Die
„Kavernen tief unter dem Juramassiv“ – in denen die
Teilchenbeschleuniger des CERN untergebracht sind – seien „mit ihren
ultimativen Anlagen die Kathedralen unserer Zeit“. Man kennt ihn, den
anmaßenden Vergleich, der auch bei der heuer unter dem Titel „Origin“
dem CERN gewidmeten Ars Electronica nicht fehlen darf, aber er macht
nicht nur Religiöse stutzig. Er impliziert immerhin, dass die
Beschleuniger auch in ihrer Ästhetik den Sakralbauten vergleichbar
seien. Die Nachwelt will man nicht kennen, die das so sieht!
In der
Ausstellung „Symmetries“ im Brucknerhaus hängen Fotos aus
Künstlerateliers auf der einen Seite, auf der anderen ebenso große
Aufnahmen aus den Labors des CERN. Auch das soll sagen: Seht her,
unsere Wissenschaft ist (auch) Kunst! Wir schaffen nicht nur
Erkenntnis, sondern auch Schönheit! Für eine „ArtScience“, die uns ein
„universales Verständnis der Dinge“ erlaube, und für eine „neue
Renaissance“ plädieren Adam Brown und Bob Root-Bernstein in „Origins of
Life“. Sie zeigen eine – im Vergleich mit den monströsen Bauten des
CERN – ärmliche (aber saubere) Apparatur, in der sie wie einst Stanley
Miller bei seinen Experimenten zur Entstehung der Biomoleküle eine
„Ursuppe“ brauen: Ammoniak, Methan, Wasserstoff, Blitze. Sie hätten
nicht nur Aminosäuren, sondern auch schon Lipide und ATP in ihrer
Mixtur erzeugt, behaupten die beiden. Publiziert haben sie es noch
nicht. Soll man ihnen glauben? Ist Kunst nicht auch – im Gegensatz zur
Wissenschaft – ein Spiel mit Täuschungen?
Im selben Saal
präsentieren Wiener Physiker einfache Experimente zur Quantenphysik
(etwa den Feynman'schen Doppelspalt). Sie stellen keinen künstlerischen
Anspruch. Oder doch? Und was ist mit dem deutschen Künstler Carsten
Nicolais, der daneben ein „Modell zur Visualisierung“ (der Wirkungen
von Magnetfeldern auf einen Elektronenstrahl, wie dabeisteht) stellt?
Es sieht genauso aus wie ein Schulexperiment, bleibt aber
unverständlich.
Kann Kunst zumindest die „Aura“, das „Gefühl“
wissenschaftlicher Modelle wiedergeben? „Particles“ heißt eine protzige
Installation im Ars Electronica Center: im Wesentliche eine Art
Kugelbahn, auf der Kügelchen abwärtsrollen. Entspricht einem ziemlich
altväterlichen Atommodell. „The Particle“ von Alex Posada sieht nicht
nur aufregender aus, es lässt auch mehr zu grübeln. Durch rasante
Drehung eines Gitters und Stroboskop-Beleuchtung entstehen und vergehen
(meist kugelförmige) Muster. Man kann an Atomorbitale denken oder an
Elementarteilchen als Resonanzen in Feldern oder an die allgemeine
Flüchtigkeit in der Welt der Erscheinungen . . .
Mit weniger Ernst
widmen sich die „Astronomical Bodies“ von Michael Burton dem Leben und
dem Universum: Man möge aus menschlichen Harnsteinen gewonnenen
Phosphor ins All schicken, um dort Leben zu katalysieren. Illustriert
wird dieses Vorhaben durch die blecherne Nachbildung eines Virus, mit
einer Skizze darauf, die etwaigen Außerirdischen die menschliche
Ausscheidung erklärt.
Bitte, keinen Urknall-Soundtrack mehr!
Ein respektloser Kommentar zur „Space colonisation“, ein guter
Kontrast zur Andacht, mit der sich der typische kitschige
Wissenschaftsfilm – sei er aus dem CERN oder von anderswo – dem Kosmos
widmet, mit dieser parareligiösen Musik, die wohl nach Kathedralen der
Jetztzeit klingen soll, aber nur nach Planetarium der Sechzigerjahre
klingt. Vorschlag: Könnte man endlich aufhören, den Urknall
musikalisch zu begleiten?
Nicht den Klang des Universums, sondern
schlicht den des Feuers erforscht Kalle Laar in „Come With Me
Firewalk“: Man hört es sengen und prasseln, man hört die Feuerzeuge
klicken. Rüri aus Island hat in „Endangered Water“ (zu sehen bei „Cyber
Arts“ im OK-Zentrum) den Klang von Wasserfällen archiviert. Und wie
eine Stadt sich anhört, wenn man ihre Geräusche mit „Resonanzrohren“
bearbeitet, zeigt Sam Auinger: Er lässt Linz im Hof des Lentos sanft
grollen.
Und die Luft? Allabendlich lädt sie Ian Charnas im Ars
Electronica Quarter mit riesigen Tesla-Spulen elektrisch auf, bis sich
Blitze bilden. Mit diesen spielt er britzelnde, knisternde Melodien:
eine bizarre Ionen-Orgel, eine höchst energetische Vorführung,
majestätisch und doch verzweifelt komisch. Wenigstens nicht
pseudokathedralisch!