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vom 25.11.2005 - Seite Ars
Wege durch das Dickicht Realität

Die Welt wird komplexer, unberechenbarer, unüberschaubarer. Wissenschaft und Forschung versuchen mit Simulationen am Computer, Übersicht zu verschaffen. Eine Konferenz zu diesem Thema gibt es im Jänner im Ars Electronica Center.

Wie breiten sich Epidemien angesichts des starken internationalen Personenverkehrs aus? Könnte die Pharmaindustrie Wirkstoffe schnell genug produzieren und könnten Impfungen die Menschen rechtzeitig erreichen? Würde ein rapider Anstieg der Nachfrage die globalen Märkte überfordern und Gegenmaßnahmen im Chaos münden? Und birgt eine genaue Kenntnis der vielfältigen Flugrouten von Zugvögeln eine Chance zur Prävention?

Beispiel Vogelgrippe

Das Extrembeispiel der Vogelgrippe legt die schier unendliche Komplexität unserer Welt offen. Antworten auf solche Fragestellung liegen in der professionellen Bearbeitung von Daten durch Wissenschaft und Forschung. Aber auch zur Bewältigung scheinbar weniger spektakulärer Aufgabenstellung können Simulation und Netzwerkanalyse wertvolle Informationen liefern.

So könnte man zum Beispiel Verkehrsstaus vermeiden oder die Produktion einer Firma besser planen. Auch die Entwicklung des Arbeitsmarktes ließe sich besser voraussagen.

Die internationale Konferenz und Ausstellung "Age of Simulation" widmet sich den vielen Teilbereichen von Simulation: beginnend bei Computerspielen und Special Effects im Film über die Simulation des Verhaltens von Arbeitsteams, Vogelschwärmen, Märkten, Börsencrashes, Verkehrsstaus bis hin zur Ausbreitung von Meinungen und Moden ¼

Internationale Experten wie Ken Perlin, Ian Bogost und Clark Aldrich erörtern neben Experten von FAS.research aus Wien und dem Ars Electronica Futurelab aus Linz die Einsatzmöglichkeiten von Simulation in den Bereichen Wirtschaft, Forschung, Ausbildung sowie in der Unterhaltungsindustrie.

Abgerundet wird das Programm durch Abendveranstaltungen mit Performances. Interaktive Bereiche in der Ausstellung des Ars Electronica Center zeigen spielerische und kreative Zugänge, die verschiedene Simulationsformen zu vielschichtigen Themenbereichen eröffnen können.

Info: Konferenz "Age of Simulation" im Ars Electronica Center, 12.-15. Jänner 2006

Simulation eines Walzwerkes in der VAI (Voest Alpine Industrieanlagenbau) Foto: AEC/Futurelab

Diskutieren und informieren

Ob internationale Konferenz oder öffentliche Podiumsdiskussion : "The Age of Simulation" bietet Überblick zu einem spannenden Thema.

Die Konferenz findet von Donnerstag, 12. Jänner bis Samstag, 14. Jänner statt und gliedert sich in Vorträge (Panels), Arbeitsgruppen (Workshops) sowie ein Rahmenprogramm mit Podiumsdiskussion und Ausstellung.

Besonders interessant für ein interessiertes Publikum ist die Podiumsdiskussion am 12. Jänner, bei der Ken Perlin einen Überblick zum Thema und seiner Arbeit geben wird. Anschließend wird eine Medienkunst-Performance der amerikanischen Künstler Goland Levin und Zachary Lieberman gezeigt.

Symposien und Panels bieten einen tieferen Einblick in das Thema. Internationale Experten wie Eric Klopfer vom MIT Media Lab oder Ernest Adams, führender Theoretiker auf dem Gebiet Game-Design sind ebenso vertreten wie Vertreter der österreichischen Netzwerkanalyse - allen voran Harald Katzmair, Direktor des FAS.research - und Spezialisten aus Linz wie Christopher Lindinger oder Robert Praxmarer vom Ars Electronica Futurelab. Eine Ausstellung im Ars Electronica Center vermittelt zusätzliche Information zum Konferenz-Thema.

Genaues Programm unter www.aec.at/simulation

GESPRÄCH: Medienforscher Ken Perlin über die Entwicklung von künstlichen Charakteren

Künstliche Charaktere als Mensch-Ersatz?

Ken Perlin ist einer der internationalen Vertreter, die bei der Konferenz "The Age of Simulation" sprechen werden. Sein Vortrag beleuchtet ein Anwendungsgebiet von Simulationen: die Entwicklung von künstlichen Charakteren.

VON WOLFGANG BEDNARZEK

Wie steht Ihr Arbeitsgebiet in Zusammenhang mit dem Thema "Simulation"?

PERLIN: Ich arbeite an einer Reihe von Projekten, die verschiedene Bereiche berühren. Einerseits geht es dabei um einen neuen Zugang zu unserem Umgang mit dem Computer. Wir entwickeln neue Eingabegeräte, um kreativer und intuitiver damit umgehen zu können, ohne immer auf Maus und Tasten angewiesen zu sein.

