16.01.2002 17:56:00 MEZ
Gewaltbereite Kunst
"Gewalt ist der Rand aller Dinge" - in der Generali Foundation in Wien

"Gewalt ist der Rand aller Dinge": Die Generali Foundation setzt einen experimentellen Blick auf die Geschichte künstlerischer Aktivität und politischer Militanz.


Wien - Wenn er durch das Mikroskop des Nachbarn blicke, sehe er die Kriege der Amöben: "Gewalt ist immer da." Dieser "er" ist eine Handpuppe im Video der Berliner Künstler Alice Creischer und Andreas Siekmann. Die Gewalt ist der Rand aller Dinge nennen sie folgerichtig die von ihnen kompilierte Ausstellung mit rund 15 - hierzulande weitgehend unbekannten, interessanten - Künstlern und Gruppierungen.

Sieht man von einigen in kompliziertem Philosophieseminaristendeutsch verfassten Texten ab, tun sich bei dieser Schau ohne peniblem Schwarz-Weiß-Schema viele Anregungen und Aspekte auf, die künstlerische Aktivitäten mit politischer Militanz verbinden bzw. konfrontieren. Creischer und Siekmann, der übrigens bei du bist die welt mit einer intelligenten Arbeit auffiel, sind Teil der jeweils zu Beginn des Jahres stattfindenden experimentellen, couragierten Reihe der Generali Foundation.

Die Ausstellungsräume bilden eine Art Bühne, auf denen zumeist deutsche KunstaktivistInnen auftreten, die etwa im Fall von Imma Harms ein Manifest der "Revolutionären Zellen" aufsagen lassen: "Warum wir dem Vorsitzenden Richter des Asylsenats am Bundesverwaltungsgericht, Günther Korbmacher, in die Knie geschossen haben." Repressionen der BRD gegen so genannte Sympathisanten der RAF thematisieren ebenfalls einige Arbeiten.

Körperlich nah geht einmal Gewalt, wenn sie offiziell der Sicherheit dient: Das Architektenteam "Freies Fach" teilt die Bühne mittels eines eigens für Berlin entwickelten Schutzsystems für leer stehende Bauten.

Vor dem Hintergrund der G-8-Treffen oder der WTO-Proteste sei die Schau entstanden, so das Künstlerduo - vor dem 11. September. Die historischen Aspekte, schon vor 1968, seien ihnen wichtig gewesen. Deshalb dokumentieren etwa sachliche Fotos die Pariser Commune. Die Umstürze in den kommunistischen Ländern kommen lediglich mit Farbfotos mit Szenen aus Belgrad vor. In den "Belgrad Interviews" sagt dazu Borka Pavicevic: "Im Prozess der Globalisierung wurden die DissidentInnen des Ostens, die durchwegs Antikommunisten waren, vom Westen als DemokratInnen anerkannt. Dabei sind sie Mystifizierer und Nationalisten."

Jüngste Geschichte in Argentinien: Die Grupo de Arte Callejero, die Verkehrsschilder leicht in politischem Sinne abwandelte und im Raum von Buenos Aires platzierte, stellte damit jeder Person auf höchst intelligente wie subtile Art frei, wie sie politische Ereignisse daraus zu deuten weiß. Im Schutze von Demonstrantenzügen klebte die Gruppe, die übrigens bei den ersten Demos am 20. 12. des Vorjahres einige Freunde verlor, Slogans direkt auf die Straße. Die Verwendung/ Verfremdung gängiger Piktogramme, hier ganz zeitgenössisch, verweist auch auf den Otto-Neurath-Mitarbeiter Gerd Arntz sowie auf Seth Tobocman, dessen Form der politischen Agitation (1979) hingegen nur mehr historisch interessant scheint.

Eine Entdeckung auch Charlotte Posenenskes Anti-Minimal-Art-Skulpturen. Die bereits verstorbene Künstlerin schritt 1968 zur logischsten aller Konsequenzen im Zusammenhang von Kunst und Macht/Gewalt/Politik: Sie verabschiedete sich ganz von der Kunst.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 1. 2002)


Quelle: © derStandard.at