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K U N S T

Kunst oder Bier, alles umsonst

Die 2. berlin biennale stellt das alte Hauptstadträtsel: Wozu das alles?

Von Christof Siemes

Carlos Amorales in "We in Flames"
 
© Jens Liebchen

Neulich nachts stand ich halb nackt vor meinem Badezimmerspiegel. Lediglich ein Stück Kunst von der 2. berlin biennale hatte ich um die Hüften geschlungen. Wie es dahin kam und was es da machte, ist eine längere Geschichte.

Der thailändische Künstler Navin Rawanchaikul hat im Rahmen der hauptstädtischen Supershow zeitgenössischer Kunst seine Installation Pha Kao Mar On Tour aufgebaut, eine Art quadratisches Zelt, genäht aus jenen karierten Baumwolltüchern, die in Thailand Pha Kao Mar heißen und ein bisschen an unsere Küchenhandtücher erinnern. Im Innern der bunten Lumpenhöhle stehen drei Fernseher, die Szenen aus dem thailändischen Alltag zeigen und wozu man einen Pha Kao Mar alles benutzen kann: als Lendenschurz, Kletterhilfe, Rucksack, Sporthose, Hut, Sieb, Bett-, Unter- oder Reizwäsche. Das Tragen eines Pha Kao Mar sei ein verdammt gutes Gefühl, behauptet der Künstler, und weil es gute Gefühle in der Welt nie genug geben kann, liegen auf einer Palette vor dem Zelt stapelweise Pha Kao Mars zum Mitnehmen. Ich habe eins eingepackt (77,7 mal 174 Zentimeter, rot-weiß-grün kariert) für den Gefühlstest zu Hause. Ergebnis: In der Tat nicht schlecht, ich machte gleich, es war 23.30 Uhr, ein paar ekstatische Bewegungen, die ich für Tempeltanzschritte hielt. Das Tuch kratzt ein bisschen, vielleicht sollte ich es waschen. Aber ist es dann noch Kunst?

Eine ähnliche Frage habe ich mir auch gestellt bei den Papptellern des Amerikaners Dan Peterman, der in den Kunst-Werken in der Oranienburger Straße eine Küche eingerichtet hat, mit Kronkorken Nudeln ausstanzt und auf den Tellern - ja, was: anbietet? ausstellt? Jedenfalls kann man die Teller, auf denen der Hintergrund des Projektes erklärt wird (in Chicago gab es mal eine Bottle-Cap-Pasta-Bude), mitnehmen. Vielleicht lassen sie sich später auf dem Kunstmarkt verhökern, für eine Portion Spaghetti zum Beispiel.

Auch wenn es nicht zur Wertsteigerung kommen sollte, habe ich die Biennale reich beschenkt verlassen. Rawanchaikuls Landsmann Surasi Kusolwong offeriert in seiner Installation Happy Berlin kostenlose Massagen (ewig freundliches Thailand!); zwischen Zimmerpflanzen und Seidenvorhängen habe ich mir auf einer von zwölf Matratzen die kunstmüden Glieder frischkneten lassen. Bei der Engländerin Fiona Banner im S-Bahnbogen Nr. 47 an der Jannowitzbrücke, einem der neuen Schauplätze der Biennale, staubte ich eines der Plakate ab, auf denen in Schockpink die ziemlich unanständige Geschichte vom Arsewoman in Wonderland gedruckt ist. In Tsuyoshi Ozawas Manga Café, einem Kinderzimmerimitat mit Hochbett und japanischen Comics, habe ich ein prima gekühltes Jever getrunken; Biennale-Kunst geht durch den Magen. Nur in die Minibar der Spanierin Alicia Framis traute ich mich nicht hinein: Just for Women Only heißt das Werk im Untertitel, und so steht es auch an der Gittertür, die das Innere des mächtigen Holzkastens vor neugierigen Männerblicken verbergen soll. Im Auftrag der ZEIT habe ich dennoch furchtlos einen Blick in das avantgardistische Serail riskiert, vorbei an dem Comforter genannten Haremswächter im Samtbademantel. Ich sah einen Schlafwagenabteil-ähnlichen Raum mit Matratze und ein paar Regalen, auf denen Gläser und einige Packungen Fruchtsaft standen. Dann schloss sich die Tür wieder.

