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vom 04.09.2007 - Seite 021

Orientierungslos im Festival

Morgen geht's los: Dann tanzen Regenschirme zu "Singing in the Rain", erwachen Spielfiguren zum Leben und machen zahlreiche ausländische Besucher das Linzer Stadtbild bunter. Das Festival Ars Electronica beginnt.

"Goodbye Privacy" - das Ende der Privatheit in unserer dauerüberwachten Welt hat sich die Ars Electronica dieses Jahr als Thema gewählt. Die vergangenen 25 Auflagen des Festivals sprechen für sich, und so können sich die Organisatoren über internationale Künstler, internationale Besucher und internationales Renommee freuen. Doch auch regionale Künstler werden in der kommenden Woche vor den Vorhang geholt.

Bereits der offizielle Auftakt am 6. 9. hält für die Besucher eine Grenzerfahrung bereit. Im Botanischen Garten Linz, der zur Zeit des NS-Regimes als Nebenlager des KZ Mauthausen geführt wurde, reflektieren Künstler zuerst in Bild und Klang unter dem Motto "more than memories" über Erinnerung und Freiheit der Kunst.

Im Anschluss geht es in die Stollen des Aktienkellers zu Kurt Hengstschlägers Inszenierung FEED, bei der die Besucher durch Trockennebel völlig die Orientierung in den Katakomben verlieren und nur stroboskopische Lichtblitze zu ihnen durchdringen. "Ein gruseliges Erlebnis," wie Künstler Hengstschläger verspricht: "Der Betrachter meint, mit dem Auge zu sehen, sieht aber mit dem Hirn."

Zentrum "Second City"

Ein Ziel des Festivals ist es in diesem Jahr, "den öffentlichen Raum nicht nur zu bespielen, sondern selbst zum Kunstobjekt zu machen", sagt die künstlerische Leiterin Christine Schöpf.

Das soll vor allem in der "Second City" geschehen. Vormals bekannt als Linzer Marienstraße und Pfarrplatz, ist diese "Second City" von 6. bis 11. 9. Zentrum des Festivals.

Dort wird in einer Kunstinstallation, die der Linzer Dietmar Offenhuber gemeinsam mit den beiden Amerikanern Drew Harry und Orkan Telhan entwickelt hat, Tischfußball gespielt. Allerdings müssen dazu erst Avatare aus der virtuellen Welt von "Second Life" überzeugt werden, sich als Spielfigur zur Verfügung zu stellen. Auch sonst warten von tanzenden Regenschirmen bis hin zu einem "Second-Life"-Friseur zahlreiche Überraschungen.

Die Ausstellung "Ars intrinsica - Kunst aus dem Innersten" am 9. 9. in St. Florian erinnert an Kunst im klassischen Sinn. Wie Franz Fellner, Leiter der Radiologie am AKH Linz, diese allerdings zustandegebracht hat, passt zum Festival-Thema. Denn er hat mittels Magnetresonanz-Tomographie und Computertomographie wahrhaft ins Innerste des Menschen geblickt - und zum Beispiel beobachtet, was im Gehirn passiert, wenn Menschen Musik von Bruckner hören. Den "Audioweg Gusen" nennt Christoph Mayer die künstlerische Auseinandersetzung mit seinem Heimatort (6. bis 11. 9.). "Ich wollte die Diskrepanz zwischen dem höllischen Ort der NS-Zeit und der jetzigen Normalität zeigen", sagt er. In einer Audiocollage hat er Aussagen von Zeitzeugen und heutigen Bewohnern zusammengeschnitten.

Außerdem stehen heuer noch eine Richterkonferenz zum Thema "Grundrechte in digitalen Welten" (5.-6. 9.), ein Symposium zum Thema "Goodbye Privacy! Welcome Publicity?" (6.-7. 9.) und eine Festivalrallye für Groß und Klein (6.-9. 9.) auf dem Programm.

Ganz Linz von oben

Der Höhepunkt soll aber "die größte Reality-Show aller Zeiten" werden. Unter dem Titel "Ganz Linz - Ein Gruppenfoto" werden am Samstag ab 10 Uhr mit speziellen Kameras 4424 Fotos aus einem Kleinflugzeug von Linz von oben gemacht - und jeder soll sich etwas einfallen lassen. (jule)


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