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Ars Electronica: Wie schmeckt die Ursuppe in Linz?

02.09.2011 | 17:30 | von Thomas Kramar (Die Presse)

Das Linzer Festival Ars Electronica huldigt unter dem Titel „Origin“ in diesem Jahr dem Forschungszentrum und Teilchenbeschleuniger CERN. Und fragt damit nach dem Verhältnis zwischen Wissenschaft und Kunst.

Die „Kavernen tief unter dem Juramassiv“ – in denen die Teilchenbeschleuniger des CERN untergebracht sind – seien „mit ihren ultimativen Anlagen die Kathedralen unserer Zeit“. Man kennt ihn, den anmaßenden Vergleich, der auch bei der heuer unter dem Titel „Origin“ dem CERN gewidmeten Ars Electronica nicht fehlen darf, aber er macht nicht nur Religiöse stutzig. Er impliziert immerhin, dass die Beschleuniger auch in ihrer Ästhetik den Sakralbauten vergleichbar seien. Die Nachwelt will man nicht kennen, die das so sieht!
In der Ausstellung „Symmetries“ im Brucknerhaus hängen Fotos aus Künstlerateliers auf der einen Seite, auf der anderen ebenso große Aufnahmen aus den Labors des CERN. Auch das soll sagen: Seht her, unsere Wissenschaft ist (auch) Kunst! Wir schaffen nicht nur Erkenntnis, sondern auch Schönheit! Für eine „ArtScience“, die uns ein „universales Verständnis der Dinge“ erlaube, und für eine „neue Renaissance“ plädieren Adam Brown und Bob Root-Bernstein in „Origins of Life“. Sie zeigen eine – im Vergleich mit den monströsen Bauten des CERN – ärmliche (aber saubere) Apparatur, in der sie wie einst Stanley Miller bei seinen Experimenten zur Entstehung der Biomoleküle eine „Ursuppe“ brauen: Ammoniak, Methan, Wasserstoff, Blitze. Sie hätten nicht nur Aminosäuren, sondern auch schon Lipide und ATP in ihrer Mixtur erzeugt, behaupten die beiden. Publiziert haben sie es noch nicht. Soll man ihnen glauben? Ist Kunst nicht auch – im Gegensatz zur Wissenschaft – ein Spiel mit Täuschungen?
Im selben Saal präsentieren Wiener Physiker einfache Experimente zur Quantenphysik (etwa den Feynman'schen Doppelspalt). Sie stellen keinen künstlerischen Anspruch. Oder doch? Und was ist mit dem deutschen Künstler Carsten Nicolais, der daneben ein „Modell zur Visualisierung“ (der Wirkungen von Magnetfeldern auf einen Elektronenstrahl, wie dabeisteht) stellt? Es sieht genauso aus wie ein Schulexperiment, bleibt aber unverständlich.
Kann Kunst zumindest die „Aura“, das „Gefühl“ wissenschaftlicher Modelle wiedergeben? „Particles“ heißt eine protzige Installation im Ars Electronica Center: im Wesentliche eine Art Kugelbahn, auf der Kügelchen abwärtsrollen. Entspricht einem ziemlich altväterlichen Atommodell. „The Particle“ von Alex Posada sieht nicht nur aufregender aus, es lässt auch mehr zu grübeln. Durch rasante Drehung eines Gitters und Stroboskop-Beleuchtung entstehen und vergehen (meist kugelförmige) Muster. Man kann an Atomorbitale denken oder an Elementarteilchen als Resonanzen in Feldern oder an die allgemeine Flüchtigkeit in der Welt der Erscheinungen . . .
Mit weniger Ernst widmen sich die „Astronomical Bodies“ von Michael Burton dem Leben und dem Universum: Man möge aus menschlichen Harnsteinen gewonnenen Phosphor ins All schicken, um dort Leben zu katalysieren. Illustriert wird dieses Vorhaben durch die blecherne Nachbildung eines Virus, mit einer Skizze darauf, die etwaigen Außerirdischen die menschliche Ausscheidung erklärt.

Bitte, keinen Urknall-Soundtrack mehr!

Ein respektloser Kommentar zur „Space colonisation“, ein guter Kontrast zur Andacht, mit der sich der typische kitschige Wissenschaftsfilm – sei er aus dem CERN oder von anderswo – dem Kosmos widmet, mit dieser parareligiösen Musik, die wohl nach Kathedralen der Jetztzeit klingen soll, aber nur nach Planetarium der Sechzigerjahre klingt. Vorschlag: Könnte man endlich aufhören, den  Urknall musikalisch zu begleiten?
Nicht den Klang des Universums, sondern schlicht den des Feuers erforscht Kalle Laar in „Come With Me Firewalk“: Man hört es sengen und prasseln, man hört die Feuerzeuge klicken. Rüri aus Island hat in „Endangered Water“ (zu sehen bei „Cyber Arts“ im OK-Zentrum) den Klang von Wasserfällen archiviert. Und wie eine Stadt sich anhört, wenn man ihre Geräusche mit „Resonanzrohren“ bearbeitet, zeigt Sam Auinger: Er lässt Linz im Hof des Lentos sanft grollen.
Und die Luft? Allabendlich lädt sie Ian Charnas im Ars Electronica Quarter mit riesigen Tesla-Spulen elektrisch auf, bis sich Blitze bilden. Mit diesen spielt er britzelnde, knisternde Melodien: eine bizarre Ionen-Orgel, eine höchst energetische Vorführung, majestätisch und doch verzweifelt komisch. Wenigstens nicht pseudokathedralisch!


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