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Quer durch Galerien

Engel fahren nicht mit dem Fahrrad

Von Claudia Aigner
Es gibt da so eine Berufsgruppe, nämlich die, die sich allein mit dem Kopf und seinen Bedürfnissen befasst, die weiß aus täglicher Anschauung, dass die Idee des Hippokrates von den vier Temperamenten doch noch nicht verjährt ist: die Psychiater? Oder gar die Theologen, die sich mit cholerischen Beelzebuben und Dämonen herumschlagen müssen? Nein: die Friseure. (Das sind die Haarbändiger, die unsere Haare dressieren, damit sie Männchen machen, also eine "Frisur" werden.)

Das österreichische Webverzeichnis! Phlegmatiker sind bekanntlich Leute, die das Temperament eines Teppichs haben, der ja ebenfalls selten ausrastet. Haben sie auch noch eine kongeniale Frisur, die wie die Haut auf dem Kakao träge auf ihrem Schädel döst, dann hält ihre Motivationstrainerin (die Fernsehwerbung) genug Volume-up-Sprays und Dauerwellen für sie bereit und genügend Energydrinks (Haarshampoos), die Spannkraft und Elan ins apathische, teilnahmslose Haar hineinwaschen. Denn das Ideal ist immer noch das sanguinische, lebensbejahende, spontane Haar. Wieso gäbe es sonst diese Styling-Gele, die den Haaren Nachhilfe in Vitalität und Übermut geben?
Und die Choleriker? Die haben wahrscheinlich einen jähzornigen Magen (oder heißt das "Reizmagen"?). Und müssen dauernd hecheln (am besten in ein Papiersackerl hinein), um sich abzukühlen. Und sollten besagtes Sackerl immer dabei haben, als Erste-Hilfe-Utensil bei einem Temperamentsausbruch (einer "cholerischen Episode"). Schon wegen der Herzinfarktprophylaxe. Und es muss auch Haare mit ausgeprägt cholerischem Naturell geben, Frisuren mit Tobsuchtsanfällen. Andernfalls würden Haardisziplinierungsprodukte wie Haargummis oder besänftigender Haarbalsam, der den Willen des Kopfhaars bricht, ja wenig Sinn machen. Und um melancholischem Haar den Lebenswillen zurückzugeben, werden Glanzspülungen oder Haaraufbaukuren als Antidepressiva verabreicht.
Dass Haare Temperament haben (welches auch immer), ist völlig einleuchtend. Aber Engel? Und wirkt sich das dann auf ihren Flugstil aus?
Engel sind Mitarbeiter im göttlichen Botendienst und stellen Nachrichten aus dem Himmel zu. Sie fahren nicht mit dem Fahrrad. Weil sie keinen gelben Rucksack auf dem Rücken haben, sondern Flügel. Und wären diese Personifikationen des göttlichen Offenbarungswillens, diese "göttlichen Monologe mit Flügeln" keine "Mehrwegboten", die nach Erledigung des Zustellauftrags wieder rauf müssten, hätte schließlich auch ein Fallschirm gereicht. Martin C. Herbst (bis 16. April in der Rudolf Budja Galerie im Palais Kinsky, Freyung 4) stattet seine "Angeli" aber mit nichts aus, womit sie zwischen Aufwind und Schwerkraft navigieren könnten. Außerdem hat er sie von Michelangelo geklaut. Und genau genommen spielt er an ein und demselben Engel alle möglichen (natürlich nicht wirklich alle möglichen) Farbstimmungen durch.

