Zeichen der Zeit | 22.09.01 | www.DiePresse.at |
Bitte nichts Neues!
"Ich war nie gegen die Tradition, ich war nur gegen Konventionen, die bis zum Gehtnichtmehr verbraucht sind." Gerhard Rühm, literarischer Bürgerschreck der fünfziger Jahre, über Regietheater, Bauernstuben, die Wiener Philharmoniker und heimische Kulturpolitik.
Opernmord: Wiener Mundartdichter muß wegen seiner
Verse Alibi erbringen!" Der "Express" vom 24. April 1963 weiß es genau. Und fast
könnte man sentimental werden: Was waren das doch für Zeiten, als einen ein
bißchen Lyrik in den Augen heimischer Behörden zum potentiellen Gewaltverbrecher
avancieren ließ! Gewiß, dieses Bißchen war für damalige Verhältnisse keine
Kleinigkeit, war, wie sein Autor später eingestand, mit seinem "makabren,
zuweilen absurden Humor", mit seiner "erotischen Direktheit" fürwahr geeignet,
die in jenen Tagen herrschenden Tabus "eklatant" zu verletzen. Aber deshalb
allein schon in einem Sohn aus grundsolidem Wiener Bürgerhaus einen Lustmörder
vermuten? Gerhard Rühm jedenfalls, ebenjener kraft seiner Gedichte dringend
Tatverdächtige, kehrte wenig später seiner Geburtsstadt Wien den Rücken, um erst
in Berlin, dann in Köln sein künstlerisches Glück zu suchen. Das er dort
tatsächlich gefunden zu haben scheint: Ein Werkkatalog von seltener Vielfalt,
von Textmontagen und Collagen über Hörspiele bis hin zu Zwölftonkompositionen
und Chansons, legt solche Vermutung zumindest nahe. Daß Rühm, neben H. C.
Artmann, Friedrich Achleitner, Oswald Wiener und Konrad Bayer einst zentrales
Mitglied jener "Wiener Gruppe", der Österreich den Aufbruch in die literarische
Moderne zu danken hat, in seiner Heimat noch immer nicht die Beachtung erfährt,
die er sich verdient zu haben meint, das läßt er beim Gespräch in seiner Wiener
Wohnung deutlich spüren. Genauso deutlich wie die Freude über den
Rühm-Schwerpunkt, den der diesjährige "steirische herbst" ausgerichtet
hat.
Gerhard Rühm, Sie sind eine multiple künstlerische Persönlichkeit:
gelernter Pianist und Komponist, Dichter aus Berufung, mit radiophonen Arbeiten
genauso öffentlich präsent wie mit einem umfänglichen bildnerischen Schaffen.
Gibt es etwas, was Gerhard Rühm gerne könnte, aber nicht kann?
Ich wüßte
nicht. Das ist nicht hochmütig gemeint, sondern ich bescheide mich mit den
Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, die reichen mir auch aus, um das zu
sagen, was ich sagen möchte. Damit hab' ich mehr als genug zu tun. Um Gottes
willen, ich möchte gar nichts Neues anfangen.
Ihre Anfänge als Musiker:
War da das Elternhaus bestimmend?
Das hat sicher eine sehr große Rolle
gespielt. Mein Vater war Kontrabassist bei den Wiener Philharmonikern und hat
später auch unterrichtet an der Musikakademie. Meine Mutter hat gesungen,
allerdings nur zu Hause, nicht öffentlich. Musik gehörte von Anfang an zu meinem
Leben, ich könnte mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen, obwohl es gerade
deshalb, weil mein Vater Musiker war, ungeheure Streitereien zwischen meinem
Vater und mir gegeben hat. Die Wiener Philharmoniker sind ja bekanntlich sehr
konservativ . . . ich weiß nicht, ob ich "gewesen" sagen muß. Ich hab' den
Eindruck, sie tun sich noch immer schwer mit wirklich neuer Musik. Sogar die
Spätwerke von Schönberg und Webern werden extrem selten aufgeführt. Und für
meinen Vater war die Musik mit Richard Strauss faktisch zu Ende. Da gab's viele
Auseinandersetzungen, weil ich zu Hause auch Schönberg gespielt habe, das konnte
mein Vater nicht anhören.
