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Kunstberichte
Kunst im öffentlichen Raum: Was einst Eliten vorbehalten war, buhlt heute an alltäglichen Orten um Partizipation

Befreit von den Museumsmauern

Kunst trifft Alltag: Die Installation "Yellow fog" von Olafur Eliasson an der Verbund-Zentrale. Foto: apa/Techt

Kunst trifft Alltag: Die Installation "Yellow fog" von Olafur Eliasson an der Verbund-Zentrale. Foto: apa/Techt

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Mehr als hübsche Dekoration: Kunst im öffentlichen Raum will Denkanstöße vermitteln.
Aufzählung Von der "Kunst am Bau" bis zur zeitgenössischen Installation.

Wien. Die ehrwürdigen Mauern des Museums hat die Kunst längst gesprengt – und die Schutzzone Ausstellungsraum in vielen Beispielen zugunsten von Volksnähe und der Einbindung in den Alltag aufgegeben. Das Kunsthistorische Museum bespielte Bahnhöfe und Hauswände mit Meisterwerken, Wiens Parks und Plätze sind – über Brunnen und Statuen hinaus – mit Kunst bestückt.

Dabei will Kunst im öffentlichen Raum stets mehr als nur Behübschung sein. Sie dient vielen Künstlerinnen und Künstlern als Möglichkeit zur Gesellschaftskritik und zum politischen Anstoß im Umgang mit Vergangenheit und Gegenwart. Hier ist auch die Provokation ein noch gerne eingesetztes Mittel, um Aufmerksamkeit auf die behandelte Thematik zu lenken. Oft als vorübergehende Installation gedacht, haben sich viele Werke einen fixen Platz im Stadtleben erobert.

Die historischen Vorfahren dieser Kunst im öffentlichen Raum? Barocke Brunnen und Reiterdenkmäler ließen sich nennen, allerdings fehlt ihnen als wesentlicher Faktor die bürgerliche Beteiligung. Erst seit dem 19. Jahrhundert kann man von "Public Art" sprechen. Sie meint in Europa und Nordamerika die Verortung von Kunst in Parks, auf Straßen und Plätzen, die jedermann zugänglich sind – und Werke, die von bürgerlicher Seite mitbestimmt und gestiftet wurden. Neben der demokratischen Entscheidung darüber, was aufgestellt wird, ist das Hinaustragen der Kunst zurück in die Gesellschaft Voraussetzung.

Proletarische Selbsthilfe

Durch ihr wissenschaftliches Umfeld ist Kunst im Museum vor allem Sache einer Bildungselite. Schon die ersten sozialen Kunstreformer, wie John Ruskin in England vor 1900, versuchten, das bisher Hehre auch für Arbeiter erfahrbar zu machen. Das Hinaustragen in die Realität der Wohnbauten begann jedoch erst mit dem kommunalen Wohnbau in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – erst in Schweden und Frankreich. Einige Versuche von "Kunst am Bau" gab es in der Ersten Republik in Wien. Zumeist handelte es sich um politisch genützte Statements in figuralem Schmuck, um "Denkzeichen", die auch als Selbsthilfeakt eines Kunstproletariats nach 1918 verstanden werden müssen.

In reduzierter Form und mit propagandistischer Vereinnahmung führten die Nazis diese Eingriffe fort. Zwei Beispiele dafür in Wien wurden erst jüngst von den Künstlerinnen Ulrike Lienbacher und Maria Litschauer zeitgemäß überarbeitet. Doch dazu später.

"Kunst am Bau" wurde nach 1945 mit einer Vorliebe für harmlose Naturthemen weitergeführt und 1948 auf ein Prozent der Bausumme fixiert. Die Stadt Wien stellte sich 1962 als Mäzenin von 1526 Objekten in vier Broschüren dar; diese Zahl konnte bis 1980 auf etwa 3400 Friese, Hauszeichen, freistehende Plastiken, Brunnen, Spielobjekte und Wandmosaiken erhöht werden. Das kulturelle Gedächtnis wurde in diesem Konzept allerdings kaum berücksichtigt. Die vergebenden Stellen der Stadtverwaltung förderten eine an die Bevölkerung angepasste gemäßigte Moderne, die Künstlerinnen und Künstler wurden oft unter sozialen Gesichtspunkten ausgewählt, Konflikte mit der Avantgarde vermieden. Der allgemein angenommenen "Publikumskunst" wird oft ihr ästhetischer Wert abgesprochen: neben lauen Inhalten ein Grund für die relative Unsichtbarkeit dieser Werke heute.