Rudolf Budja Galerie: Stimmungsschwankungen

Moment. Ein Engel? Aber das ist doch vielmehr die libysche Sibylle, die wie so viele Frauen auf der Sixtinischen Decke transsexuell ist. Soll heißen: Sie war einmal ein Mann, bevor Michelangelo sein männliches Modell notdürftig mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen ausgestattet hat. Eine uralte Methode. Die steht schon in der Bibel. Oder ist Eva etwas anderes als ein Adam (der menschliche Prototyp) mit anatomischen Neuerungen?
Und da es sich bei den Engeln der Kunstgeschichte, die vorzugsweise männlich sind, ohnedies bloß um die getauften und geschlechtsumgewandelten römischen Siegesgöttinnen handelt, um lauter geflügelte Victorias, die zur Konkurrenz konvertiert sind, sich auf die Seite des Gewinners, des Christentums, geschlagen haben, ist es überhaupt nicht revolutionär, was der Martin C. Herbst da macht: eine von andern Göttern inspirierte Prophetin zu christianisieren. Aus einem Transsexuellen einen "Transzendenten" zu machen, eine wuchtig muskulöse Bodybuilderin mit irdisch athletischem Leib (der sich auszeichnet durch groben Knochenbau mit kräftiger Muskulatur und geräumigem Brustkorb fürs große Sportlerherz) ansatzweise in einen Ätherleib umzuformulieren. Nicht zuletzt, weil er die Dame auf Aluplatten, auf eine immateriell schimmernde Oberfläche gemalt hat (wohl die Aktualisierung des mittelalterlichen Goldgrunds) und damit ein bissl aus der Welt der Physis in die Sphäre des unsichtbaren Pneumas entrückt hat.
Das riesige aufgeschlagene Buch hat er der Sibylle auch weggenommen, ein Akt von pervers grausamer Bibliophobie (Sado-Analphabetismus). Und jetzt macht sie die empfangsbereite Geste des Paketzustellers, wenn er mit erhobenen Armen demütig die Sendung vom Auftraggeber entgegennimmt. Der klassischen Orantengeste nicht ganz unähnlich. Und wie wechselt der Engel nun seinen Charakter streng nach Hippokrates? Herbst verlässt sich da ganz auf die Farbpsychologie. Sein Orange ist tatsächlich cholerisch und kurz vor dem Siedepunkt. Aber die Melancholie: Da hätt' ich mir mehr "Farben in Moll" erwartet. Betrübtes Grau zum Beispiel. Oder Traurigblau. So genau darf man's halt nicht nehmen. Was bleibt sind süffige, reißerisch schöne Farbkombinationen, technisch brillant gemalt (wie gestriegelt und vehement verwischt). Vielleicht schon zu attraktiv und begehrenswert. Die wollen unbedingt gefallen.

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Gebäude verwelken langsamer als Blumen oder Dauerwellen. Und wenn man sie ungestört altern lässt (ohne "Schönheitsoperationen" und Teintauffrischungen, also ohne Restaurierungen), kann das sehr eindrucksvoll sein. Wenn das Make-up langsam abgeht, die Fresken und der Verputz. Brian McKee hat solche "Architekturaltersheime", verlassene Städte, in Indien besucht. Und imposante, ruhig komponierte Aufnahmen von würdevoll verfallenden, verblühenden Palästen gemacht, vorwiegend von Innenräumen, die die Erosion weitgehend abgeschminkt hat und wo der einstige Glanz melancholisch oder selbstbewusst, geradezu heroisch durchschimmert.
Mit der schweren, behäbigen Plattenkamera lauert McKee dort dem Licht auf, dessen Gewohnheiten und Tagesablauf er ja genau kennt, nachdem er es vor Ort ausspioniert hat. Und wartet oft stundenlang geduldig auf den richtigen Moment. Auf den großen mystischen Auftritt des Tageslichts oder auf dessen schüchternes Eintreten. Historiker brauchen ja theoretisch auch keine Armbanduhr (zumindest nicht für ihren Fachbereich, nur, wenn sie ihren Bus nicht versäumen wollen). Denn ihr Metier ist die Geschichte. Und die handelt von der Zeit, die nicht mit der Uhr oder mit dem Taschenkalender gemessen wird, sondern mit - dem Geschichtsbuch. Diese intensiven, geschichtsgewaltigen Gebäudeporträts hätte man mit einer hektischen, zappeligen Digitalkamera nie hingekriegt. Bis 2. April im Hilger contemporary (Dorotheergasse 5).

Erschienen am: 18.03.2005

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