13.06.2001 10:04:00 MEZ
Dekolonialisierte Künstler
Ein Biotop. Davor lange Schlangen, die sich fragen: "Wo geht's hier zum Österreicher-Fest?"

Es ist eine Biennale des Anstellens, meint Markus Mittringer und schaffte es u.a. in den österreichischen Pavillon, den Gelatin in eine Sumpflandschaft verwandelt hat.


Venedig - Die 49. Biennale von Venedig wird als jene des Anstellens in die Geschichte eingehen. Die Giardini gleichen einem englischen Busknotenpunkt. Und selbstverständlich will man auch dort hin, wo alle anderen hinfahren. Eine Haltestelle ohne Schlange davor ist höchst verdächtig. Belgien zum Beispiel leistet sich so einen Pavillon ohne Schlange davor.

Jan Hoet hat das angerichtet, hat als Kommissär einfach Luc Tuymans nominiert. Der wiederum hat einfach Bilder an die Wand gehängt, und die evozieren nun wirklich keine Schlange. Obwohl das jetzt wiederum gute Bilder sind, hinterfotzige Malereien zum Thema Porträt. Die Zeit zum Fragenstellen fehlt einem dann zum Anstellen. Das muss kalkuliert werden.

Zum Beispiel beim deutschen Pavillon: Bis sich dort der unscheinbare Eingang auftut, zieht schon einmal ein Dutzend Vaporetti vorbei. Also morgen. Auch Österreich bittet zum Anstellen. Und das ist gut so. Kann doch der österreichische Besucher derweil über der Frage brüten, ob es denn nun heuer ein offizielles Fest der Österreicher gibt oder nicht. Schließlich gab es jedes Jahr ein Österreicher-Fest, und der Österreicher ist dort auch gerne hingegangen: Wiener Galeristen hatten dort immer die Gelegenheit, im prickelnden Beisein von Wiener Politikern die Wiener Dinge zu regeln.

Und heuer soll alles anders sein. "Der Morak soll gar nicht kommen", tönt es aus der Schlange. "Sicher, der darf ja auch kein Fest machen", tönt es zurück. "Wieso?". "Die Schweeger will das nicht!" "Ja darf die denn das nicht wollen?" "Die macht aber doch ein Fest!" "Echt! Wo?" "Da braucht man aber eine Einladung, da genügt der Staatsbürgerschaftsnachweis nicht." "Sauerei!" - Irgendwann ist man dann doch ganz vorne in der Reihe zum Seiteneingang (repräsentative Portallösungen sind, wie alles andere Repräsentative auch, heuer ganz out) und darf die Szene betreten: Es ist ein Biotop. Keines aus dem Gartencenter, sondern ein echtes, eines mit Müll zwischen den Sumpfpflanzen, eines mit Wahrheitsanspruch.

Und die Bretter, die den japanischen Zierkies ersetzen, sind fallweise zu dünn. Und da steht man dann mitten im Gatsch und hat keine Einladung zum Fest. Und dann steht inmitten der Kröten auch noch einer und ist ganz weiß getüncht. Ein grüner Strich teilt seinen Leib vertikal in zwei Hälften, und dann soll sich da noch einer auskennen.

Der Holzverschlag der Zwillinge Hohenbüchler vom letzten Mal hat wenigsten die Krise am Balkan gelöst, aber das jetzt? Hat Lois Weinberger an einer Pflanze genascht, die gesetzlichen Bestimmungen unterliegt? Könnte da nicht wenigstens irgendwo die Elke Krystufek sitzen und zur allgemeinen Erbauung an sich Hand anlegen? Aber nein, da kommen die Burschen von Gelatin daher, setzen den halben Pavillon unter Wasser und liefern dazu nicht einmal ein Konzept, über das man nachher beim Fest g’scheit reden könnte. Das ist allerhand. Die haben offensichtlich Spaß daran, den besten österreichischen Biennale-Beitrag seit langem zu liefern, und es lässt sich nichts Vorbereitetes dazu sagen.

Und dann ist da noch eine zweite Künstlergruppe: Granular Synthesis. Die begreifen Sound und Video als "unzertrennbares Ganzes". Da sich das mit dem Biotop nicht verträgt, haben die sich total abgeschottet. Müssen sie auch, weil sonst die "Intensität", die sie erzeugen, flöten geht. Und so steht man dann im Darkroom und bekommt wieder einmal total intensiv mit, wie der Sound einfährt, während es gebrochen monochrom total intensiv flackert. Und da möchte man eins werden mit dem Ton und dem Licht, für immer und ewig von Kurt Hentschläger und Ulf Langheinrich moduliert werden.

Der beste Fluchtweg aus dem Angriff der Substanz ist der zurück ins Biotop. Dort kommt dann wieder Lust auf und Sehnsucht und fröhliches Gackern.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 6. 2001)


Quelle: © derStandard.at