in Berlin. Die Wiener Werkstätte war ab 1903
in Sachen Geschmackskultur mit Hoffmann, Moser u. a. führend, von ihr
löste sich aber bald der frühe Kokoschka, um 1908 mit der Ankündigung
seines Dramas "Mörder Hoffnung der Frauen" einen weiteren Skandal
auszulösen. Julius Klinger warb als Fachmann für Werbegrafik wenig
später für eine Loslösung vom reinen Künstlerplakat, trotzdem ist das
Medium bis heute Anreiz für sie geblieben (siehe die Serie von "museum in
progress"). Absolute Highlights sind für uns heute die revolutionären
Stücke der Secessionsausstellungen, deren minimalistische Formen auch gut
für Folder, Katalogeinband, Einladung usw. dieser Schau passen. Die dazu
im Eigenverlag herausgegebene, bei Holzhausen gedruckte, ästhetische und
inhaltlich hochstehende Publikation versammelt auch die besonderen
Beiträge von Loos, Peche, Kiesler, Löffler oder Nelly Marmorek, Franz
Wacik, Arthur Bergler, Alois Zapletal, Stephanie Glax u. a.
Erschienen am: 28.08.2003 |
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