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09.08.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Der entzauberte Bademeister
VON JOHANNA HOFLEITNER
Ausstellung Linz. Massimo Vitali kontrolliert Freizeit-Szenen aus fünf Meter Höhe.

W
äre sie nicht so verdammt unge mütlich, schiene es ganz, als hätte der italienische Fotograf Massimo Vitali seine Personale im Lentos auf die Hundstage hin konzipiert. Denn das Gros der knapp 40 ausgestellten Großformate hat Badestrände, Swimmingpools und italienische Flaniermeilen zum Thema. Oder Open-Air-Konzerte in schwülen Sommernächten, Freiluftmusizieren in den Südtiroler Bergen, ein Massenpicknick auf dem Rasen der Tuilerien am französischen Nationalfeiertag. Freizeitsituationen jedenfalls - und sei es die Warteschlange an der Supermarkt-Kassa.

Seit der gelernte Fotojournalist, der fast zwei Jahrzehnte als Aufnahmeleiter für italienische Spiel- und Werbefilme arbeitete, vor bald 15 Jahren auf die Kunst umsattelte, hat er sich auf eine geradezu soziologisch anmutende Bestandsaufnahme der europäischen Konsumgesellschaft in den immer größer werdenden Zeitfenstern der Menschen außerhalb ihrer Arbeitszeit spezialisiert. Die Kulisse liefern dem 61-Jährigen jene Strukturen, die eine speziell dafür entwickelte Industrie bereitstellt: Eine große Rolle spielt dabei gezähmte Natur, meist voll gestellt mit Arsenalen von Sonnenschirmen und Liegestühlen und am Horizont begrenzt von Hotelburgen - oder auch Schloten, Meilern und Kraftwerken.

Unbarmherzige Präzision und Übersicht garantiert die Verwendung einer altmodischen Großbildplattenkamera, die Vitali jeweils auf ein fünf Meter hohes Podest hievt, das dem Kontrollturm eines Bademeisters oder Schiedsrichters nicht unähnlich ist. Die dadurch erzielte Informationsdichte steigert er noch durch das Prinzip der Serie, womit er den Schwenkradius der Kamera maximal erweitern kann - besonders eindrucksvoll demonstriert im achtteiligen "Knokke-Polyptichon", einem Hauptwerk Vitalis', in dem er auf 16 Metern die dicht bevölkerte Küstenlandschaft des belgischen Seebades wie mit Messern zerschneidet.

Und als wäre es noch immer nicht genug, steigert Vitali die fast schon schmerzliche optische Effizienz durch die Ausarbeitung: Sämtliche übermannshoch vergrößerten Fotografien sind hinter Plexiglas aufkaschiert, was den an sich durch Überbelichtung ganz in fahle Farbigkeit getauchten Aufnahmen auch die vom Kunstmarkt geforderte Brillanz verleiht. So weit immer noch gut! Zumal im eleganten, lang gestreckten Saal XIII des Lentos, wo sich die Arbeiten in strenger Rhythmik und Gruppierung um Tony Craggs monumentale Bronzeskulptur "New Curly (Early Forms)" - eine Art postmoderne Liegende - anordnen.

Hätte man's hierbei belassen, die Show wäre absolut überzeugend gewesen. Dummerweise gibt es noch den kleinen Saal XIV, der von seinen Dimensionen her eher wie ein grafisches Kabinett daherkommt. Nicht nur sacken die darin gezeigten Arbeiten qualitativ ab. Vitali hat sich überdies zu einer barocken Hängung hinreißen lassen, bei der die Bilder dicht und unregelmäßig über die Wände verteilt sind. Er hätte das besser bleiben lassen. Es entzaubert ihn.

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