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25. August 2005
19:31 MESZ
Von Andreas Feiertag 
Auf Ikarus' Schwingen ins Hohe Haus
"Hybrid - living in paradox": Eine kleine begriffliche Reise durch die Geschichte

hybrid
1. sich selbst überschätzend, eingebildet, vermessen
2. von zweierlei Herkunft, gemischt, zusammengesetzt
3. (biol.) durch Kreuzung entstanden
(Langenscheidts Fremdwörterbuch)

"Hybrid - living in paradox": Das Thema kommt spät. Schon in der Antike wurde der Begriff für die selbstherrliche Übertretung der kreatürlichen Grenzen, die eine höhere Instanz, sei sie Naturordnung oder Gott, den Menschen zugemessen hat. Mythische Exponenten des Menschheitsgeschicks wurden damals als hybrid gebrandmarkt. Ikarus zum Beispiel, als er zu hoch flog.

In der radikalsten Ausformung forcierte Nietzsche die Hybris, stellte die abendländische Metaphysik, die traditionellen Fundamente der christlichen Moral infrage. Als er apostrophierte, Gott sei "tot", gab er dem aufgeklärten Menschen für seine Abkehr vom Glauben an die göttliche Bestimmtheit seiner selbst die Absolution, ermutigte ihn, die Schöpfung selbst in die Hand zu nehmen. Und der Mensch tat es. Mit seinen "Versuchen über Pflanzen-Hybriden" begründete Mendel schließlich die Genetik. Seine Lehre von der reinen und unreinen Vererbung verschmolz mit Darwins Evolutionstheorem vom "survival of the fittest" zur unmenschlichen ideologischen Basis für die Shoa.

In der heutigen öffentlichen Wahrnehmung wird diese genuine soziokulturelle Definition von "hybrid" von einer zunehmenden Wissenschafts- und Technologiegläubigkeit weit gehend verdrängt. Im Vordergrund stehen Entwicklungen, die der Gesellschaft zum Fortschritt gereichen sollen. "Hybridautos" etwa, angetrieben mit Energie zweierlei Herkunft, aus umweltschonendem Wasserstoff und anderen Quellen. Oder "Hybridzellen", deren Erbgut durch Fusion zweierlei menschlicher Zellen therapeutisches Potenzial erhalten soll.

Nur widerwillig werden die umstrittenen Gentech-Pflanzen als hybrid bezeichnet, in Labors bereits gezüchtete Tier-Mensch-Mischwesen nennt man lieber "Chimären". Aber gänzlich außer Acht gelassen wird der Sitz der Hybris schlechthin: die Politik. Und das ist das tatsächlich Paradoxe daran.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.8.2005)


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