Stichwort: "entartete Kunst"?
Mein Vater
hatte sicher nichts gegen diesen Begriff und ich ganz entschieden, wie man sich
denken kann. Aber das hat nicht bedeutet, daß er sich begeistert hat für das,
was die Nazis als ihr Kulturideal angesehen haben; er fand das einfach angenehm,
daß er unter den Nazis diese Musik nicht mehr spielen mußte.
Ihre
Gegenposition: War das jugendliche Revolte, gab es Einflüsse von
außen?
So komisch das klingt, das kam aus mir selbst insofern, als ich
schon ganz früh, also noch bevor die neue Kunst und die neue Musik überhaupt an
mich herangekommen sind, ein starkes Interesse für alles hatte, was ein bißchen
anders ist als das Übliche. Ich kann mich erinnern: Wir hatten ein
Brockhaus-Lexikon, ein vierbändiges; in meiner Kindheit gehörte das zu meiner
Lieblingsliteratur, ich hab' wahnsinnig gern drin geblättert, und da gab's
mehrere Abbildungsseiten unter dem Titel Expressionismus. Das war das erste und
für längere Zeit einzige, was ich an neuer Malerei gesehen hab'. Da waren
abgedruckt, ich weiß es noch genau, die "Blauen Pferde" von Franz Marc, dann ein
kubistisches Bild von Picasso, dann ein Kandinsky, ein gegenstandsloses Bild.
Das hat mich sehr fasziniert, und ich wußte nicht recht als Knabe, wie ich das
einordnen soll. Ich hab' dann meinen Vater gefragt, was ist denn das, und der
hat geantwortet: Ach, das kannst du vergessen.
Wir sitzen hier in der
Wiener Wohnung, in der Sie aufgewachsen sind, in einer Bauernstube, die in Ihrer
Kindheit und Jugend wohl auch schon so ausgeschaut hat, wie sie heute ausschaut.
Wie fühlt sich Gerhard Rühm, der Avantgardist, den man einst wegen seiner
Gedichte hierzulande sogar des Mordes für fähig hielt, in einem solchen
Ambiente?
Insofern nicht unwohl, weil es helles Holz ist und eine
Holztäfelung eigentlich immer etwas Angenehmes und Warmes hat. Ich würde mir
natürlich die Wohnung nicht so einrichten, meine Frau und ich, wir haben ja in
Köln unseren Hauptwohnsitz, und der ist nach unserem Geschmack gestaltet. Aber
ich fühle mich in Wien sehr wohl, und ich bin froh, daß ich diese Wohnung von
meinen Eltern übernommen hab'. Abgesehen davon: Ich hab' überhaupt nichts gegen
Volkskunst, im Gegenteil, ich hab' mich immer für Volkskunst interessiert, für
echte Volkskunst, nicht für dieses entsetzliche Schlagergeheule, das als
Volkskunst im Fernsehen ausgegeben wird. Heute sagen ja manche, jede Kunst müsse
so populistisch sein, daß sie sich selbst erhält, daß man also Kunst überhaupt
nicht zu subventionieren braucht: Das führt zu einer fürchterlichen Situation -
denn Kunst, die anspruchsvoll ist, hat nur einen kleineren
Interessentenkreis.
Im Zuge das Achtundsechziger-Bewegung hat man sich
doch unter dem Schlagwort "Kultur für alle" zum Ziel gesetzt, die Moderne zu
popularisieren, sie in Bevölkerungsschichten zu tragen, die sie bis dahin nicht
erreicht hatte. Sie selbst haben damals Lesungen in Fabriken abgehalten.
Eigentlich ist man damit gescheitert.
Nein, man ist nicht gescheitert.
