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Wo geht's hier zur nächsten Ausstellung?

Es wird immer schwieriger, sich in der aktuellen Museumslandschaft in Wien auszukennen, sagen die einen. Es kann nicht zu viel Kunst geben, sagen die anderen. Eine Neuordnung der einzelnen Museen ist dringend notwendig, meinen die einen. Die andern: Die Autonomie der einzelnen Häuser muss gewahrt bleiben.

Die aktuell entfachte Museumsdebatte hat sich lange schon angekündigt, aber erst mit der Eröffnung des Museumsquartiers im Sommer und Herbst des letzten Jahres ist sie so richtig entbrannt. Auf einen Schlag wurde ersichtlich, wie viel - institutioneller - Ausstellungsraum für bildende Kunst und weitere kulturhistorische Bereiche wie Design, Architektur, Geschichte und Ethnologie in Wien zur Verfügung steht: 88.497 Quadratmeter.

Und es sollen noch mehr werden. In absehbarer Zeit planen nicht wenige Institutionen eine Vergrößerung ihrer Ausstellungsflächen: Das Kunsthistorische Museum, die Graphische Sammlung Albertina, die Österreichische Galerie Belvedere zusammen mit dem Museum moderner Kunst (im 20er Haus) sowie das Museum für Angewandte Kunst mit dem Flakturm-Projekt "CAT" im Arenberg-Park. Die Kunsthalle Wien eröffnet kommende Woche einen so genannten "project space" anstelle des alten Containers am Karlsplatz (siehe Interview), und noch dieses Jahr soll auch das Palais Liechtenstein im neunten Bezirk, wo früher das Museum moderner Kunst logierte, für die Sammlungen Liechtenstein adaptiert werden.

Mediales Interesse

"Die Museumslandschaft ist ohne Zweifel in Bewegung", bestätigt Wilfried Seipel, Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums. Dennoch finde er es erstaunlich, "wie groß das mediale Interesse an der ganzen Geschichte" sei. "Erstaunlich" ist das mediale Interesse vielleicht weniger aus der Sicht Seipels, der an einigen der jüngsten Verschiebungen aktiv beteiligt war, als für eine kulturkritische Öffentlichkeit: Seipels kunsthistorischem Imperium (mit Wagenburg, Schatzkammer, Palais Harrach und anderen) wurde letztes Jahr das Völkerkunde- und das Theatermuseum einverleibt. Seipel mischt in Salzburg mit, wo um den geplanten Neubau eines Museums am Berg beziehungsweise um ein zweites Museum "im Berg" gerungen wird. Und weiters ist er letztes Jahr eine publikumsträchtige Kooperation mit dem international agierenden Guggenheim-Museum eingegangen. Auch für Wien hegt er Expansionspläne: Der chronische Mangel an Extra-Ausstellungsflächen im Kunsthistorischen Museum soll in nächster Zeit behoben werden, dann nämlich, wenn unter dem Maria-Theresien-Platz neue Schauräume entstehen.

Seipels größter Konkurrent unter den Museumsdirektoren ist Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Graphischen Sammlung Albertina. Schröder ist nicht nur ein Kontrahent Seipels in der Salzburger Museumsfrage, sondern gleichzeitig auch ein Mitspieler in Wien: So ist Seipel nach jahrelanger Suche nach einem Standort für die Wotruba-Sammlung, deren Vorstandsvorsitzender er ist, bei Schröder fündig geworden. Schröder, der wiederum im Vorstand der Wotruba-Stiftung sitzt, wird den obdachlosen Wotruba-Nachlass nun in der Albertina-Säulenhalle unterbringen. "Ein idealer Ausstellungsort", so Seipel.

Die massiven Plastiken des österreichischen Bildhauers Fritz Wotruba jetzt in der Grafik-Sammlung Albertina? Egal. Denn zum jetzigen Zeitpunkt geht es in Hinblick auf die Attraktivitätssteigerung der eigenen Häuser eher darum, effektiven Gestaltungswillen zu zeigen.

