Salzburger Nachrichten am 07. August 2003 - Bereich: kultur
Sammeln vom Nullpunkt an

In Tirol hat die Familie Lenz eine der bedeutendsten Sammlungen zeitgenössischer Kunst der Welt

HELGA REICHART

Ein eindrucksvolles, schindelgedecktes Landhaus auf einer bewaldeten Hügelkuppe bei Söll im Tiroler Unterland: Hof Schönberg, Sitz des Sammlerehepaares Anna und Gerhard Lenz. Man hat bis jetzt recht wenig von ihnen und ihrer Kunstkollektion gehört, tritt ein . . . und ist überwältigt. In der zum Giebel hin offenen Wohnhalle über der weitausladenden Sitzgruppe ein monumentales, terrakottafarbenes Gemälde, atemberaubend: Gotthard Graubners "Grande Pietra et Fuoco", das 1998 von Lenz angekaufte Bild nimmt fast eine ganze Wand ein. Doch nicht genug - wohin der Blick auch fällt: Bilder, Objekte, Skulpturen, überdimensional, aber auch in kleineren Formaten, eigenwillig und von schlichter Schönheit.

Wir sind mitten im Herzen von "Zero", dort, wo das Ehepaar Lenz und seine Söhne Georges und Alexander seit 1975 eine nonfigurative, zutiefst spirituelle Kunst bewahren und mehren, von der Lenz sagt: "Sie ist so sehr ich selbst, dass ich sie haben muss, um sie beschützen zu können." Begonnen hat es in den 50er Jahren. Da hat der junge Kaufmann aus Bremen in einer "Zero-Ausstellung" ein Rasterbild von Otto Piene entdeckt.

Es löste in ihm einen "Sammlerrausch" aus, wie er selbst sagt. Seit den 60er Jahren wächst die Zero-Kollektion des Ehepaares Lenz, die in absehbarer Zeit, so Lenz, an die 600 Werke von 50 europäischen Künstlern aus 15 Ländern umfassen wird, kontinuierlich zu einem einzigartigen Zeitdokument heran.

Eine aktive Sammlung, deren neueste Ankäufe (Werke von Graubner, Uecker, Bischofshausen u. a.) erst vor kurzem getätigt wurden. Anna Lenz, die aus einer vermögenden deutschen Unternehmerfamilie stammt und die finanziellen Mittel stellt, war nur langsam in die Zero-Philosophie hineingeglitten, ist nun aber längst mit vollem Enthusiasmus dabei.

Wunderbare Wanderung durch ganz Europa

Die Sammlung Lenz Schönberg hat während der vergangenen 25 Jahre eine "wunderbare Wanderung" durch namhafte Museen und Galerien Europas angetreten. Madrid, Barcelona, Bremen, Frankfurt, München, Salzburg, Innsbruck, Warschau und Moskau waren einige Stationen auf dem Weg, den Anna und Gerhard Lenz mit ihren Ausstellungen uneigennützig und ohne viel Publicity gehen.

Seine "Zero"-Sammlung - die in ihrer Art einmalig ist und von Milton Esterow, Art News, New York, in die 20 bedeutendsten Sammlungen zeitgenössischer Kunst der Welt eingereiht wird - umfasst Arbeiten von Künstlern, die den Zweiten Weltkrieg bewusst erfahren haben.

Sie erlebten die 50er Jahre als Stunde null, als Zeit eines Neuanfangs nach totalem Niedergang. Ihre Werke spiegeln die kreative Entwicklung jedes Einzelnen dieser europäischen Künstlergruppe aus den Fünfzigern bis heute wider.

Die mutigen Schnitte Lucio Fontanas in die "geheiligte Fläche" der Leinwand, die Proklamation von Yves Kleins tiefblauem "Monochromen Bild, IKB 2", der frühe Victor Vasarely "Altai III", das "Weiße Strukturbild" von Hermann Goepfert aus Papiermache`, eine der ersten Übermalungen von Arnulf Rainer, Günther Ueckers gestaltende Arbeit mit Nägeln, die meditativen "Steine" oder die mythische Urkraft der "Kapelle" von Karl Prantl im Lenzschen Natur-Mooswald, eine archaische Sakralskulptur, eingeweiht von einem bayrischen Bischof . . .

Zweifellos sollten und sollen sie alle provozieren und das angreifen, was dem Betrachter seit langem vertraut und plausibel erscheint. Doch - neben ihrer Kargheit, Wahrhaftigkeit und Ästhetik - dokumentieren diese Arbeiten damals wie heute eine historisch genaue Periodisierung der Nachkriegsavantgarde mit ihren sich unterschiedlich entfaltenden Tendenzen.

Gerhard Lenz erzählt, dass er seine Sammlerstücke überwiegend in Galerien ersteht. "Bei mir gibt's keine Auftragsarbeit", sagt der Mä-zen und Sammler schließlich. "Mir ist nichts wichtiger als die Freiheit der Kunst und ihrer Schöpfer. Ohne lange nachzufragen habe ich immer selbst gewusst und gespürt, was der Künstler mit seinem Werk ausdrücken will - ich bin mit Leib und Seele Sammler."