Krems: Erste österreichische Personale für Paula Modersohn-Becker
Ein einsamer Aufbruch
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Von Zeitgenossen verkannt, von der Nachwelt entdeckt: Paula
Modersohn-Becker, hier auf einem "Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag".
Foto: Paula Modersohn-Becker Museum
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Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Der Untertitel der ersten Personale für Paula Modersohn-Becker
(1876–1907) in Österreich schafft rund 100 Jahre nach ihrem Tod
kunsthistorische Klarheit: Sie war die "Pionierin der Moderne" neben
Paul Cézanne, dessen Bilder sie 1900 elektrisierten. Die Ablehnung
ihrer Kunst, selbst im privaten Kreis, musste sie mit ihm teilen. Die
Ehepartner der Avantgardisten – in ihrem Fall der Maler Otto Modersohn
aus der Künstlerkolonie in Worpswede – konnten die radikale Neuerung
nicht erkennen und hielten diese Leistungen für schwach.
Dabei nimmt Paula Modersohn-Becker mit ihrer reduzierten Form, mit
der Flächigkeit und Strenge der Perspektive neben der bewegten
Pinselschrift im Frauenbildnis "Lee Hoetger" (1906) die kubistische
Auffassung Pablo Picassos in seinem Porträt von Gertrude Stein ein Jahr
vorweg. Auch die "Fauves" und die später gegründete Künstlergruppe "Der
blaue Reiter" kündigen sich in ihren Figuren und Stillleben an.
Alle Akt-Varianten durchgespielt
Während ihrer vier Reisen nach Paris hat sie neben den damals als
"drittklassig" angesehenen Künstlern Cézanne und Paul Gauguin Emil
Nolde persönlich kennengelernt. Dazu entdeckte sie die ikonenhafte
Frontalität spätantiker Mumienporträts und den "krausen" Malauftrag
Tizians im Louvre für sich.
Zur Lehrerin ausgebildet, war Paula Becker, durch Förderung ihrer
Eltern, in mehreren privaten Akademien zum für Frauen meist verbotenen
Aktzeichnen vorgedrungen. In teils großformatigen Blättern spielt sie
alle Varianten bis zu einer fast fotorealistischen Auffassung des
Körpers durch. Die Zeichnungen verändern sich von einer realistischen
Orientierung an Theodore Gericault bis zur Reduktion auf eine Linie.
Der männliche Heldenmythos und die voyeuristische Sicht auf den
weiblichen Körper weichen einer neuen Auffassung, die erst 60 Jahre
später von feministischen Künstlerinnen aufgegriffen wird. Paula
Becker, die 1897 Modersohn heiratete, beobachtet den
eigenen Körper, sie reflektiert über Mutterschaft, sie malt Kinder als eigene Persönlichkeiten.
Kurator Hans-Peter Wipplinger hatte nun nicht nur das Gespür für den
richtigen Zeitpunkt, 85 Gemälde, 60 Zeichnungen und Pastelle, dabei
mehrere Hauptwerke aus dem Paula Becker Museum in Bremen und anderen
bekannten Institutionen, nach Krems zu holen. Er weist die Künstlerin
auch als doppelte Pionierin aus. Dem männlichen Blick entzogen, zeigt
sich der Frauenakt als psychologisches Phänomen – den hohen Grad an
Intimität in den Mittelpunkt zu stellen, war neben Beckers Formanalyse
die revolutionäre inhaltliche Tat.
Nach ihrem frühen Tod durch eine Embolie, 20 Tage nach der Geburt
ihrer Tochter Mathilde, wurde ihr Aufbruch in die Moderne langsamer
entdeckt als etwa jener des jung verstorbenen Egon Schiele. Zu
Lebzeiten ahnten nur der Bildhauer Bernhard Hoetger und vor allem
Rainer Maria Rilke ihren Ruhm voraus.
Ein rotes Tuch für die Nazis
Natürlich war Paula Becker durch ihre Modernität auch nach jenen
Zeitkritiken, die ihre Kunst als Frechheit empfanden, ein rotes Tuch
für die Nationalsozialisten – ihre Bilder wurden als "entartet" und
"primitiv" verfemt.
Heute ist sie Vorbild für Künstlerinnen wie Jenny Holzer, Rosemarie
Trockel oder den jungen Fotografen Bernhard Fuchs, dessen Werke
parallel im Oberlichtsaal zu sehen sind. Der Ausstellung gelingt es
auch durch die Präsentation der teils kleinformatigen Werke und das
Wechselspiel von gesättigten Farbtönen, das Aufzeigen zum Zelebrieren
zu erheben.
Ausstellung
Paula Modersohn-Becker
Pionierin der Moderne
Hans-Peter Wipplinger (Kurator)
Kunsthalle Krems
http://www.kunsthalle.at
bis 4. Juli
Printausgabe vom Dienstag, 16. März 2010
Online seit: Montag, 15. März 2010 16:47:00
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