Profilverlust

Mit einer außerordentlichen Kraftanstrengung ist Albertina-Chef Schröder derzeit dabei, die verstaubte Grafik-Sammlung in ein neuzeitliches Ausstellungszentrum zu verwandeln. Anfänglich geplant war die Eröffnung des neuen Hauses für Herbst 2002, nun steht der neue Termin mit März 2003 fest. Zwei neue Ausstellungshallen von 780 und 830 Quadratmeter Fläche sollen für Wechselausstellungen zur Verfügung stehen. Dass die Albertina ihr Profil als wissenschaftliche Anstalt verlieren könnte, befürchtete zuletzt der Österreichische Kunsthistoriker-Verband, der eingeladen worden war, die neue Museumsordnung zu prüfen. Die Bandbreite der Ausstellungen, die in der neuen Albertina geplant ist, reicht vom Expressionisten Edvard Munch über das dekonstruktivistische Architektenduo Coop Himmelb(l)au bis zum germanischen Malerfürsten Anselm Kiefer. Alle genannten, argumentiert Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, gehörten zum Bestand der Albertina-Sammlungen, weshalb Ausstellungen dort auch ihre Berechtigung hätten. Anselm Kiefer möchte aber zum Beispiel auch Rudolf Leopold in seinem neuen Haus im Wiener Museumsquartier zeigen, obwohl er eigentlich in der klassischen Moderne positioniert ist. Wobei die neue Tendenz von Leopolds Sammlungstätigkeit ganz klar in Richtung zeitgenössischer Kunst geht.

Tatsächlich wird mit dem Rennen um die publikumsträchtigste Ausstellung nun ein Konkurrenzkampf ausgetragen, bei dem die Territorien neu definiert werden sollen. So hat Klaus Albrecht Schröder die Diskussion mit Äußerungen über eine mögliche Eingliederung ähnlich agierender Bundesmuseen zusätzlich angeheizt: "Mir erschien die Zusammenlegung von Österreichischer Galerie und Albertina eine sinnvolle Fusion, da sich die Sammlungen in wesentlichen Teilen perfekt ergänzen. Aber das kann nicht über den Kopf eines Direktors hinweg geschehen. Andere Ideen, wie Seipels Vorschlag, Klimt und Schiele des Belvedere der Sammlung Leopold zuzuschlagen, halte ich für sachfremd." Schröders Gegenüber vom Maria-Theresien-Platz, Wilfried Seipel, meint nun, dass sich "in der nächsten Zeit in der Museumslandschaft gar nichts ändern wird. Die Bundesmuseen sind heute alle eigenständige, privatrechtlich geführte Anstalten, für deren Zusammenlegung es einer Zustimmung des jeweiligen Direktors bedarf. Da kann man also noch so viele Fusionspläne träumen."

Dass die Leiter der genannten, als disponible Museumsmassen geltenden Institutionen naturgemäß wenig von derartigen Plänen halten, liegt auf der Hand. So ließ Gerbert Frodl, Direktor des Belvedere ausrichten, dass "Fusionswünsche für ihn kein Thema sind".

Mit gutem Grund. Denn eine zentralisierte Museumslandschaft bedeutet eher den Wegfall profilierter Identitäten und wäre sicher kein Allheilmittel für eine größere öffentliche Aufmerksamkeit. Weder das Theatermuseum noch das Völkerkundemuseum machen derzeit mit ihren Ausstellungen Furore.

Ausstellungsdschungel

Das Problem, das sich mit der Expansion der Ausstellungsflächen in Wien ergibt, ist nicht nur das einer fehlenden inhaltlichen Abstimmung der Aufgabenbereiche der einzelnen Veranstalter, sondern auch das einer erschwerten Orientierung für die Besucher des neuen Museums- und Ausstellungsdschungels. So meint etwa Gerald Matt, Direktor der Kunsthalle Wien, dass es in der österreichischen Hauptstadt nicht zu viele Ausstellungsflächen gäbe, sondern dass manche Häuser kein klares Profil haben. Matt fordert daher: "Schluss mit Kraut und Rüben."

Auch die Kultursprecherin der Wiener Grünen, Marie Ringler, sieht "kein Gesamtkonzept für die Wiener Museumslandschaft" und gibt zu bedenken, dass die "relativ bedenklichen Zentralisierungstendenzen zu einer monokulturellen Lösung führen könnten, statt Vielfalt zu bewahren".

