07.06.2001 17:21:00 MEZ
Kunstgestalten und Sumpfbewohner
Kunst für ein besseres Leben: Ein erster Check

Ob Fitness-Studio, Jesus-Skulpturen oder Schlamm, in Venedig setzt man auf "Plateaus der Menschlichkeit".


Wer getragen von Erwartungen mit dem Vaporetto gen Giardini fährt, um die nun auch schon wieder 49. Auflage der Biennale von Venedig zu erleben, dem sei geraten, zunächst den eidgenössischen Pavillon aufzusuchen. Dort zeigt Urs Lüthi Art for Better Life. Der Veteran gibt sich bemerkenswert agil. Lüthi trainiert, will den Anschluss nicht verpassen, stellt sich seit einigen Jahren schon dem Zeitgeist. Und die Therapie hat ihre Wirkung gezeitigt. Lüthi, der Künstler ist überlebensgroß geworden, Urs liegt Goethe-gleich in der Campagna. Tischbeins Szene ist im Hauptraum des Schweizer Pavillons angesiedelt. Der Künstler denkt entspannt im Sportdress vor sich hin, ergibt sich räkelnd der Schönheit. Wissend, dass Glück und Vergänglichkeit, Schönheit und deren tiefere Bedeutung in ihm kulminieren, durch ihn wirken. Jetzt endlich versprüht er zündende Funken, gibt den Erwartungstollen, was sie erwarten: die Anleitung zum besseren Leben, das Leitmotiv zum Glück.

Und das Glück ist türkis. Und ist das Studio, um fit zu werden, erst einmal türkis, ist auch das gemeine Laufband nicht länger mehr der Himalaja. So, Run for Your Life, Satisfaction ist machbar! Urs behauptet das nicht nur, Urs zeigt es. Er ist diesen Weg gegangen und lädt uns nun alle ein, es ihm gleichzutun. Change Your Life Once A Day, und Happiness wird in die Stadt kommen. Natürlich ist das absurd, aber es wirkt. Sie müssen es nur fühlen. Einfach Lüthi zu- und kommen lassen, und so eine Biennale ist gleich viel leichter zu bewältigen.

Derart hoch motiviert versteht man auch das Biennale-Motto gleich viel besser, liest Platea dell'Umanità - Plateau of Humankind - und dann - Plateau de l'Humanité - und weiß: Genau das braucht man jetzt. Harald Szeemann deutet die Welt, Urs Lüthi deutet den Wahnwitz, und schon ist wieder alles gut. Auch Mark Wallinger, der im britischen Pavillon den erweiterten Begriff einer Wiener Secessions-Ausstellung darlegt. Diesmal in der Mitte des Pavillons: Ecce Homo - auch mindestens lebensgroß, in Marmor gehalten, dornengekrönt und lendengeschürzt. Alles wie gehabt. Publikum verstört. Jesus unberührt inmitten.

Vorbei an einem Haus, das sich die Deutschen in ihr Haus gebaut haben, vorbei auch an den Schlangen, die sich vor Robert Gobers Auftritt im amerikanischen Pavillon bilden, hin zum Vertrauten, auf zur Erfüllung der ersten Bürgerpflicht: der österreichische Pavillon will heute noch in erster Eindrücklichkeit flüchtig betrachtet werden.

Und: Die Nation präsentiert sich ungeschminkt. Dort, wo bisher die Gesellschaft defilierte, ist Sumpfgebiet. Gelatin hat die totale Osmose angerichtet. Alles versinkt, selbst Behelfsstege können niemanden retten. Zumindest die Beine werden schmutzig.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 6. 2001)


Quelle: © derStandard.at