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14.11.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Warum Chagalls grüne Kuh blass wird
VON ALMUTH SPIEGLER
Ausstellung. Das BA-CA Kunstforum zeigt mit "Chagall: Meisterwerke 1908-1922" die frühen Jahre des Malers.

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er Advent naht - und Chagall ist schon da. Der populäre russisch- jüdische Maler scheint mit seinen traumschwangeren Szenerien in lieblich-dekorativer Farbigkeit genau den Wohlfühleffekt zu versprechen, der shoppingkalte Herzchen in fantastische Delirien abseits des Jagdfiebers nach dem einzig richtigen Matchbox-Auto zu entführen vermag. Und Museumsdirektoren beruhigter am Punsch nippen lässt. Haschte vor zwei Jahren schon die Albertina mit Chagalls späten Bibelillustrationen nach weihnachtlicher Quote, lockt heuer um diese Zeit das "BA-CA Kunstforum" mit dem etwas weniger kommoden Frühwerk des 1985, mit stolzen 97 Jahren verstorbenen Künstlers.

Hier, in den Bildern der Jahre von 1908 - als Chagall in St. Petersburg noch die Kunstschulbank drückte - bis 1922 - als er Russland zum zweiten Mal Richtung Paris verlässt - findet sich alles schon ziemlich ausgereift, was man aus der späteren Verkitschmarktung des Präsurrealisten zur Genüge zu kennen glaubt: die lustigen grünen Kühe, die fidelen Fiedler, die märchenhaft durch die Luft schwirrenden Gestalten.

Doch Frühwerk ist Frühwerk und hegt seinen eigenen mythischen Ursprungszauber. Auch wenn sicher nicht alle der 100 Gemälde und Zeichnungen, die das Kuratorinnen-Trio Evelyn Benesch, Ingried Brugger und Heike Eipeldauer vor allem aus den beiden wichtigen russischen Sammlungen der Tretjakoff Galerie Moskau und des Staatlichen Museums St. Petersburg zusammengetragen hat, Meisterwerke sind, wie der Titel verspricht. Auch ein Chagall ist eben nicht als Genie geboren worden.

Doch dann hieß es recht rasch raus aus dem Mittelmaß. Und wie so oft um 1900 war es der Avantgarde-Druckkochtopf Paris, der seine Wirkung nicht verfehlte. Hier schloss der Sohn einer armen chassidischen Großfamilie aus dem weißrussischen Wizebsk Freundschaft mit dem Dichter Apollinaire, der Chagalls nostalgische Erinnerungsbilder an sein jüdisches Schtetl "surnaturel" nannte - noch bevor er 1917 die Surrealisten ganz ähnlich betitelte. Chagall lernte van Goghs intensive Farbigkeit, den Kubismus sowie die übermächtige Stellung des Alphatierchens Picasso kennen, dem er, als einer unter mehreren ewigen Zweiten der Kunstgeschichte, wenig Achtung entgegenzubringen vermochte. Bezeichnend ist da die Differenz zwischen dem Titel der Zeichnung "In Gedanken an Picasso" und der tatsächlichen Inschrift, die von ganz und gar nicht freundlichen Gedanken an den Kollegen zeugt.

Und auch mit einem zweiten großen Mann der Kunstgeschichte hat sich der stilistisch zwar alles aufsaugende, motivisch aber meist der Vergangenheit verhaftete Chagall zerworfen, als er 1914 nach einem Aufenthalt in Russland nicht mehr nach Paris zurück konnte - und sich der Revolution verschrieb: Im Disput über das revolutionäre "Schwarze Quadrat" des mächtigen Bolschewisten Kasimir Malewitsch zerbrach nicht nur eine einstige Freundschaft, sondern wohl auch Chagalls Karriere in seiner Heimat. 1922 kehrt er nach Paris zurück.

Zuvor aber hinterließ er dem neuen Jüdischen Kammertheater in Moskau eine wunderbare malerische Ausstattung, die, danach lange verschollen, jetzt im Zentrum dieser Wiener Ausstellung steht. Schön zu sehen ist hier Chagalls wütende Abneigung gegen jeglichen Realismus auf der Bühne: Zur Bühne hin wird sein monumentales "Einführungs"-Bild (siehe Abbildung) immer blasser. Alles, was sich auf der Bühne abspielt, ist eben nur Abbild, nicht Wirklichkeit. Da muss selbst die grüne Kuh ihre Farbe lassen. Bis 18. 2., täglich 10-19 Uhr, Freitag bis 21 Uhr. Eintritt: 8,70 Euro.

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