Die Presse: Wie geht's denn gesundheitlich?
Alfred Hrdlicka: Nicht sonderlich. Weil mich die Wirbelsäule sogar beim
Zeichnen sehr hindert. So arbeite ich jetzt an gar nichts, das kann ich
mir nicht leisten.
Die Presse: In diesen Tagen dürfen Sie ernten: Es gibt Ausstellungen in
Berlin, in Halbturn, in Ihrer Wiener Hausgalerie Hilger.
Hrdlicka: Ja. Das stimmt mich eher melancholisch. Aber die
Wirbelsäule!
Die Presse: Eine böse Ironie des Schicksals, dass ein Mensch, der
soviel Wert auf Rückgrat legt, nun mit seiner eigenen Wirbelsäule sein
Kreuz hat!
s0;30Hrdlicka: Das ist halt so. Daß ich mir einen Wirbel gebrochen
habe, ist gar nicht die entscheidende Sache, die Wirbelsäule ist, das
sieht man im Röntgen, total verbaut.s
Die Presse: Aber wie ein Fünfundsiebzigjähriger schauen sie nicht aus!
In Ihrer Studienzeit in der Akademie, mit den wilden Festen in der
Secession und im Künstlerhaus, trugen Sie, weil sie so alt wirkten, den
Spitznamen "Foda".
Hrdlicka: Ja, Foda, Vater, haben sie zu mir gesagt. Ich war gar nicht
viel älter als meine Kollegen. Wenn Sie jetzt zu mir sagen, ich schau gut
aus, so habe ich damals immer sehr zerschlissen ausgeschaut.
Die Presse: Die Bildhauerei im großen Format war Ihr zweiter Beruf,
darum kamen sie auch später auf die Akademie. Sie haben zuerst Skulpturen
im kleinen Format gemacht.
Hrdlicka: Sie meinen die Zahntechnik? Die hat gar nicht geschadet. Es
war eine gewisse Naturbezogenheit! Im Mund können Sie ja nicht machen, was
Sie wollen. Da habe ich gelernt zu modellieren im kleinen Format,
anzupassen, Assistenz zu machen. So haben mir die zweieinhalb Jahre,
glaube ich, nicht geschadet.
Die Presse: Bei dieser Arbeit lernt man das schmerzverzerrte Gesicht
aus nächster Nähe kennen.
Hrdlicka: Ja, das kann man wohl sagen.
Die Presse: In Ihrem grafischen Programm und in Ihren Plastiken stößt
man oft auf Schmerzen-Gesichter.
Hrdlicka: Das hat mit der Zahntechnik _ aber noch viel mehr mit dem
Krieg zu tun. Ich bin ja wie durch ein Wunder nicht an die Front gekommen.
Ich habe, das kann man sich heute fast gar nicht vorstellen, den
Wehrdienst verweigert und war nicht aufzufinden. Mein Vater hat zu mir
gesagt: Du wirst auf keinen Russen und keinen Ami schießen, die sind doch
dazu da, dass sie die Nazi verjagen. Ich habe mir das sehr zu Herzen
genommen.
Da ich ein guter Schachspieler war, habe ich die halben
Nächte verbracht in den Kaffeehäusern, nicht einmal bei Schnaps, sondern
bei schwarzem Kaffee. Einmal bin ich, als die Wehrkontrolle gekommen ist,
aus einem Café in Hietzing durchs Klosettfenster geflüchtet.
Die Presse: In Ihrem deutschen Wehrdienstbuch ist als
Religionsbekenntnis "altkatholisch" angeführt. Warum?
Hrdlicka: Nachdem der rechte Faschismus, also der katholische
Faschismus, kann man fast sagen, Zwangsreligion war, sind viele Rote
altkatholisch geworden _ ich wurde es mit sechs Jahren.
Die Presse: Wie stehen Sie heute zur katholischen Kirche?