6 der 49 Künstler auf dieser Biennale machen Kunst für mich, das Publikum, zum Mitnehmen, zum Mitmachen. Take away art - das nenn' ich mal einen veritablen Trend. Leider ist er nicht so wahnsinnig neu. Plakate, Bonbons und Kaugummis zum Mitnehmen gab es zum Beispiel bei Felix Gonzalez-Torres schon Anfang der Neunziger. Dienstleistungskunst vom Kamillenbad bis zur Gesichtsmassage bilden seit Jahren die Grundausstattung jeder Zeitgenossenschau zwischen Bonn und Wilnius. Dancefloorsounds zum Mitzappeln gehören schon so sehr zum guten Ton des Kunstbetriebs wie Bach zum Karfreitag, was den auf einem Pentagramm tanzenden Teufel des Mexikaners Carlos Amorales in etwa so alt aussehen lässt, wie es der Thomaskantor tatsächlich ist. Und Kuschelecken als Zuflucht in der globalisierten, überwachten, unbehausten Welt gab es schon auf der 1. berlin biennale mehr als genug. Da ist Liam Gillicks Dachausbau negotiateddouble/ 2001 in den Kunstwerken genauso ein Dejà vu wie das zersägte Schleiflackinterieur von Andree Korpys' und Markus Löfflers Block oder eben Ozawas Kinderzimmer-Café.

Aber eine solche Schau zeitgenössischster Kunst muss die allerneuesten, nie gesehenen Einfälle der allerjüngsten Künstler präsentieren. Wiederholungen sind ihr Tod. Biennalen haben zwangsläufig dieses Leistungsschauartige, und wenn sie auch nicht alle gleich Kunstweltmeisterschaft wie in Venedig spielen, etwas vom Streit um den am schönsten frisierten Pudel umgibt all diese Sammelausstellungen im Zweijahresrhythmus. In Berlin muss das natürlich - wie alles in der Hauptstadt - noch ein bisschen anders, ein bisschen hipper sein als anderswo. Ganz anders ist vorerst aber nur der Rhythmus der Metropole: Die Berliner Biennale ist die erste und einzige, die alle drei Jahre stattfindet.

Bislang jedenfalls. Und nicht freiwillig. Die Premiere 1998 sollte die Hauptstadt endlich auch zu einem Zentrum der zeitgenössischen Kunst machen. Entsprechend groß war das Ballyhoo vorab, doch konnte die unter dem Motto Berlin Berlin versammelte Kunst nicht recht halten, was die Macher um den Kurator Klaus Biesenbach versprachen. Prompt geriet das ehrgeizige Projekt ins Stolpern, nun hat es sich mit einem halben Jahr Verspätung ins nächste Etappenziel gerettet.

Ein guter Film entlarvt das Getue von zwanzig Videos

Richtig Tritt gefasst hat die Biennale immer noch nicht. Verantwortlich für die Künstler- auswahl ist diesmal die holländische Kuratorin Saskia Bos. Um nicht unter den Druck des eigenen Programms zu geraten, hielt sie sich mit Absichtserklärungen zurück. Nur eins wollte sie partout nicht: eine Berliner Nabelschau. Diesmal solle "die Peripherie ins Zentrum" rücken, sagte sie zur Eröffnung, Internationalität importiert werden, allerdings ohne starres Konzept. Auch von "Energieflüssen" war die Rede.

Nun ist das mit dieser Art Offenheit eine zwiespältige Sache. Natürlich ist Lokalpatriotismus in der Kunst öde, und Werke, die lediglich ein Thema illustrieren, sind so prickelnd wie die ewig gleichen Aktfotos von Helmut Newton. Doch wenn Berlin der berlin biennale eigentlich schnuppe und auch kein anderes, und sei es noch so vages Thema gegeben ist, wird die Auswahl beliebig bis zur Belanglosigkeit. Dann steht und fällt die Ausstellung damit, ob es herausragende Einzelwerke oder sensationelle Entdeckungen gibt. Saskia Bos hat wohl gespürt, dass die in ihrem hastig wirkenden Parforceritt durch 31 Länder fehlen, und zu guter Letzt doch noch zwei labile Rähmchen gezimmert, eins für die Form, eins für den Inhalt. Die meisten Arbeiten hätten einen "interdisziplinären Charakter" mit einem Schwerpunkt auf dem Cross-over von Dokumentar- und Kunstfilm. Und die Freigiebigkeit einiger Künstler, von der ich so nett profitierte, stilisiert Bos zur "Beteiligung, Anteilnahme und Verbundenheit" als Kontur der heutigen Kunst, ja zur "Konfrontation mit gesellschaftlichen Problemen". Aber abgesehen davon, dass man viele dieser Strategien schon mal eindrucksvoller vorgeführt bekommen hat: Freibier als politisches Statement hat in etwa das Reflexionsniveau von Westerwelles Besuch im Big Brother-Container.

