DiePresse.com

DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


Ausstellung: Infantin besucht Guggenheim

02.10.2008 | 18:52 | NORBERT MAYER (Die Presse)

Kunsthistorisches Museum zu Gast in Bilbao. Wilfried Seipel auf Abschiedstournee: In der spanischen Guggenheim-Dependance zeigt er 200 Meisterwerke aus dem KHM.

Wer einen raschen Überblick über das Wiener Kunsthistorische Museum haben will, muss derzeit nach Bilbao im spanischen Baskenland fahren. Dort ist im Guggenheim Museum bis 18.Jänner 2009 die Schau „All die Geschichten der Kunst“ („Todas las historias del arte“) zu sehen, für die das KHM an die 200 Meisterwerke zur Verfügung gestellt hat, darunter 73 Gemälde. Ein Schnellkurs in Kunstgeschichte von 2500 v.Chr. bis ins 18. Jahrhundert.

Der scheidende Generaldirektor Wilfried Seipel, der seit exakt 18 Jahren das größte Museum Österreichs leitet und Ende des Jahres in Pension geht, hat bei seiner Abschiedstour im Ausland geklotzt: Hauptwerke von Tizian, Tintoretto, Velazquez und vielen anderen Großen sonder Zahl, 4500 Jahre alte ägyptische Statuen, Habsburger Kleinode aus der Kunstkammer RudolfII., flämische, italienische, englische Landschaften (Van Goyen, Van Ruisdael, Gainsborough, Bellotto), mythologische Tapisserien, Schnitzereien und Münzen sind im weitläufigen dritten Stock der aufsehenerregenden, 1997 eröffneten Guggenheim-Dependance zu sehen.

 

Erdgeschoß: Stahlskulpturen von Serra

Wie wirkt dieser Wiener Besuch der einstigen Habsburger-Sammlung bei den einstigen spanischen Verwandten? „Es ist Neuland für uns“, sagt Seipel, „wir machen erstmals so eine Ausstellung in einem Museum, das eigentlich der modernen Kunst gewidmet ist.“ Man wolle bewusst Zusammenhänge mit der Moderne herstellen. Es gebe für die alten Werke in diesem Ambiente eine neue Perspektive, als wäre das Gezeigte heutige Kunst, meint Kuratorin Carmen Giménez.

Der erste Eindruck ist zumindest gewöhnungsbedürftig. An den hohen weißen Wänden verlieren sich selbst große Bilder, die zuhause in intimer Atmosphäre vor gedeckten Farben präsentiert werden, sie wirken dunkler, während die Plastiken kontrastreicher sind und zugleich putzig erscheinen. Die von Frank Gehry entworfene, in Titan gekleidete Riesenwunderkammer von Bilbao, die mit atemberaubenden Blickachsen die ganze Stadt zum Kunstwerk macht, ist für gewaltige Installationen gedacht. Im Erdgeschoß etwa erstrecken sich auf 130 Meter Länge labyrinthische Großskulpturen von Richard Serra aus rostigem Stahl. Im Vergleich zu „The Matter of Time“ ist selbst groß dimensionierte Kunst winzig.

Im Stockwerk darüber ist eine Personale des 2001 verstorbenen Künstlers Juan Munoz zu sehen; eine Skulpturengruppe umfasst 100 Figuren, in einem anderen, 200 Quadratmeter großen Raum hingegen sitzt in „The Waste Land“ eine kleine Puppe mit den Zügen des Dichters T.S. Eliot verschmitzt am Rand, während das wüste Land aus einem schwindelerregenden Parkettboden besteht, der Raumtiefe vortäuscht.

 

Helm von Maximilian I.

Inmitten dieser Leistungsschau der Gegenwart, mit Werken etwa auch von Jeff Koons oder Jenny Holzer, wirken die alten Meister aus Wien, die Werke von Dürer, Arcimboldo, Holbein und Rubens, wie ein exzentrisches Kontrastprogramm. Giménez und Kokurator Francisco Calvo Serraler sind verspielt auf diese Ausnahmesituation eingegangen.

Im ersten von drei Sälen mit Porträts wird der Betrachter von der Infantin Maria Teresa begrüßt. Flankiert wird dieses Gemälde des Velazquez aus den Jahren 1652/53 von zwei ägyptischen Statuen des Neuen Reiches und der Ptolemäer-Zeit. Ein paar Meter weiter ist ein prunkvoller Helm Maximilians I. (1500) zu sehen. Die Ausstellung bietet ein reizvolles Assoziationsspiel.

Weiter geht es in diesem Kaleidoskop mit Sälen über Geschichte, Mythologie und Religion (eine Madonna von Dürer, 1503, „Lot und seine Tochter“ von Cranach, 1528), hin zu einer Abteilung des Nackten; Palma il Vecchios „Nymphe im Bade“ (1525–28), Tizians „Mars, Venus und Cupido“ (nach 1546). Der Jüngling vom Magdalensberg weist in einem runden Raum auf Meister der Renaissance und des Barock hin. Das passt zu ihm, er hat eine raffinierte Geschichte. 1502 wurde von einem Kärntner Bauern beim Pflügen eine römische Bronzeplastik aus dem ersten Jahrhundert gefunden, der Erzbischof von Salzburg holte sie in seine Residenz. Er ließ auch eine Kopie für den Kaiser anfertigen. Das Original aber kam über Umwege nach Spanien und ist inzwischen verschollen, die Kopie blieb in Österreich, wie man seit 1986 weiß, und wird nun so wie viele der gezeigten Werke erstmals im Ausland ausgestellt.

Lobenswert an dieser mutigen Schau mit Objekten höchster Qualität ist auch ein kleiner didaktischer Teil, in dem das KHM mit seinen Dutzenden Abteilungen und seiner gigantischen Sammlung vorgestellt wird. „Drei Millionen Objekte!“, sagt der spanische Kurator mit neidvollem Staunen, als gäbe es hier nur ein Amuse-Gueule vor dem Festmenü.

 

Bilbao: Von der Stahl- zur Kulturstadt

Was aber können die Besucher aus dem KHM, unter ihnen die künftige Generaldirektorin Sabine Haag, lernen? Bilbao zeigt, wie erfolgreich Kunst und Politik zusammenwirken können. Vor 20 Jahren war Bilbao, die größte Stadt des Baskenlandes, eine Krisenregion. Die Stahlindustrie ging zugrunde, die Umwelt war schwer belastet, 25Prozent von einer Million Menschen im Großraum Bilbao waren arbeitslos. Heute ist die bis vor Kurzem rußgeschwärzte Stadt ein Schauraum für moderne Architektur. Der Flughafen und eine atemberaubende Zubizuri-Brücke stammen von Calatrava, das Fußballstadion hat Zaha Hadid geplant, die nun ein ganzes Stadtviertel entwerfen soll, die U-Bahn Sir Norman Foster.

Das Glanzstück aber schuf Frank Gehry. Sein stilbildendes Museumsgebäude hat den Guggenheim-Effekt ausgelöst. Jedes Jahr pilgert rund eine Million Besucher in diese Kathedrale der Moderne, am Fluss Nervión, der sich von der Kloake zur lieblichen Promenade entwickelte. Es wird weiter gebaut in dieser lebhaften Stadt, optimistisch im Zeichen der Kultur.

Vielleicht sollte die neue Führung des KHM die künftige Regierung zu einem Schnellkursus über erfolgreiche Kulturpolitik ins Guggenheim Bilbao einladen.


© DiePresse.com