Diese Versuche sind teils nur zu zaghaft unternommen worden. In Köln zum
Beispiel sind vor Konzerten neuer Musik Veranstalter in Schulen gegangen, haben
mit den Schülern und Studenten diskutiert, haben versucht, ihnen das
näherzubringen. Und der Effekt ist der, daß die Konzerte mit neuer Musik in Köln
außerordentlich gut besucht sind. Wenn ich mich zum Beispiel erinnere, auf
welchen militanten Widerstand moderne Malerei in den fünfziger Jahren gestoßen
ist beim breiten Publikum, wie man so schön sagt, und wie anstandslos das heute
akzeptiert wird, dann muß man feststellen, es hat sich gewaltig viel verändert.
Die heutige jüngere Generation ist nicht zu vergleichen mit der
gesellschaftlichen Situation der fünfziger und sechziger Jahre.
Was die
Literatur freilich betrifft, haben Sie selbst vor wenigen Jahren gesagt, ein
anspruchsvolles Buch komme "allenfalls durch ein Mißverständnis oder einen
Zufall auf die Bestsellerliste".
Die Bestsellerliste ist für mich kein
Qualitätskriterium.
Aber sie ist wohl ein Maß dafür, ob man das Ziel
"Kultur für alle" erreicht hat. Gut. Erstens darf man nicht vergessen: Literatur
wird sowieso in abnehmendem Maß zur Kenntnis genommen. Das ist eine bedauerliche
Entwicklung, aber das ist so. Und in Österreich ist es besonders kraß; deutsche
Verlage kalkulieren im allgemeinen den Absatzmarkt Österreich überhaupt nicht
ein. Trotzdem muß man feststellen: Es gibt auch hier Zeitschriften wie "kolik",
"Freibord", die teilweise sehr extreme Texte präsentieren, und ich sehe da keine
großen Protestbewegungen dagegen und keine Schwierigkeiten. Das Problem ist
einfach das der Vermittlung. Viele Leute, die sich dafür interessieren, wissen
oft gar nicht, daß es diese Dinge gibt.
Wer könnte, wer sollte solche
Vermittlungsarbeit leisten?
Das wäre eine Aufgabe der Schulen. In
Deutschland allerdings ist jetzt ernsthaft davon die Rede, den Deutschunterricht
so zu gestalten, daß kaum noch Literatur gelesen wird. Das ist eine verheerende
Entwicklung, eine Entwicklung, die zu einer Geschichtslosigkeit führt. Bei
vielen Studenten - ich hab' das ja selbst erlebt in der Kunsthochschule in
Hamburg, ich hab' dort mehr als 25 Jahre unterrichtet - ist das Wissen über
klassische Literatur oder klassische Musik erschreckend gering. Das bedeutet
aber nicht, daß die Leute das ablehnen, sondern daß sie es viel zuwenig kennen.
Ich hab' immer wieder Seminare abgehalten, in denen wir etwa über
Barockliteratur, über bestimmte Erscheinungen der klassischen Musik diskutiert
haben an Hand von Beispielen, und solche Veranstaltungen wurden mit Freude
besucht von seiten der Studenten und haben höchstes Interesse erregt.
Vor
knapp zehn Jahren haben Sie gemeint, Sie hätten zu Ihrem Alter "ein sehr
gebrochenes Verhältnis" und fühlten sich wie Mitte 40. Heute bleiben Ihnen
gerade noch ein paar Monate bis zu Ihrem 72. Geburtstag: Hat sich Ihr Verhältnis
zum Alter gebessert?
Ich hab' zu meinem Alter nach wie vor überhaupt
keine Beziehung. Ich fühle mich keineswegs so alt, wie ich bin. Ich hab' noch
Pläne, wo ich mindestens 150 Jahre leben müßte, und bin voll in Aktion. Ein
Vorteil, den ich heute sehe, für mich, psychisch sozusagen, liegt darin, daß
mich noch weniger aufregt als früher, daß ich, wie soll ich sagen,
ausgeglichener gegenüber Angriffen geworden bin.
Werden Sie noch immer
angegriffen?