Hrdlicka: Der Witz ist, dass meine ganzen Freunde eigentlich Katholen
sind. Mit den Altkatholiken habe ich keinen Kontakt, ich schick vielleicht
hin und wieder einen symbolischen oder einen netten Beitrag, ich bin auch
nie ausgetreten, weil die Altkatholiken so was waren wie linke Katholiken,
liberale. Die Bibel hat mich, hat meine Kunst sicher mehr beeindruckt als
das "Kapital" von Marx. Ich habe das "Kapital" gelesen und all dieses
Zeug. Aber in Wirklichkeit habe ich religiöse Kunst gemacht. Die zugleich
auch KZ-Kunst war.
Die Presse: Sie haben sich in den Jahren der Studentenrevolte, der
Blumenkinder ein bisserl lustig gemacht über diese Achtundsechziger.
Hrdlicka: Ich bin mit den Achtundsechzigern viel zusammen gewesen. Denn
gerade 1968 wurde ich das erste Mal an eine Hochschule in Deutschland
berufen. Während alle sonoren Professoren mit den 68ern per Du waren, habe
ich meiner Klasse gesagt: Ich bin entweder mit allen per Du oder mit
niemanden. Darum bin ich mit dem Hans Sailer noch per Sie, der war mein
Assistent in Berlin und in Hamburg.
Die Presse: Sie wurden 1964 groß auf der Biennale in Venedig
ausgestellt. Heuer wird dort Bruno Gironcoli gezeigt _ seit langem, nach
vielen Multimedia-Arbeiten und Installationen wieder ein plastischer
Künstler im alten Handwerkssinn. Ein erfreuliches Zeichen für eine
Trendumkehr?
Hrdlicka: Ich kenn die Arbeiten von Gironcoli nicht, ich habe mit ihm
keinerlei Kontakt. Er macht einen Großteil, so habe ich erfahren, wie ich
auch im Prateratelier. Er macht zusammengewürfelte oder zusammengebastelte
große Sachen. Aber er ist ein dreidimensionaler Künstler, immerhin.
Die Presse: Sie trennen sich nicht gerne von Ihren Steinen, viele
Hauptwerke bewahren Sie in Ihrem Bundes-Atelier im Wiener Prater. Mit
welchen Arbeiten in Stein sind sie in den großen österreichischen Museen
vertreten?
Hrdlicka: Gar nicht so stark! Ich bin vertreten mit dem Gekreuzigten,
der wurde 1962 von Werner Hofmann fürs Museum des 20. Jahrhunderts im
Schweizergarten angekauft. Der Großteil meiner plastischen Arbeiten ist
Kunst im öffentlichen Raum _ wie auf dem Wiener Albertina-Platz, der
angeblich in Theodor-Herzl-Platz umbenannt wird. Es gibt ja gar keinen
Albertina-Platz. Eine reine Sprachverwirrung, es gibt keine Adresse
dort.
Die Presse: Im dortigen Mahnmal gegen Krieg und Faschismus sieht man
einen straßenwaschenden Juden, der auch als kleines Tischmodell in Bronze
ausgeführt wird und vielleicht als Briefbeschwerer bei einem
Generaldirektors Dienst tut. Da paßt was nicht zusammen.
Hrdlicka: Nein, das war ein Modell für den Wettbewerb, der Jude besteht
aus zwei großen Steinen, sie liegen in meinem Atelier; für den Wettbewerb
habe ich ein Modell gebraucht. Hollein hat damals teilgenommen, Rainer,
Pillhofer. In vier Exemplaren ist das Modell nach gegossen worden. Rosa
Jochmann hat sich zu einem Geburtstag diesen straßenwaschenden Juden
gewünscht. In Salzburg sind auf der Universität die "Drei Gekreuzigten" in
Bronze, aber nicht im Stein-Original. Ich war nie ein Liebling der
österreichischen Kunstszene. Werner Hofmann hat mich bei meiner ersten
Ausstellung 1960 besucht. Er wollte ein Bild von mir kaufen. Ich habe ihm
einen Preis genannt, da hat er gesagt, dafür kriege ich aber einen
Chagall. Da habe ich zu ihm gesagt: Dann kaufen Sie einen Chagall, lassen
Sie mich in Ruhe. Ich habe mit ihm noch zu tun gehabt im Hamburger
Denkmalstreit. Das Engels-Denkmal, das ist in Wuppertal gemacht habe, hat
der Rau, der jetzt Bundespräsident von Deutschland ist, mit heftigen
Worten verteidigt.