Aber Bos wird auch nicht müde, zu betonen, dass sie keine Theoretikerin sei. Ein praktisches Anliegen, das sie und ihre Helfer dann doch mit Berlin verbindet, ist der Versuch, in der Stadt neue Räume durch die für die Kunst zu erobern. Zu den bekannten Hauptschauplätzen Postfuhramt und Kunst-Werke treten als neue Ausstellungsräume neben die sechs S-Bahnbögen an der Jannowitzbrücke auch das Erd- und Untergeschoss des Allianz-Verwaltungsgebäude in Treptow. Aber gerade hier gewinnt die Biennale nichts hinzu, vielmehr verliert sie einen Teil ihres Gesichts. Die Allianz Kulturstiftung, im vergangenen Sommer mit einem Stiftungskapital von 100 Millionen Mark gegründet, ist einer der Hauptgeldgeber der Biennale (die Hälfte des Etats von 3 Millionen Mark kommt aus dem Hauptstadtkulturfonds, der Rest von privaten Sponsoren). Ziemlich schamlos nutzt sie nun die Ausstellung, um auf sich aufmerksam zu machen. Auch wenn nur vier Biennale-Arbeiten das 30-stöckige Hochhaus der Treptowers behübschen und einen Ausflug an den östlichen Stadtrand kaum lohnen - ein derart gekauftes Heimspiel ist selbst in der kühlen Kosten-Nutzen-Welt der private-public partnerships einmalig unverfroren. Bei der Eröffnung wurde denn auch gemunkelt, dass Liam Gillick, einer der Stars der Ausstellung, nur mit großer Mühe überredet werden konnte, seinen Beitrag für die Allianz zu leisten. Er ist entlarvend genug geraten: Zwischen die zahllosen Hinweisschilder vor den Aufzügen hat Gillick eine kleine Aluminiumtafel geschmuggelt und so neben der Firma "Info Genie" einen Hinweis auf die "powerofautonomyorwhatever" versteckt. Wenn die energisch hilfreichen Damen und Herren von Power Security nicht den Eingang einmal aus den Augen gelassen und mich auf die Subversion hingewiesen hätten, wäre sie mir glatt entgangen.

Was bleibt neben den diversen Geschenken von dieser Biennale? Erinnerungen an ein paar Ruhepole im Rummel, die glänzenden Öl-Emaille-Bilder von Inka Essenhigh zum Beispiel, auf denen Körperteile, Frisuren und Menschenhäute ein bizarres Comicleben führen. Oder an die Videoinstallation Kitsune des Portugiesen João Penalva, die eher ein Hörspiel ist. Denn nicht die über endlose Minuten unveränderte Einstellung einer Nebellandschaft hielt mich auf der alten Hörsaalbank vor dem Schirm, sondern die Stimmen von zwei Japanern, die Geschichten von Fuchsgeistern und Menschenfressern erzählen. Ein Triumph des Wortes in der ermatteten Welt der Videobilder.

Vor allem ein Film ist es, der das handwerklich und dramaturgisch laienhafte Kunstgetue der meisten anderen Videoarbeiten decouvriert: Christian Jankowskis Rosa. Der deutsche Künstler hat mit den Machern des Mainstream-Kinofilms Viktor Vogel - Commercial Man einen Deal geschlossen: Ihr dürft in eurem Film zwei meiner Aktionen verbraten, im Gegenzug beantworten die Schauspieler meine Fragen zur Kunst. Wie frei ist sie, wie lustig, und wo hört sie auf? Die Statements von Götz George, Gudrun Landgrebe, Vadim Glowna und all den anderen wurden gleich am Set auf 35 mm gefilmt; dann hat sie Jankowski mit Szenen aus Viktor Vogel zu einem perfekt gespielten, gut getimten, vertrackten Episodenfilm zusammengeschnitten: Kunst aus, in, über Kunst. Den Oberflächenfetischismus der letzten Jahre, die Hinwendung zum sogenannten "Leben" treibt Jankowski auf die Spitze - und führt ihn lächelnd vor. Auch der allerglatteste Filmkomödienstoff birgt eine Wahrheit - wenn man das Zeug dazu hat, sie herauszupräparieren.

Das haben auf dieser Biennale leider nur wenige. Aber das macht nichts, das ganze Unternehmen ist nach wie vor in erster Linie eine Selbstvergewisserungsorgie des Kunststandortes Berlin inklusive der aus Minderwertigkeitsgefühlen gespeisten Hysterie. Auf der Eröffnungsparty in der Turnhalle am Ende des Postfuhramts - im Blinddarm der Ausstellung, wo die Kunst beim Hypen nicht weiter störte - war der Betrieb zu Freibier (!) und Schnittchen vollständig angetreten. Und selbst abgebrühte New Yorker Galeristen versprachen sich und Berlin mal wieder eine goldene Zukunft.

Ein Kommentar aus Jankowskis Film hätte eine prima take away art zur Biennale abgegeben, als T-Shirt vielleicht oder Bierdeckel: "Man darf die Rezeption nicht theoretisieren. Kunst bringt Spaß. Man trinkt zusammen. Und dann werden die Siebdrucke ausgemalt."

Kunst-Werke, Postfuhramt, S-Bahnhof Jannowitzbrücke, Treptowers bis 20. Juni, zweibändiger Katalog 50,- DM


(c) DIE ZEIT   18/2001   


 





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