Salzburger Nachrichten am 11. April 2005 - Bereich: kultur
Wände, Türen, Treppen

Das Kunsthaus Bregenz

zeigt seit Samstag die erste große Einzelausstellung der britischen Künstlerin Rachel Whiteread in Österreich. Sie ist hierzulande vor allem durch das Holocaust-Mahnmal bekannt, das sie 2000 für den Wiener Judenplatz geschaffen hat. Rachel Whiteread arbeitet mit einem Negativabgussverfahren. Das bedeutet, dass sie ein vorgefundenes Objekt etwa eine Türe oder ein Zimmer mit Industriematerialien wie Gips, Beton, Gummi oder Polyesterharzen anfüllt, und dann das ursprüngliche Objekt entfernt. So wird der Leerraum zum eigentlichen Kunstwerk, die gewöhnliche, flüchtige Leere wird von Kunst erfüllt.

In jedem Stockwerk

des Kunsthauses ist eine bestimmte künstlerische Aussage zu finden. Der Titel der Ausstellung "Walls, Doors, Floors and Stairs" verdeutlicht die Verzahnung, die dieses zeitgenössische Werk mit der Architektur des Hauses eingeht. Wände, Türen, Böden und Treppen, die sich in den Skulpturen finden, sind genauso im Kunsthaus-Bau als zentrale gestalterische Elemente vertreten. Die Skulptur "Untiteled - Upstairs" (siehe Bild) zeigt eine Treppe, die sich in den Aufgängen des Hauses in verblüffend ähnlicher Form wiederfindet. Im ersten Stock sind drei Gruppen von quadratisch angeordnete Platten am Boden, die fast spiegelbildlich in den quadratischen Deckenplatten des Hauses wiederzufinden sind. Die für die Bregenzer Ausstellung geschaffene Werkgruppe "Türen" hat keine direkte Entsprechung, genauso wie der "Raum 101", der Innenabguss eines Zimmers, das auf einen Abguss jenes Zimmers zurückgeht, das George Orwell in seiner Zeit als BBC-Mitarbeiter benutzt hat, und das Orwell als Vorlage für die Folterkammer in seinem Roman 1984 gedient hat.

Whitereads Kunst

spielt mit dem Minimum. Ein Kritiker hat sie in der Tradition der "minimal art" als eine "Minimalistin mit Herz" bezeichnet. Das Werk der Britin spielt mit dem Verschwinden. Das wird deutlich, wo die Skulpturen nur aus Platten bestehen. Die klassische Skulptur ist sozusagen auf ihren Sockel reduziert, die nur wenige Zentimeter dick sind. Nur eine kleine Ausbuchtung hebt sich ein wenig über die Platten, und gleicht eher einer Warze als einem klassischen skulpturalen Objekt.

Die Gipsabgüsse

von Türen, die wie nebensächlich an die Wände gelehnt wurden, sind mit Gips gefüllter Raum. Die Härte des ansonsten flüchtigen Seins wird hier beschworen. Assoziationen zu Grabsteinen sind beabsichtigt. Die Treppe im Erdgeschoss könnte in der abendländischen Tradition auf die Jakobsleiter des Alten Testaments verweisen. Während dort die Engel an der Leiter von Mensch zu Gott auf- und niedersteigen, ergibt sich bei Whiteread eine Art nihilistische Vision, an der am Anfang und am Ende einer leergefegten Stiege das Nichts steht. WOLFGANG ÖLZ