13.06.2001 02:17:00 MEZ
Andere Räume, andere Stimmungen
Die Preise sind vergeben, Venedig gehört wieder dem gemeinen Besucher + Ansichtssache

Die 49. Biennale von Venedig ist seit Sonntag auch dem Publikum zugänglich. Chefkurator Harald Szeemann hat einen Eintopf mit unerhört vielen Zutaten aus aller Herren Länder angerichtet. Markus Mittringer hat ihn als ziemlich bitter empfunden.


 Venedig - Die Preise sind vergeben. Der Kunsttross macht jetzt Basel unsicher. Venedig gehört wieder dem gemeinen Besucher. Bis 4. November hat dieser Gelegenheit, sich ein Bild zu machen, während er Schlage steht, um das diesmalige Innenleben der Pavillons und des Arsenale zu erleben.

 Der Biennale von Venedig oberster Urheber hat gesprochen. Harald Szeemann hat einen Schwall bisher ungeahnten Ausmaßes über die Lagune ausgegossen. Der weise alte Mann hat alles in sich aufgesogen und sodann auch wieder erbrochen. Auf die Verdauung hat er verzichtet. Unausgegoren liegt, hängt und flimmert jetzt alles Mögliche nebeneinander. Es muss doch wohl genügen, allem das Prädikat "Selected by Szeemann" aufzustempeln, hat er sich wohl gedacht. Die Welt, mag er sich immer noch denken, muss endlich begreifen, dass sie bloß so zu sein braucht, wie er sie sieht, und schon ist alles gut. Voller Liebe hat die Glucke sich auf alle Nester gesetzt. Und jetzt sind alle Eier kaputt. Plattgedrückt zu einem riesigen Omelett. Heftige Umarmungen können tödlich sein für Küken.

 Und Stiefväter ebenso. Richard Serra hat jetzt auch noch einen Goldenen Löwen bekommen. Und sicher, seinen Stahlspiralen zu 240 Tonnen pro Stück, die weiß Gott wie ins Arsenale gekommen sind, ist die Qualität nicht abzusprechen. Das sind großartige Kraftakte, die Kleinheit des individuellen Seins zu verdeutlichen, egomanische Anstrengungen, jedem einzelnen Individuum die Körpererfahrung zu erweitern. So etwas passt gut zu Szeemann, das hält seiner Umarmung stand.

 Und die ist eben gewaltig, vermag sogar den heiligen Joseph Beuys zu erdrücken. Kümmerlich liegen dessen 21 Basaltsteine unter den Monströsitäten im Arsenale. "Das Ende des 20. Jahrhunderts" haben sie einst verkündet, heute vermögen sie Szeemanns Omelett nicht einmal mehr zu würzen. Der oberste Kurator hat sie, im Versuch zu salzen, einfach zwischen den knorrigen Fingern zerrieben.

Bühnen ohne Stück

 Andere, wie Ilya Kabakov, ließ er ins Leere laufen. Riesig musste die Halle sein, riesig die Installation. Not everybody will be taken into the future sollte Kabakovs abfahrender Zug signalisieren. Geworden ist daraus eine inhaltsleere Bühne. Ein paar Bilder sollen, liegen geblieben, die Frage stellen, was dereinst aus den Künstlern wird.

 Dazu hätte es des leeren Monumentalbaus nicht bedurft. Das zeigt Szeemann selber. Blindwütig will er seine Kunstgeschichte weiterschreiben und spricht von Menschlichkeit und Miteinander, wo es simpel um Macht geht. Soll das Boot ruhig größer werden, soll ruhig die ganze Welt einsteigen, das Ruder gibt er nicht ab. Die Regie führt immer noch er.

 Und sieht nicht, dass Kraftakte längst kein Thema mehr sind, dass der Bau von Fürstentümern den meisten der jüngeren Künstler einfach kein Anliegen ist. So wie auch erweiterte Selbsterfahrung oder der große visionäre Gestus im Moment einfach nicht Sache sind.

 Eine ganze Generation von jungen Künstlern zeigt einfach Ausschnitte der Welt. Versucht fast verzweifelt darauf hinzuweisen, dass vieles einfach ganz furchtbar ist, glaubt nicht mehr daran, dass man die Realität mit Künstlerschweiß segnen muss. Die beobachten ruhig und aufmerksam. Und zeigen dann, wie beispielsweise Rineke Dijkstra, ganz junge israelische Soldaten. Oder, wie Salla Tykkä, einfach eine kleine Liebesgeschichte. Und Szeemann lässt dann wiederum Chris Burdens Dampfwalze drüberfahren oder knallt Georgina Starrs ebenso lärmendes wie einfältiges Laufstegmassaker daneben.

 Die Arsenale-Schau zeigt, hoffentlich ein letztes Mal, dass die Materialschlacht, dass der Kraftakt ein denkbar ungeeignetes Mittel ist, den Focus der jüngeren Künstler auf die reale Welt zu transportieren. Eine Aneinanderreihung von Videokobeln ist keine Ausstellung. Auch dann nicht, wenn mittendrinnen ein Cy Twombly hängt.

Konkurrenzkampf

 Und John Pilsons feiner Humor im Video Mr. Pickup - einer zeitgemäßen Sisyphos- Variante - hat der Plattheit Vanessa Beecrofts nichts entgegenzusetzen. Szeemann inszeniert sein "Plateau der Menschheit" als Konkurrenzkampf, potenziert im Arsenale, was schon in den Giardini lange nicht mehr funktioniert.

 Der beste Pavillon, der beste Länderbeitrag, der beste Altkünstler, der beste junge, auserkoren von einer Fachjury - das alles braucht niemand mehr. Wer sollte auch beurteilen, ob und wie eine leise Soundinstallation funktioniert, wenn den Veranstaltern daran gelegen sein muss, Tausendschaften möglichst schnell durchzutreiben, damit am Ende die Kassa stimmt?

 Zum besten Länderpavillon gekürt wurde der deutsche. Die wenigsten dürften ihn gesehen haben. Gregor Schneider baut seit Jahren schon sein Mietshaus in Rheydt aus und um. Er untersucht damit die Wechselwirkung zwischen Ort und Befindlichkeit. Man kann darin sogar die Decken heben und senken oder ganze Räume drehen. Ganze Originalteile seines Hauses hat er nun nach Venedig verlegt, in den Pavillon eingebaut, der jetzt nur mehr durch eine mickrige Tür betretbar ist. Innen ist dann alles recht verschachtelt und eng, weswegen wiederum immer nur ganz wenige Besucher gleichzeitig hineindürfen. Aber der große Aufwand wird in Venedig eben belohnt. Dem Kraftakt folgte der Preis. Einen ähnlichen Effekt hat man allerdings, wenn man am Lido vom Hotelzimmer in die Osteria wechselt: Da ändert sich oft auch das Befinden.

 Szeemann könnte der Trainer aus Ingeborg Lüschers Fußballvideo Fusion sein. Die hat die Spieler in Nadelstreifanzüge gesteckt und aufeinander losgelassen: Nur der Bessere bleibt über in der Welt der Wirtschaft. Und Szeemann lässt einfach die Künstler aufeinander los. Ganz so, als ginge es immer noch um die fröhliche Kapitalschlacht, die sich der Kunstmarkt in den 80er-Jahren lieferte. (DER STANDARD, 13.6.2001)




Quelle: © derStandard.at