diepresse.com
zurück | drucken
24.06.2002 - Kultur News
Reibend wie Sandpapier: Kunst, Kirche, Abstoßung, Anziehung, Skandal
Die alten Familienbande von Kunst und Kirche sind zerrissen, doch die Verwandtschaft bleibt spürbar: Annäherungsversuche am runden Tisch im Kulturzentrum der Grazer Minoriten.
VON ELISABETH WILLGRUBER


"Wenn man versucht, etwas mit der Kirche zu machen, geht es daneben. Sogar der moderne Kirchenbau ist uninteressant geworden", brachte der Wiener Architekturtheoretiker Jan Tabor Freitag provokant Schwung in die Diskussionsrunde bei den Grazer Minoriten. Auch die Kunstsammlung im Vatikan sei schlichtweg Kitsch. Zuvor hatte bereits Moderator Peter Pawlowsky eingeworfen, niveauvolle moderne Kunst "verweigert sich weitgehend der Kirche". Ausgangspunkt der festlichen Eröffnung des renovierten, seinerzeit von Josef Fink gegründeten Kulturzentrums war die Präsentation des neuen Heftes "Kunst und Kirche", das nach Grandseigneur Günter Rombold nun von Alois Kölbl und Johannes Rauchenberger redigiert wird.

Ganz im Sinne der Ökumene und dennoch reibend wie Sandpapier widmet sich der Schwerpunkt "Pathos und Emotion in der aktuellen Kunst" dem Barock. Oder wie es im Vorwort heißt: Pathos als eine Liebeserklärung "an die ,Versüdlichung' vom betont protestantischen Norden zum Barock katholisch-südlicher Provenienz".

Das von süßlicher Leidensästhetik durchdrungene, Christi Kreuzigung assoziierende Titelbild von Muntean/Rosenblum (beide grenzen sich in ihren visuellen Welterfahrungen von Religion ab) ist ein gelungener Blickfang für kontroversielle Betrachtungen. Für Margarethe Markovec, Kuratorin von "rotor", ein Beleg für religiöses Hineininterpretieren, das aber nicht die Ausgangslage des Künstlers ausmache.

Barock-Kenner Tabor lud zum Ausflug in die Geschichte ein, wonach "sich der Begriff von Kunst, der heute gilt, in der Barockzeit entwickelte. Religion, Kunst und Ideologie sind gleichzeitig entstanden und waren eine Einheit, die sich in der Renaissance, vor allem im Barock, auflöste."

Bruch im 19. Jahrhundert

Dazu der Medienkünstler Richard Kriesche: "Der Bruch ist im 19. Jahrhundert mit dem neuen Forderungsprogramm von der Autonomie des Menschen vollzogen worden. Die bürgerliche Gesellschaft hat Kunst für sich selbst instrumentalisiert. Die Kirche hat die Leitfunktion verloren."

Motive für einen Annäherungsversuch sieht Kriesche heute "im Leidensdruck von Kirche und Kunst an der ihnen abhanden gekommenen Gesellschaft (Insider-Publikum)." Beide liefen Gefahr, "zu ästhetischer, beziehungsweise religiöser Folklore zu werden".

Gemeinsam sei beiden der Generalvertretungsanspruch (mit jüngsten Konflikten um Nitsch und Haderer). "Alleinvertretungsansprüche der Religion funktionieren heute nicht mehr", bekannte (Kunst- und Kultur-)Bischof Egon Kapellari, unterstützt vom Fundamentaltheologen Gerhard Larcher, der hervorhob, "Kunst muß es wertschätzen, einen Partner zu haben, der hinsichtlich Gedächtnis, Opfer und Grausamkeit dieselbe Ethik verfolgt." An die Künstler richtete Kapellari die rhetorische Frage, ob sie wie das gegenwärtige Christentum von Güte, Barmherzigkeit oder von Opferbereitschaft geprägt seien?

Wurden der Kirche in der Diskussion gesellschaftsfremde, autokratische Strukturen vorgehalten und zu wenig gestalterische Impulse für das heutige Leben, räumten selbst kritische Stimmen ein, daß es theologische Ebenen gibt (etwa im sozialen Bereich oder in der Asylantenfrage), die - wie Tabor sagte - von "lobenswerter Radikalität" seien. Wunden und Verletzungen auf beiden Seiten bewirken vielleicht die Renaissance einstmaliger Familienbande. Gleich, ob sich das in barocken oder ganz neuen Zeichen ausdrückt. Brückenpfosten haben verfeindete Freunde gebaut.

Das Prinzip Hoffnung gilt der Praxis, der Vernunft und Emotionalität sowie der konsequenten, kritischen Begegnung - kurzum der Zukunft!



© Die Presse | Wien