Im Moment kann ich mich eigentlich nicht erinnern. Aber ich
hab' manchmal den Eindruck, daß Dinge, die mir wichtig sind, Publikationen zum
Beispiel, ignoriert werden, in der Presse nicht genügend zur Kenntnis genommen
werden; das ist eine Sache, die mich schon etwas betrübt, muß ich sagen, denn
ich hab' ja immerhin einige große Sachen in großen Verlagen publiziert, auch in
österreichischen Verlagen, und die öffentliche Resonanz auf solche
Publikationen, auch wenn sie mir gewichtig erscheinen, ist erstaunlich gering,
jedenfalls hier in Österreich.
Worauf führen Sie das
zurück?
Vielleicht hängt das damit zusammen, daß zum Beispiel so etwas
wie der Roman "textall", der bei Rowohlt erschienen ist, wirklich schwierig zu
besprechen ist, weil man sich intensiv damit auseinandersetzen müßte; das wird
dann oft auf die lange Bank geschoben, und dann ist es irgendwann zu spät. Das
ist mir mit einigen Büchern so passiert, daß die zwar in der Redaktion zur
Kenntnis genommen wurden und daß auch geplant war, sie vielleicht zu besprechen,
aber das wurde dann immer wieder verschoben, verschoben, und dann sagt man:
Jetzt ist es nicht mehr aktuell genug. Und in diesem Zusammenhang ist sie schon
ein Problem, die gewisse . . . ich weiß nicht, ob ich sagen soll "Schwierigkeit"
meiner Literatur; ich glaube, so schwierig ist das gar nicht zu verstehen, was
ich mache, aber man muß sich damit ein bißchen beschäftigen, wie man sich mit
allem, was ein bißchen anspruchsvoller ist, beschäftigen muß.
Von Ernst
Jandl stammt der Befund, H. C. Artmann sei der Vater der Wiener Gruppe und Sie
seien die Mutter. Daß Sie in diesem Familienbild als Mutter herhalten mußten,
verweist auf einen unübersehbaren Mangel an Frauen: Bayer, Wiener, Achleitner,
Artmann, Rühm - die Wiener Gruppe war ein Männerbund, ganz nach dem Gusto jener
Nachkriegsgesellschaft, gegen deren Verkrustungen man ankämpfen zu müssen
meinte.
Wir haben das nicht so empfunden. Friederike Mayröcker zum
Beispiel war immer sehr stark integriert, zumindest in den Umkreis, und in der
bildenden Kunst wurde Maria Lassnig von uns sehr geschätzt; da existierte dieses
Problem, ob das Frau oder Mann ist, gar nicht. Und hätte es jemanden gegeben,
der so radikal gearbeitet hätte, wie wir das gemacht haben, und wäre das eine
Frau gewesen, die wäre selbstverständlich dabeigewesen. Ich glaube, das hängt
eher mit der Situation zusammen als mit einer Absicht, einer bewußten
Ausklammerung von Frauen.
Was halten Sie von Quotenregelungen?
Ich
finde es gerecht, daß jetzt ein Schwerpunkt auf Frauenproduktionen gelegt wird.
Man kommt ja inzwischen drauf, daß es auch früher schon viel mehr interessante
Frauen gegeben hat in der Kunst, als das bewußt zur Kenntnis genommen wurde. In
diesem Sinn hab' ich dagegen nichts einzuwenden. Ich hab' nur gegen eine Sache
etwas: und zwar gegen das große I, wenn beispielsweise nicht von Studenten,
sondern von StudentInnen geschrieben wird. Das ist eine Verhunzung der deutschen
Sprache, die ich nicht akzeptieren will. Und das haben Frauen auch nicht nötig,
mit solchen Mitteln zu arbeiten. Sicher, es gibt eine berechtigte Kritik an der
Männlichkeit der Sprache, aber das ist eben so.
Auf die Frage "Was soll
Kunst?" haben Sie einmal kurz geantwortet: "Provozieren." Ist dieses ästhetische
Anspruchsprofil nicht ein wenig bescheiden?
