Der scheue Maler der luftigen Poesie
Cy Twombly. Das Wiener Museum Moderner Kunst zeigt eine umfassende Retrospektive des 81-jährigen amerikanischen Künstlers.
ERNST P. STROBL Wien (SN). Es kann ja vorkommen, dass sich ein Vater beim Spitznamen für seinen Sohn vergreift. So passierte es dem Baseballspieler Edwin Twombly, der den 1928 geborenen Junior „Cy“ nannte, für „cyclone“, also Wirbelsturm. „Shy“ für scheu wäre treffender gewesen, denn Cy Twombly zählt zu den Schüchternen unter den weltberühmten Künstlern. So gilt es schon als Sensation, dass er überhaupt zu einer Ausstellung anreist, am Dienstagabend fand er sich jedenfalls im Wiener Mumok ein, allerdings, um sich gleich in die letzte Reihe zu verflüchtigen.
Das Mumok zeigt bis 11.Oktober eine überragend umfassende Schau mit dem Titel „Sensations of the Moment“. Der Amerikaner, der nach jahrzehntelangem Hauptwohnsitz in Rom ebenso lang der italienischen Kunst zugerechnet wurde, hat es mittlerweile zum Weltstar gebracht. Kann ja auch in den USA passieren, dass man erst ins Ausland gehen muss, um zu Hause berühmt zu werden.
Die Anfänge Twomblys waren – trotz bester Ausbildung gemeinsam mit Studienkollegen wie Jasper Johns und Robert Rauschenberg – nicht berauschend. Auf ausgedehnten Reisen – darunter einer Europa-Reise mit Robert Rauschenberg – fand Twombly nicht nur künstlerische Anregungen, sondern auch ein Lieblingsland: Italien. 1957 zog er dorthin, zwei Jahre später ließ er sich in Rom nieder, war aber weiterhin viel auf Reisen und pflegte Kontakte zur amerikanischen Kunstszene.
Früh hatte er, der oftmals für sein „Kindergekritzel“ gescholten wurde, das Weiß entdeckt und entwickelt. Weiß wurde zum Signum in der Malerei und auch bei den Skulpturen. Den Amerikanern galt er nicht nur ob seiner Beschäftigung mit mythologischen Themen als zu europäisch.
Wer sich den Welterfolg von Cy Twombly nur schwer erklären kann, ist in der Schau am richtigen Ort. Man muss Kurator Achim Hochdörfer ein Kompliment machen. Selten wurde eine Schau so schön präsentiert. Räume wurden durch Durchblicke in den Stellwänden zu lichten Kunstkapellen, die sowohl das Weiß und die Luftigkeit der Poesie verstärken als auch Assoziationen an Twomblys häufig verwendetes Motiv des Fensters herbeiführen. „Ich benütze die Elemente der Collage, jedoch ohne ihre eigentliche Technik anzuwenden“, sagt Twombly. Weiß gestrichene, simple Skulpturen, wunderbar luftige, poetische und beinahe entmaterialisierte Malereien, stille Fotos, Zeichnungen, „richtige“ Collagen, Rätsel über Rätsel – Cy Twombly ist schwer zu lesen, auch wenn er Wörter oder Sätze hinkritzelt. Internet: www.mumok.at