Die Presse: Mit 75 darf man ein bisschen Bilanz ziehen. Was ist der
größte Schmerz, was ist die größte Freude?
Hrdlicka: Der größte Schmerz ist ein privater _ und die größte Freude
ist der Albertinaplatz, der Herzl-Platz heißen soll. Falls die Juden nicht
Einspruch erheben, denn sie haben den straßenwaschenden Juden nie gemocht.
Zu mindest der Wiesenthal nicht. Die haben gesagt, das ist ein Mahnmal der
Erniedrigung. Worauf ich immer geantwortet habe: Die Kreuzigung Christi
ist auch nicht die Würdigung eines Menschen, er wurde zwischen einem Dieb
und einem Mörder gekreuzigt, trotzdem wurde er die große Symbolfigur des
Christentums.
Die Presse: In der Galerie Hilger zeigen Sie eine Serie von Porträts.
Ganz persönliche Erinnerungen?
Hrdlicka: Ja. Ein ganz frühes Selbstporträt von mir. Eines von Rudolf
Schönwald, eines von Anna, die meine erste große Liebe war, von Barbara
(die verstorbene erste Ehefrau, Anm.), mehrmals Angelina (die zweite Frau,
Anm.). Wir machen eine Porträt-Ausstellung, wir wollten keinen großen
Aufwand. In Berlin sind 126 Bilder aus der Sammlung Hilger ausgestellt.
Das war ein Riesen-Auflauf, sieben-, achthundert Leute waren auf der
Vernissage, gesprochen hat der Thierse.
Die Presse: Das war eine SPD-Veranstaltung. Nehmen ihnen die Wiener
Sozialdemokraten ihr gelegentliches Engagement für die Anliegen der KPÖ
übel? 1999 kandidierten Sie bei der Nationalratswahl für die KPÖ.
Hrdlicka: Jetzt muß ich ganz ehrlich sein: Ich finde, dass die SPD, die
doch den Lafontaine auf die Abschußliste gestellt hat, nicht viel besser
ist als die SED. Auch die SED ist mit solchen Mitteln vorgegangen: Der
innere Feind ist der schlimmste Feind.
Für die KPÖ habe ich kandidiert
in einer Zeit, wo es mir sehr schlecht gegangen ist. Wir haben auch Wahl
geworben im Prater. Wir sind beide auf einem Vierradler gefahren. Angelina
hat immer geschrien: "Wählt meinen Mann, er ist#.#.#."
Angelina
Hrdlicka: Nein! "Hier kommt mein Mann, der Patriot!"
Hrdlicka: Da war
gerade eine Reisegruppe aus Ternitz im Prater, mit ihnen habe ich geredet,
dann habe ich das KP-Wahlergebnis von Ternitz angeschaut _ und es war
verdoppelt!
Die Presse: Haben Sie über die Zukunft Ihres Ateliers im Prater, das
heute das größte Hrdlicka-Museum ist, nachgedacht?
Hrdlicka: Ich habe sogar schon einen Schriftverkehr gehabt: Ich will es
kaufen _ aber das lässt sich halt mit dem Bund nicht regeln. Es sollte ein
Hrdlicka-Museum entstehen, ich bin sogar angeschrieben worden, ob ich das
will. Ich habe zurück geschrieben: Sie müssen mir die Kosten nennen. Der
Hoflehner, der mein Nachbar war, ist gestorben, dann mußte das Atelier
geräumt werden.
Die Presse: Ich denke an das von der Wiener Politik versprochene
Wotruba-Museum. Das wurde mit viel Propaganda begonnen, geblieben ist
nichts davon.
Hrdlicka: Geblieben ist die Bildhauer-Schule. Ich habe fünf Jahre das
Wotruba-Museum verwaltet. Aber es war nichts zu machen.
Die Presse: Also muß man selber vorsorgen, darf man sich nicht auf den
Staat verlassen.
Hrdlicka: Nein, auf den Staat soll man sich überhaupt nicht verlassen.
Ich bin ja von meiner Herkunft her ein Staatsfeind.
© Die
Presse | Wien