Ich hab' das vielleicht ein
wenig überspitzt ausgedrückt. Ich würde das schon mit anderen Momenten, die ich
für wichtig halte, verbinden wollen. Außerdem meine ich "Provozieren" in einem
weitergefaßten Sinn, also nicht einfach nur militant eine Provokation
hervorzubringen; man provoziert ja auch dadurch, daß man versucht, Dinge anders
zu zeigen als im hergebrachten, abgedroschenen Sinn. Man muß auch sein eigenes
Sensorium provozieren, indem man bewußt versucht, eine Sache von einer ganz
neuen Seite zu betrachten. Aber so richtig provozieren im direkten, wörtlichen
Sinn, das kann man heute sowieso nicht mehr, außer vielleicht wenn man aufs Land
fährt oder in die Provinz.
Ich weiß nicht, ob sich die Salzburger
Festspiele gerne ins Provinzielle einreihen lassen werden, aber dort
funktioniert die Provokationsmaschine jedenfalls noch immer tadellos, nehmen wir
nur die Salzburger Festspiel-"Fledermaus" von Hans Neuenfels als
Beispiel.
Dazu muß ich sagen, daß ich das gräßlich finde, was Neuenfels
gemacht hat. Für mich ist die "Fledermaus" eines der genialsten Bühnenwerke, die
in den letzten paar hundert Jahren entstanden sind. Und ich bin absolut gegen
diese ewigen Modernisierungen von klassischen Dramen, die in Straßenkleidung
aufgeführt werden, denn das verstößt gegen die Einheit des Werkes. Aber das wäre
jetzt ein eigenes Kapitel, wenn wir uns unterhalten müßten über das sogenannte,
inzwischen schon unsägliche Regietheater. Man kann so etwas immer wieder machen,
aber wir erleben ja nichts anderes mehr. Wenn die Regisseure so ein großes
kreatives Potential haben, das sie ausleben müssen, dann sollen sie das mit
modernen Stücken machen oder sollen sich die Stücke selbst schreiben, aber nicht
mit Stücken, die einen vollkommen anderen geistigen Hintergrund haben.
Steckt hinter Ihrem Unmut auch der Ärger des produzierenden Künstlers
über den Hochmut des reproduzierenden?
Nicht unbedingt, ich bin schon der
Meinung, daß jede Zeit auch ihre ganz bestimmte Art der Interpretation älterer
Kunst hat. Zum Beispiel in der Musik: Das 19. Jahrhundert hat Bach vollkommen
anders interpretiert, als das zur Zeit Bachs gemacht wurde. Und das Groteske ist
ja, daß man heute in der musikalischen Aufführungspraxis eher wieder zurückgeht
auf die Originalbesetzungen, daß man sogar alte Instrumente nachbaut, während
auf dem Gebiet des Theaters genau das Gegenteil passiert.
Und wenn man dann
so weit geht, daß man sagt, man muß ein neues Bühnenbild machen, man muß das
Stück in die Gegenwart versetzen, was weiß ich, ein Stück, das dann von einem
historischen Konflikt handelt, das spielt dann auf einmal im Kosovo oder so,
dann muß man ja noch weiter gehen und sagen: Was ist mit den Texten? Da hat ja
jemand auch behauptet, man sollte die "Zauberflöte" neu betexten, weil der Text
von Schikaneder veraltet ist; ich bin der Meinung, daß der Schikaneder ein
ausgezeichneter Dramatiker war, daß der Text kongenial zur Musik paßt. Wenn man
aber anfängt, auch noch am Text herumzubasteln und den auf modern zu machen, so
wie die flapsigen Shakespeare-Übersetzungen, die heute auf der Bühne zu sehen
sind - Komm mal her, Junge! und so was -, dann müßte man natürlich sagen: Die
ganze Art der Instrumentation ist nicht mehr zeitgemäß bei Mozart - und haut das
Ganze mit einem Pop-Schlagzeug zusammen. Das wäre die letzte
Konsequenz.
Sie sind sich bewußt, daß Sie mit dieser Kritik Hand in Hand
mit jenen konservativen Kunsthaltungen gehen, gegen die Sie und Ihre Mitstreiter
in den fünfziger und sechziger Jahren revoltierten?
