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01.02.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Versuchung wirbelnder Erdäpfel
Vom Wunder und seinen modernen Auswüchsen in der Kunst.

2007, zum 850-jährigen Bestehen des Wallfahrtsorts Mariazell, will Papst Benedikt XVI. Österreichs höchstes Marienheiligtum besuchen. Um aber auch den großen wie den kleinen "Mariazeller Wunderaltar" dementsprechend bewundern zu können, wird er einen Abstecher in die Alte Galerie des Joanneum nach Schloss Eggenberg einplanen müssen. Denn dort stehen sie jetzt, die spätgotischen Mariazeller Pilger-Werbe-Tafeln, mit ihren bis zu 48 Szenen reichen, stereotypen Aufzählungen von Marienwundern. Die großen Zeiten dieser Darstellungen waren eindeutig das narrative Mittelalter und die mit dem Hexenhammer drohende beginnende Neuzeit.

Neben dem ewigen Passions-Thema zieht sich auffälligerweise die Darstellung einer Wundergeschichte durch die Epochen der Kunstgeschichte: die Versuchung des Heiligen Antonius in der Wüste. Von Matthias Grünewald über Paul Cézanne bis Salvador Dalí und zuletzt 14 Künstler, die die Legende 2003 auf der Isola Bella in Rauminstallationen umsetzten.

Trotzdem. Die "Wunder" der Moderne waren keine christlichen mehr. Die Impressionisten folgten dem Heilsversprechen von Farbe und Licht, die Futuristen dem der Technik, die Surrealisten dem der Psychoanalyse. Und seit der von einem Flugzeugabsturz auf der Krim 1943 schwer verletzte Joseph Beuys von Tataren mit Fett und Filz gerettet worden war, sind sie überhaupt rar geworden, die "Wunder" in der bildenden Kunst. Außer als Parodie, oft inspiriert von paranormalen Phänomenen. Wenn Sigmar Polke etwa, der in den 60er Jahren rund um Beuys mit spiritistischer Literatur in Berührung kam, "auf Anweisung höherer Wesen" die rechte obere Ecke schwarz malt. Oder wenn Anna und Bernhard Blume im "Küchenkoller" Erdäpfel durch die Luft wirbeln lassen.

In jüngster Zeit aktuell sind wieder üppige Privatmythologien. Am religiösesten ausgerichtet noch im Orgien- und Mysterientheater von Altmeister Nitsch, mehr sexuell motiviert in den Cremaster-Filmen Matthew Barneys - oder, alles zitierend und ironisierend, in Christoph Schlingensiefs Animatographen-Shows. Da tauchte es etwa im Burgtheater dann ganz explizit wieder auf, das Wunder: Als am Ende des Labyrinths auf einem aufgespannten Tuch zu lesen stand: "Lazarus, come forth!" sp

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