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Kunsthalle Wien: Draußen ist Amerika

02.10.2008 | 18:55 | THOMAS KRAMAR (Die Presse)

„Western Motel“: Werke des amerikanischen Malers Edward Hopper, fein ergänzt durch thematisch Verwandtes.

Songs from a Room“ heißt eines der größten Alben des nordamerikanischen Songpoeten Leonard Cohen. „Pictures from a Room“, so könnte man etliche Bilder des nordamerikanischen Malers Edward Hopper (1882 bis 1967) nennen: Bilder aus einem Raum, einem Zimmer.

Kein Zimmer ist so sehr (zugleich offener und geschlossener) Raum wie ein Hotelzimmer, auch darum passt der Titel, den die Kunsthalle ihrer Hopper-Ausstellung gegeben hat: „Western Motel“. Wohl keine andere Kombination zweier, eigentlich dreier Wörter fasst das Faszinosum so gut, das man heute gern „Americana“ nennt. Hoppers dichteste Bilder sind in den Fünfzigern und Sechzigern entstanden, in der Zeit, als Amerika für viele junge Europäer (noch) ein unbeflecktes gelobtes Land war; sie haben diese Aura in einem halben Jahrhundert nicht verloren. Wohl auch, weil Hopper seine Stillleben der Sehnsucht so genau komponierte.

In der Kunsthalle liest man seine Notizen zu den Bildern, zu „Western Motel“ z.B., man muss das komplett zitieren: „Grüner Raum der Deluxe-Kategorie in einem Motel, Mahagonibett, rosa Bettdecke, dunkelroter Stuhl mit blauem Kleid. Überhebliche (haughty) Blonde in Dunkelrot, ihr Buick vor dem Fenster, grün. Lederkoffer ocker und Vorhänge in blasserem Ocker. Dunkelblaue Berge, hellblauer Himmel.“

Der Wiener Künstler Gustav Deutsch hat das nachgebaut, in einem großen, begehbaren Modell und in vielen kleinen Modellen aus schlichtem Sperrholz: Guckkästen, in die man blickt, um den gemalten Raum zu sehen. Von oben sieht man, dass die Perspektive im realen Modell nicht stimmt. Die Winkel, auf die der Betrachter sieht, der Hotelbetten etwa, sind zu groß, weit über 90 Grad, als sollten die Fluchtlinien beschleunigt werden, vielleicht scheint deshalb die Landschaft vor dem Fenster so greifbar nahe?

Deutsch hat auch aus 15 Hopper-Bildern das Drehbuch zu einem Film namens „Visions of Reality“ konstruiert, den er noch drehen will. „But what is reality anyway“, soll die Hauptperson (die „überhebliche Blonde“, „A Wise Tramp“ nannte sie Hopper auch, diese, seine Frau mit dem alterslosen Gesicht) sich darin fragen – und antworten: „Individual representations of the external world.“

Genau diesen Binsenkonstruktivismus überwinden Hoppers Bilder. Sie sind auf den ersten Blick realistisch, auf den zweiten fantastisch, aber sie zeigen mehr als „individuelle Repräsentationen“: Zumindest ziemlich kollektive Repräsentationen, darum rühren sie uns so verlässlich. Ähnliche emotionale Gemeinplätze (im besten Sinn) hat Ed Ruscha aus Omaha in Tankstellen gefunden. Und in einer Telefonzelle, die in graue Wolken stößt.

 

Das Zimmer wird zur Bühne

Der Salzburger Markus Schinwald macht in „Stage Matrix“ aus dem Hotelzimmer gleich eine Bühne, auf der die Gesten des Sich-Einrichtens gespielt werden, bevor sich die nächste Tapetentür öffnet. Jonas Dahlberg zeigt öde Zimmer aus der Perspektive eines imaginären Lifts, Rachel Whitehead abstrahiert den Topos zu zwei ausgehängten Türen, Thomas Demand zu einem gewaltigen Treppenhaus, in dem dann jede Linie stimmt, oder doch nicht?

Und da ist noch ein Hotelzimmer, das nicht mehr ist als ein aufgeräumtes, gesaugtes Hotelzimmer, eines, das die Putzfrau soeben verlässt: Jeff Walls „Housekeeping“. Ein niederdrückendes Bild: Man sieht kein Fenster. Dabei wäre draußen Amerika.


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