Das macht nichts. Ich
könnte mir vorstellen, daß es Bereiche gibt, wo konservativ zu sein
fortschrittlich ist. Denken Sie an den Umweltschutz, das ist ein schlagendes
Beispiel. Man könnte sagen: Kernkraftwerke sind Fortschritt, und wenn ich
dagegen bin, bin ich konservativ. In diesem Fall könnte es fortschrittlich sein,
konservativ zu sein. Und es könnte auch auf kulturellem Gebiet fortschrittlich
sein, konservativ zu sein, wenn man die Tradition weiter pflegen will. Genau
darum ist es mir immer gegangen. Ich war nie jemand, der gegen die Tradition
war, ich war nur gegen Konventionen, die bis zum Gehtnichtmehr verbraucht sind.
Es gibt ja verschiedene Traditionen, es gibt auch verschiedene Schwerpunkte, die
man innerhalb der Traditionen setzen kann. Es ist vorstellbar, daß man
beispielsweise - was ich übrigens einmal mit Achleitner zusammen machen wollte -
eine ganz neue Literaturgeschichte schreibt, in der andere Leute einen großen
Platz einnehmen als heute. Was teilweise schon passiert, daß man etwa die
Barockliteratur, die in Literaturgeschichten vor 100 Jahren noch als Tiefpunkt
der deutschen Literatur angesehen wurde, daß man die heute ganz neu bewertet,
positiv bewertet. S o könnte man sich das auf mehreren Gebieten vorstellen.
Georg Büchner ist genauso wie etwa Grabbe durch den Expressionismus neu entdeckt
worden. In einer sehr umfangreichen Literaturgeschichte vom Anfang des vorigen
Jahrhunderts steht Büchner überhaupt nicht drin. Aber es ist unheimlich viel
über Gustav Freytag oder Emanuel Geibel zu lesen. Und in diesem Sinn könnte man
sich eine Verschiebung der Schwerpunkte durchaus vorstellen, noch immer, in der
Literaturgeschichte.
Sie selbst sind längst dem Status des Verfolgtseins
entrückt, sind wohlgelittener vielfacher Laureat, Staatspreisträger, Ihr
Schaffen ist demnächst Schwerpunkt des "steirischen herbstes". Haben Sie sich an
Österreich gewöhnt, oder hat sich Österreich an Sie gewöhnt?
Na ja, in
den fünfziger Jahren war's ja so, daß wir verfemt waren, nicht nur ich, sondern
auch meine Freunde, die ähnliches gemacht haben. Und ich hatte in dieser Zeit
immer eine Art Haßliebe zu Österreich, das ist ganz klar. Ich bin ja mit der
Wiener Tradition zutiefst verbunden, wie das auch H. C. Artmann war. Das Wiener
Volkstheater hat uns immer begeistert, wir waren große Nestroy-, Raimund- und
Gleich-Fans, man könnte auch Karl Meisl nennen und alle anderen Volksdichter.
Ich bin auch, was das jetzige Österreich betrifft, nicht ganz pessimistisch,
obwohl es sehr bedenklich ist, was im Augenblick - unter anderem kulturpolitisch
- vor sich geht. Ich glaube, daß ein genügend großes Protestpotential und ein
genügend großes kreatives Potential in Österreich nach wie vor vorhanden ist,
daß man nicht pessimistisch in die Zukunft blicken muß.
Was konkret macht
Ihnen kulturpolitisch Sorgen?
Zum Beispiel finde ich es höchst
gefährlich, Institutionen wie junge Theater, die experimentell arbeiten, auf die
Sparflamme zu setzen und zu sagen: Die haben nicht genügend Publikum, und nur
das, was ein großes Publikum erreicht, ist wert, gefördert zu werden, und sie
dann finanziell aushungert. Das ist eine Art schleichender Zensur, die da
ausgeübt wird, eine verdeckte Zensur. Daß sich der Staat von seinen kulturellen
Verpflichtungen zurückzieht und sich ausredet auf Sponsoren, das halte ich für
sehr problematisch, denn gerade exponierte Kunst und anspruchsvolle Kunst ist
von Subventionen abhängig.
Würden Sie heute einen Österreichischen
Staatspreis annehmen?
Nicht von der FPÖ.