Weiters arbeite ich im Bereich der Computeranimation sowie mit "Virtuellen Charakteren" - und die stehen in engem Zusammenhang mit Simulationen.

Worum geht es bei diesen "Virtuellen Charakteren"?

Ganz simpel gesagt, sind dies künstliche, am Computer existierende Graphiken von Menschen. Diese Graphiken reagieren jedoch mit Hilfe von Computerprogrammen wie reale Personen. Sie simulieren also selbstständig oder auf einen äußeren Reiz Mimik, Gestik und andere emotionale Ausdrücke.

Wozu benötigt man solche "Virtuellen Charaktere"?

Es gibt eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten. Ein Gebiet, in dem viele Menschen bereits Kontakt mit solchen Programmen hatten, ist etwa die Filmindustrie. Der ausgeprägte Charakter der Figur "Gollum" in "Der Herr der Ringe" wurde etwa mit Hilfe dieser Technologie realisiert.

Aber auch in anderen Bereichen des Lebens können solche Charaktere eine wertvolle Rolle spielen, zum Beispiel in der Ausbildung.

Werden solche Charaktere aus bits und bytes dann Menschen ersetzen?

Nein, darum geht es nicht. Das Einsatzgebiet wäre in der Ausbildung zum Beispiel die Simulation von Extremsituationen. Man könnte etwa Mitarbeiter von Erste-Hilfe-Teams unter Einsatz von Virtuellen Charakteren darauf schulen, wie ganze Menschenmassen in Panik reagieren und wie man damit umgeht.

Virtuelle Charaktere würden hier Menschen in Panik simulieren, die je nach Maßnahme der Teams unterschiedlich und sehr realistisch reagieren.

Auf diese Weise könnten alle Einsatzkräfte von Rettungsteams auch flächendeckend in Katastrophenszenarien geschult werden. Dies war in realen Übungen bislang nur mit großem materiellen und personellen Aufwand, wie bei Katastrophenschutzübungen, möglich.

ZUR PERSON

Medienforscher

Ken Perlin ist Professer des von ihm mitbegründeten Media Research Laboratory an der Universität von New York. Seine Forschungen konzentrieren sich vor allem auf Graphik, Animation und Multimedia. Für seine wissenschaftliche Tätigkeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Preise. Im Jänner 2004 wurden seine Arbeiten im Whitney Museum of American Art ausgestellt.

Was ist Simulation?

Was ist Simulation? Gustav Pomberger, Vorstand des Instituts für Wirtschaftsinformatik / Software Engineering an der Linzer Kepler-Universität, versucht den Begriff zu erklären.

Ist Simulation auch für die Kepler Universität ein Thema?

POMBERGER: Simulation ist ein Instrument, das für die Forschung unverzichtbar ist. Es versteht sich deshalb von selbst, dass der Simulation bei den Arbeiten vieler Institute an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und bereichsübergreifend eine wichtige Rolle zukommt.

Welche Impulse setzt Ihr Institut in diesem Bereich?

Unser Forschungsgegenstand ist die Softwaretechnik. Software steuert Prozesse, Anlagen und ist in zunehmendem Maße für das Funktionieren ganz alltäglicher Gebrauchsgegenstände verantwortlich. Durch Simulation ist es beispielsweise möglich, das korrekte Zusammenspiel vieler Komponenten frühzeitig - noch bevor einzelne Komponenten gefertigt sind - und mit geringem Aufwand und geringem Risiko zu überprüfen. Dadurch können Risiken in der Produktentwicklung minimiert und Entwicklungsprozesse beschleunigt werden.

Simulation spielt aber auch in anderen Bereichen eine wichtige Rolle, etwa bei der Entwicklung neuer Medikamente oder Impfstoffe als Alternative zu Tierversuchen, zur experimentellen Überprüfung geplanter betriebs- und volkswirtschaftlicher Maßnahmen, und zu den bekanntesten Beispielen gehören Flugsimulatoren.

Wir entwickeln sowohl Techniken zum Bau von Simulationsinstrumenten als auch spezielle Simulationsinstrumente.

Ein konkretes Projektbeispiel aus Ihrer Forschungsarbeit?

Wir haben zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Siemens/VAI und dem Ars Electronica Futurelab ein komplettes virtuelles Walzwerk entwickelt, mit dem man realitätsgetreu und photorealistisch den Walzprozess simulieren kann. Ein solch "digitales" Walzwerk ist vielfältig einsetzbar: als Marketing-Instrument, zum Konstruktions-Prototyping und als Trainingssimulator für Personalschulung. Das ist Simulation pur!

Ergeben sich auch für den Wirtschaftsstandort Oberösterreich Zukunftsperspektiven?

Oberösterreich verfügt über eine innovative Industrie, besondere Stärken in der Software-Technologie, hervorragende wissenschaftliche Experten auf dem Gebiet der Mathematik, Physik, Informatik und Mechatronik.

Das sind ideale Voraussetzungen um auch das Potenzial der Simulation zur weiteren Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des oberösterreichischen Wirtschaftsraumes auszuschöpfen.


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