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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Kultur & Politik | Linz 2009 
17. Februar 2009
17:43 MEZ

Wie im siebten Himmel: Für die Video-Aufnahmen hängte der türkische Film- und Videokünstler Kutlug Ataman die Männer an einen Baukran.


Grenzgänge im Zweistromland
In seinen "Mesopotamischen Erzählungen" spürt der türkische Künstler Kutlug Ataman dem "Eigenen" und "Fremden" nach

Die Videoinstallationen sind bis 19.4. im Lentos in Linz zu sehen.

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Linz - Mit Grenzgängern, mit Kulturbrüchen, befasst sich der türkische Film-, Video- und Fotokünstler Kutlug Ataman seit den 1990er-Jahren. Seine Filme thematisieren von Beginn an gesellschaftliche Konflikte, erzählen von Menschen, die sich innerlich wie äußerlich an Konventionen reiben.

Bekannt wurde Ataman mit dem Film Lola und Billidikid (1999) über einen jungen Türken in der Berliner Schwulenszene. 1997 wurde Atamans achtstündiges Filmtagebuch Semiha b. Unplugged, in dem die exzentrische Opernsängerin Semiha Berksoy aus ihrem Leben erzählt, bei der Istanbul Biennale gezeigt. Einladungen nach Venedig und zur Documenta folgten.

Mitte der 1990er-Jahre begann Ataman, mit Videoinstallationen zu arbeiten und fokussierte dabei auch auf Themen abseits exzentrischer Existenzweisen. Preisgekrönt seine 40-teilige Videoarbeit Küba über ein Istanbuler Armenviertel, die 2007 auf einem Frachtschiff von Bulgarien die Donau hinauf bis nach Wien reiste. Atamans Provokation ist subtiler geworden. Ihn beschäftigt gesellschaftlicher Wandel (nicht nur) im Kontext der politischen Verhältnisse in der Türkei. Deutlich wird dies in seiner Betrachtung Ostanatoliens: In Mesopotamische Erzählungen im Lentos spürt er in Videoinstallationen dem "Eigenen" und "Fremden" nach, aufbrechenden Traditionen und ihren östlichen wie westlichen Schreibweisen.

Streben nach Glück

The Dome heißt die Installation im ersten Raum: Flatscreens hängen von der Decke, darunter liegen Matratzen. Die wie Kacheln angeordneten Bildschirme spielen auf römische Kirchenkuppeln an, doch statt auf Engel und Heilige blickt man auf türkische Männer in Gebetsposen, die im siebten Himmel zu schweben scheinen.

Noch höher hinaus geht es, wenn ein türkisches Dorf auf den Mond will: Auf zwei Projektionsflächen zeigt Ataman abwechselnd Interviews mit türkischen Intellektuellen und eine schwarz-weiße Bildergeschichte. Die Fiktion einer Mondfahrt - gefälschtes Found Footage - wird quasi "seriös" kommentiert. Mit Gegenüberstellungen arbeitet Ataman auch in den restlichen Räumen. Das Schweigen, zu dem Anatolien im Schatten externer Interessen stets verdammt war, kombiniert er mit der Geschwätzigkeit einer Dorfbewohnerin: Zu einer Säule arrangierte Fernseher zeigen stumme Dorfbewohner im Close-up. Nebenan sprudelt es aus einer jungen Frau nur so heraus. Ihr "Streben nach Glück" entpuppt sich im Interview jedoch als Stolpern durch Konventionen. Indem Ataman Shakespeares komplettes Werk händisch auf eine Filmrolle schreibt, stülpt er die östliche Ästhetik der Kalligrafie über den westlichen Literaturkanon. Gegenüber stammeln zwei junge Türken englische Nonsens-Gedichte.

Ganz auf Bildsprache verlegt sich das Ende der Ausstellung: Auf einem alten Militärfoto mit byzantinischem Bildaufbau steht der mächtigste Militär im Zentrum, die restliche Gruppe ist an den Rand gedrängt. Luftig ist hingegen die gesamte Ausstellung geraten, die räumliche Großzügigkeit fängt die inhaltliche Dichte auf. (Wolfgang Schmutz, DER STANDARD/Printausgabe, 18.02.2009)

Bis 19. 4.

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