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Gemahnt an das Schicksal ehemaliger jüdischer Bewohner: Maria Theresia Litschauers "[transkription]". Foto: koer/Stephan Wyckoff

Deshalb nennt sich die neue Bewegung seit 1973 (zuerst in Bremen) "Kunst im öffentlichen Raum". Die wilden Anfänge liegen in Aktionen der 60er und 70er Jahre in Wien wie "Kunst und Revolution" im NIG der Universität oder der Arena-Besetzung. In der Praxis stehen auch hier temporäre Projekte bleibenden Installationen gegenüber. Es gibt Zwitter wie Lawrence Weiners Beschriftung des Flak-Turms in Mariahilf, die nur für wenige Jahre geplant war, aufgefrischt aber bis heute existiert. Der Appell des Künstlers gegen den Krieg auf einem Mahnmal par excellence zeigt Gedenken mit Schriftintervention als einen zeitgemäßen Schwerpunkt. Weniger zeitgemäß erhitzte Alfred Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus auf dem Albertinaplatz die Gemüter.

Ein Skandal-Statement

Eine große Zahl der Kunstprojekte widmet sich aktueller Migrationsthematik. Ein Skandal-Statement gegen Fremdenfeindlichkeit war Christoph Schlingensiefs Container- und Plakataktion "Bitte liebt Österreich!" 2000. In jenem Jahr kam es durch Bildung der schwarz-blauen Koalition zu zahlreichen öffentlichen Kunstaktionen von der Secession bis zum Widerstandsbutton von Johanna Kandl und Ingeborg Strobl, doch auch zur Einweihung des Mahnmals für die Opfer der Shoah von Starkünstlerin Rachel Whiteread am Judenplatz. Dazu kam unter anderem die Aufstellung der vier Lemurenköpfe von Franz West als Initiative des MAK.

Mehrere Stellen und Personen haben "KÖR" (Kunst im öffentlichen Raum Wien), ein von der Stadt finanziertes Projekt mit demokratischer Jury, bis jetzt vorangetrieben auf etwa 3000 Projekte. Die Daten sind leider nicht alle erfasst, selbst die 2009 erstellte Publikation lässt Großaktionen wie die "grüne Galerie im Stadtpark" in den 70er Jahren, die mehrere Sommer lang Kunstwerke hoher Qualität vereinte, vermissen.

Feministischer Aufschrei

Firmeninitiativen kommen dazu: Zu nennen ist etwa der vom Verbund 2008 ermöglichte "Yellow Fog" von Olafur Eliasson mit dem Hauptaugenmerk auf Lichtkunst – oder das BIG Art Projekt "Kastalias Schatten oder Der Muse reicht’s" im Hof der Universität von Iris Andraschek. Feministische Statements wie dieses gegen anhaltende Männervormacht gibt es seit den 70ern mit den Intakt-Initiativen, die auch die Guerilla-Girls nach Wien brachten. Sie monierten zu Recht, wie wenige Werke in Museen von Frauen sind. Bei "Kunst am Bau" war ein Viertel der Werke von Künstlerinnen.

Heute spielen Teams eine große Rolle. Das Partizipieren, auch seitens des Publikums ist Konzept, etwa bei der "Kunstklappe", die Moussa Kone und Erwin Uhrmann 2004 installierten, um anonyme Rückgaben von Raubgut zu erreichen. Sie waren damit tatsächlich so erfolgreich, dass sie einen Verdienstorden der Polizei bekamen – so wurden etwa zwei abgebrochene Reichskronen aus Holz von der Wiege des Kronprinzen Rudolf "eingeworfen".

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Urbane Oase: Inés Lombardis Garten mit Brunnen. Foto: Kaligofsky

Den Spagat zur Publikumsakzeptanz fand Erwin Wurms ironische Montage "House attack" im Museumsquartier 2006/07 – oder auch die Garten- und Brunnenprojekte von Inés Lombardi sowie Franziska und Lois Weinberger, die mit historischem Wissen Oasen in der Stadtwüste schaffen.

Die nötigen Interventionen gegen das Vergessen, wie der erwähnte Eingriff von Ulrike Lienbacher mit Glas und Schrift an einer Fassade mit Nazikunst, sind nun von Litschauer mit einer Glasstele vor dem Thury-Hof in der Marktgasse fortgesetzt worden. Der bewaffnete Ritter aus Ton von Alfred Crepaz mit einem Zitat von Adolf Hitler blieb bis auf eine Kleinigkeit seit 1945 unverändert: Der Autorenname des Spruchs zu Ehre und Treue in gotischen Buchstaben wurde abgeschlagen. Bruchstückhaft ist er jedoch immer noch da – Litschauer ermöglicht mit ihrer "transkription" anhaltende Reflexion über das Schicksal der jüdischen Bewohner dieses Gemeindebaus.

Printausgabe vom Donnerstag, 01. April 2010
Online seit: Mittwoch, 31. März 2010 17:59:00

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