"Wer will das alles sehen?", fragte Wiens Ex-Kulturstadträtin Ursula Pasterk bereits vor einigen Wochen in einem profil-Kommentar. Pasterk forderte eine Diskussion um Inhalte und Strukturen - weg von schwer "manövrierbaren Kunsttankern". Ähnlich wie Ringler ortete sie die Malaise in der mangelnden Verantwortlichkeit in der ministerialen Museumspolitik: "Das Problem ist, dass sich derzeit weit und breit kein Kulturpolitiker findet, der von sich aus kundtut, was denn eigentlich die Parameter einer guten Museumspolitik wären und worauf es ankäme in einer vollkommen neuen Ausgangslage, die den Museen von niemand anderem als der Kulturpolitik verordnet worden ist."

Wiens derzeitiger Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny sieht in der aktuellen Bundesmuseen-Landschaft ebenfalls "die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit der einzelnen Häuser" und wünschte sich eine "inhaltliche Schärfung der einzelnen Profile". In der Stadtpolitik Wiens möchte Mailath-Pokorny diesen Fehler nicht begehen und denkt momentan über eine Neupositionierung des Historischen Museums der Stadt Wien nach. Die Leitung der in letzter Zeit nicht sehr aufregend agierenden Institution am Wiener Karlsplatz soll noch dieses Jahr neu ausgeschrieben werden. Ein Haus aktueller urbaner Alltagskultur schwebt dem Stadtrat hier vor: "Das neue Historische Museum soll ein Geschichtsspeicher sein, in dem gleichzeitig die Zukunft thematisiert wird. Urbane Themen sollen präsentiert werden, in denen der Dialog unterschiedlicher Ethnien oder urbaner Milieus kulturell und sozialgeschichtlich geführt wird."

Zum "Kunstplatz Karlsplatz", der mit Kunsthalle und Historischem Museum fest in städtischer Hand ist, gehört auch das Künstlerhaus. Nachdem ein Vertrag mit dem Bund über eine Nutzung der Räumlichkeiten letztes Jahr ausgelaufen war, stand die Künstlervereinigung vor ernsthaften Schwierigkeiten. Nun soll das ambitionierte, eigenständige Programm in den Bereichen Design, Crossover und zeitgenössische Kunst unter den geänderten Bedingungen weitergeführt werden. Für Manfred Nehrer, Leiter des Künstlerhauses, geht trotz der angelaufenen Museumsdebatte die "museale Zielsetzung an der Entwicklung der Gegenwartskunst vorbei", was zu einem "dürren Dahinvegetieren der zeitgenössischen Kunst" führe.

Nichts Besonderes

Dass die Strukturdiskussion öffentlich geführt werden sollte, allerdings nicht auf Kosten der Autonomie der einzelnen Häuser, dafür plädiert Edelbert Köb, der neue Direktor des Museums moderner Kunst: "Die Kernbestände einer Sammlung sollten den Ausgangspunkt einer Ausstellungstätigkeit bilden." Mit seinem eigenen Haus im Museumsquartier ist Köb derzeit aufgrund ganz anderer Umstände in die Schlagzeilen geraten: Köb möchte die Sammlung neu gestalten und dabei auch Platz für Wechselausstellungen schaffen. Im Zuge dieser Umstellung sollen auch "Baumängel" behoben werden, und so will Köb sein Haus für rund einen Monat zusperren: "Angesichts der Komplexität neuzeitlicher Ausstellungshäuser - bei den technischen Einrichtungen z. B. -, ist es durchaus nicht außergewöhnlich, dass Adaptierungen vorgenommen werden müssen." Auch das Kunsthaus Bregenz, ein Museumsmarkstein der letzten Jahre, von Köb mitentwickelt und geleitet, sei erst nach einem Jahr wirklich funktionstüchtig gewesen.

In dem ganzen Hickhack um Inhalte und Quadratmeter hätte man gern einmal ein klärendes Wort von der Hauptverantwortlichen, Bundesministerin Elisabeth Gehrer, vernommen. Die aber hüllt sich in Schweigen, und so darf man nur mutmaßen, dass sie an der ganzen Museumsdebatte nicht sonderlich interessiert ist. Schade, denn bereits 1998 hat die Ministerin eine Evaluierung der einzelnen Häuser und ein Museumskonzept 2010 versprochen. Was aus diesen Ankündigungen geworden ist, konnte Gehrer vergangene Woche nicht beantworten.

Mitarbeit: Horst Christoph, Wolfgang Paterno und Peter Schneeberger


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