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17.03.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Ausstellung: Zu viel Noten, liebe Wiener
VON NORBERT MAYER
"Mozart. Experiment Aufklärung" - ein konfuses Sammelsurium der Extraklasse in der Albertina.

Ma in Ispagna son già mille e tre." In der Albertina dürfen es sogar noch ein paar Sammelstücke mehr sein. Fairerweise muss man sagen, der Besucher wird gewarnt, wenn er das Museum betritt, um die große Mozart-Ausstellung der Stadt zu sehen, die sich für ein halbes Jahr in mehrere Prunkräume des Palais eingemietet hat. Über den von Franz West entworfenen Teppich, der in all diesen Räumen verlegt wurde, kann man noch streiten. Geschmäcker sind verschieden. Für West besteht das Wesen des Rokoko offenbar in einem Grundton von Pink, auf dem gelbe Quitten, Mozarts warme Ohren und grüne Kordeln eines Morgenrocks die Variationsmuster sind. Ein auffälliges Ding, diese Endlos-Textilie, auf ihr könnte der Zeitgenosse aller Modernen, der Marquis de Sade, sicherlich schöne Partys veranstalten, aber wir schweifen ab.

Zur Sache: Gleich im Foyer ist eine riesige "Pneumatische Skulptur" von Klaus Pinter angebracht, ein Ballon vielleicht, jedenfalls etwas Abgehobenes. Man könnte auch sagen, dieses Kunstwerk ist das Leitmotiv für eine bedrohlich aufgeblasene Show, mit der Bürgermeister Michael Häupl, Mozart-Jahr-Koordinator Peter Marboe und als tatsächlich ausführendes Organ das Da-Ponte-Institut in Gestalt seines Direktors Herbert Lachmayer den 250. Geburtstag des Komponisten abfeiern. 5,5 Millionen Euro kostet die Schau (löbliche 80 Prozent von Sponsoren), 1107 Exponate sind zu sehen, darunter unschätzbare Kostbarkeiten, aber das nützt alles nichts, das Unternehmen zeugt vor allem von einer großen Konfusion.

Das Konzept? Geht in der Fülle verloren. Lachmayer will sie alle haben, von Italia bis Almagna. Er präsentiert einen Mix aus allen Kanälen - etwas zeitgenössische Kunst (Valie Export, Günter Brus) und Mode (John Galliano, Azzedine Alaia), modische Kunst (Gelitin) und Kunsthandwerk (Lobmeyr), unzählige Originaldokumente, Dutzende Video-Sequenzen und fünf Stunden Musik-Schnipsel aus dem Audio-Guide, um den soziokulturellen Geist des 18. im Kontext des 21. Jahrhunderts zu evozieren. So hätte er die Ausstellung nie und nimmer gemacht, gestand Hausherr Klaus Albrecht Schröder bei der Pressekonferenz am Donnerstag. Recht hat er.

Eine Vielzahl der voluminösen mintfarbenen Vitrinen, die die Sicht auf kleinere Bilder erschweren, war noch nicht bestückt, die Beschriftung fehlte, ein Raum mit Kuriositäten konnte noch gar nicht betreten werden. Doch das ist unwesentlich, denn diese Ausstellung kann gar nicht fertig werden. Zu beliebig sind die Kategorien, nach denen die Räume gefüllt wurden bis zum Exzess, zu groß ist das Zeitfenster, das man betrachten soll, zu ausgedehnt die Geografie, vor allem aber: Es fehlt die Idee, an der sich der Besucher orientieren kann. Eine Schau für breite Schichten wünschte sich Marboe, geworden ist es ein Experiment für alle und keinen. Kein Leporello schafft Übersicht.

Um diese Ausstellung zu retten, müsste man sie erst entrümpeln. Man muss nicht Dutzende Partituren sehen, selbst wenn sie von des Meisters Hand stammen, um einen Eindruck vom Schriftbild Mozarts oder gar seiner Entwicklung zu bekommen. Man muss nicht Dutzende aufklärerische Schriften kleinteilig aneinander reihen, um zu erkennen, dass das 18. Jahrhundert ein intellektuell außergewöhnliches war, eine seltene Brückenzeit - eine Hochzeit für Erfinder, Enzyklopädisten, Absolutisten und Revolutionäre. Ein Fest für Kant und Mozart. Lachmayer lobte dieses verschwenderische Zeitalter, es sei ein Gegenbild zum kargen Neoliberalismus. Er wolle die Fülle der damaligen Bildwelten zeigen, dazu habe er ganze Serien an Bildern installiert. Dieser Ansatz mag als Kritik am Lean Management durchgehen, für Kuratoren jedoch ist nicht Verschwendung eine Tugend, sondern Fokussierung. Und an der mangelt es dem Experiment Aufklärung. "Cento in Francia, in Turchia novantuna?" Zu viel.

Die Themenbereiche, in großen Lettern über den Bildern angebracht, lauten "Zersetzte Toleranz", "Produktive Dekadenz", "Beschleunigte Aufklärung", "Weg von Salzburg", "Galanterie", "Salon Europa" oder "Grand Tour". Für jeden also etwas. Das wirkt nicht verschwenderisch, sondern dunkel wie eine Fragment von Lacan.

Was kann man also Positives über dieses Projekt sagen? Der Abschnitt über die Freimaurerei ist didaktisch klug gestaltet. Dahinter kann man in einem schmalen Raum auf einem fantastisch breiten Monitor Passagen aus der "Zauberflöte" sehen und hören oder es sich auf einer blau beleuchteten Installation bequem machen. Im Hauptraum, im Untergeschoß der Bastei, wurden aufwendig und temporär die Stellwände entfernt, sodass eine große Halle entstand. Die klobige Architektur des Teams "KMT/ n-o-m-a-d" leitet den Betrachter geschickt durch dieses Labyrinth, der reibungslose Verkehr von tausenden Betrachtern scheint garantiert. Denn Erfolg wird das Experiment haben. Immerhin sind bei diesem Hochamt des Mozart-Jahres zwei Porträts und eine Menge Autografen des Jubilars zu sehen. Nur auf die Perücke von Amadeus scheint man vergessen zu haben.

Hoffentlich bleibt bei dem Treiben dem Besucher noch genug Muße, um die einzig praktikable Möglichkeit zu nutzen, diese Ausstellung mit Gewinn zu besuchen. Zu empfehlen ist ein eklektischer Ansatz. Man gustiere wie in einem prall gefüllten Auktionshaus, lasse also jede Hoffnung auf planmäßige Erfassung dieser Wiener Mozart-Messe fahren und mache sich auf die Suche nach überraschenden Fundstücken. In dieser bunten Bilder- und Bücherschau ist für jeden etwas dabei. Ein Mozart von Keith Haring hängt neben einem Mozart der Nazis, ein moderner und maroder Mozart kotzt in die Schüssel, Pornos aus Paris liegen friedlich neben Texten der Unterweisung in den musischen Künsten oder neben Büchlein der Erbauung. Ein Zeitalter ist zu besichtigen, das Debut de siècle. Es hat am Rande auch mit Mozart zu tun, wenn man sich die Mühe macht, das herauszulesen. Wer wirklich Aufklärung sucht, kann den Essayband (890 Seiten um 39 Euro) konsultieren. Dort nämlich wird das Chaos der Albertina zum Kosmos des Lesers.

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